
Stories_Interview: Calexico
Wüstenrock jenseits der Kristallgrenze
Mit "Carried to Dust" legte die US-Band vergangenes Jahr ihr bisher letztes Album vor. Heuer war sie auf Europa-Tournee, produzierte eine Live-DVD und gibt noch bis Mitte November fleißig Konzerte in den Staaten. EVOLVER traf Drummer und Gründungsmitglied John Convertino zum Gespräch über Obama, musikalische Experimente und zwei Typen, die einfach nur gern Musik machen. 04.11.2009
Als die beiden mehr oder weniger erfolgreichen Musiker Joey Burns und John Convertino einst in einem Lagerhaus einen Haufen alter Instrumente entdeckten, beschlossen sie, eine Band zu gründen, die mexikanische Folkmusik mit akustischen Soundmixes verbinden sollte. Sie versammelten eine Handvoll Kollegen um sich und nahmen ihr erstes Album auf: "Spoke" bedeutete nur ein Jahr nach ihrer Gründung sowohl in den USA als auch in Europa und Mexiko den Durchbruch für Calexico. Mehr als ein Jahrzehnt später erfreut sich die Band größerer Beliebtheit als je zuvor. Sei es der krude durchgeschüttelte Sound vieler Länder, seien es die unzähligen, teils weltbekannten Gastmusiker - Calexico hat sich stets als etwas ganz Besonderes erwiesen.
Auch ihr aktuelles Album "Carried to Dust" hat bei Fans bereits Kultstatus. John Convertino, Drummer und Mitbegründer der Band, stellte sich in Los Angeles einem informativen und teils recht amüsanten Frage-und-Antwort- Spiel.
EVOLVER: Hi John, danke, daß du dir Zeit für uns nimmst.
John Convertino: Hi, kein Problem!
EVOLVER: Im September 2008 erschien endlich euer lange erwartetes Album "Carried to Dust". Was kannst du uns dazu sagen?
Convertino: Über die ganze Platte? Oh, da gibt es viel, ich könnte stundenlang drüber reden. (lacht) Das Speziellste, was mir jetzt einfällt, ist ein Lied in Spanisch, von Jacob Valenzuela. Er ist unser Trompeter, und es ist das erste Mal überhaupt, daß er auf einem unserer Alben singt. Wir haben außerdem wieder einige Gastmusiker, die auf "Carried to Dust" mit uns zusammengearbeitet haben.
EVOLVER: Ihr verpackt gern politische Anspielungen in eure Songs. Bestes Beispiel ist der Titel "Crystal Frontier", der auf die teils unsichtbaren Grenzen zwischen Mexiko und den USA anspielt. Gibt es auch diesmal wieder solche Statements?
Convertino: Nicht in dem Ausmaß wie beim vorigen Album. Wir haben uns bei "Garden Ruin" und der Tour ziemlich verausgabt, indem wir sehr viel über die ganze Bush/Irakkrieg-Sache gesprochen haben. Jetzt, mit Barack Obama als Präsident der USA, liegt ein Hoffnungsschimmer der Veränderung in der Luft, eine Art Licht am Ende des Tunnels. Bei "Carried to Dust" haben wir uns wieder mehr auf die Musik konzentriert und weniger auf die politische Aussage. Als ich 2004 zum ersten Mal bei einer Rede von Barack Obama anwesend war, hatte ich ein unglaublich gutes Gefühl, was ihn betrifft. Ich habe auch sein Buch gelesen, und wir sind davon überzeugt, daß er sich - auch nach seiner Wahl - daran erinnern wird, wer er ist, woher er kommt und wer die Menschen sind. Bush hatte einfach das Problem, daß er sich mit Personen umgeben hat, die ihn so sehr beeinflußten, daß er irgendwann nicht mehr für sich selbst gesprochen hat.
EVOLVER: Nachdem ich mir einige Tracks des aktuellen Albums angehört hatte, fühlte ich mich wieder einmal direkt ins Herz von Mexiko versetzt. Habt ihr eine spezielle Beziehung zu diesem Land? Woher kommt eure Vorliebe für "Latin‐Folk"?
Convertino: Wenn man in Tucson lebt und sich so nahe an der mexikanischen Grenze befindet, fühlt man eine gewisse Nähe. Wir fahren öfter mal nach Mexiko, um einzukaufen oder einfach, um an den Strand zu gehen. Diese angesprochene Nähe beeinflußt uns in unserer Musik. Wir holen uns die Inspiration aber auch aus anderen Teilen der Welt. Wir touren sehr gern durch die verschiedensten Länder, weil wir es lieben, live zu spielen. Dadurch ergeben sich auch immer Kooperationen mit anderen Musikern aus aller Welt. Wir hatten schon Gastmusiker aus Frankreich, Italien, Deutschland, Japan, Australien, Neuseeland, Südamerika, usw. Bloß aus Österreich war noch keiner dabei. (lacht) Obwohl ihr gute Musiker habt. Und Mozart! (lacht)
EVOLVER: Vielleicht ergibt sich ja was, wenn ihr nach Österreich kommt?
Convertino: Wer weiß? Wir hatten bisher immer großartige Gigs bei euch. Österreich ist für uns einer dieser sehr speziellen Orte, weißt du? Und euer Publikum ist auch ganz großartig. Bei Konzerten gehen sie immer mit, und man hat das Gefühl, daß die Österreicher bereit sind, sich unsere Musik anzuhören. Ich habe nie verstanden, wieso es Menschen gibt, die auf ein Konzert gehen und dabei keinen Spaß haben können. Warum seid ihr dann überhaupt hier? (lacht) Ihr kommt doch, um Musik zu hören, oder? Und genau deshalb mögen wir das österreichische Publikum. Sie kommen, fühlen sich wohl und hören Musik.
EVOLVER: Ihr beschreibt eure Musik als "Tucson Desert Rock". Wie würdet ihr euren Stil jemandem erklären, der keine Ahnung hat, wer ihr seid oder was ihr spielt?
Convertino: Nun, es ist zwar nicht mein Lieblingswort, aber ich würde ihn am ehesten als eklektisch umschreiben: Musik in verschiedenen Variationen, mit verschiedenen Einflüssen und Kontrasten. Wahrscheinlich würde ich dazu sagen, mit welchen Instrumenten wir spielen. Wir sind nicht die typische Rockband, spielen zwar auch mit E‐Baß, E‐Gitarre und Schlagzeug, aber auf unserer Bühne kommen auch Trompeten, akustische Gitarren und ein Flügelhorn zum Einsatz. Also im Grunde ... ganz leicht zu erklären. (lacht)
EVOLVER: Auf eurer vorigen CD "Garden Ruin" gab es einige Sounds, die nicht unbedingt typisch waren für Calexico ...
Convertino: Das stimmt!
EVOLVER: Besonders auffällig war das bei den Songs "Lucky Dime" und dem letzten Lied der Platte "All Systems Red". Gab es bei "Carried to Dust" auch wieder musikalische Experimente?
Convertino: Ja, definitiv. Ich finde, der Song "Victor Jara´s Hand" ist sehr experimentell. "Two Silver Trees" und "Contention City" ebenfalls. In diesen Liedern kommen verschiedene Instrumente zum Einsatz, die wir noch nie benutzt haben - auch Stimmen, die bisher nicht zu hören waren. Jedes Mal, wenn wir ins Studio gehen, versuchen wir etwas Neues und experimentieren gern mit verschiedenen Dingen, um etwas zu schaffen, das so noch nicht da war.
EVOLVER: Ihr habt mittlerweile sehr viele Fans, auch in Europa. Trotzdem ist mancherorts Calexico noch immer so etwas wie ein Geheimtip. Habt ihr schon mal darüber nachgedacht, eine rein kommerzielle Nummer zu schreiben, um in den Charts oder bei Radiosendern präsenter zu sein?
Convertino: Nein, eigentlich nicht. Im Grunde sind Joey (Burns, Gesang u. Gitarre, Anm.) und ich nur zwei Typen, die gern Musik machen. Es ergab sich die Möglichkeit, mit großartigen Künstlern wie Victoria Williams oder Barbara Manning zu spielen - und zwar in unserer Grundformation als Drummer und Bassist. Als wir dann beschlossen, unsere eigene Musik zu machen, profitierten wir natürlich von der Erfahrung, die wir gesammelt hatten, als wir für sie spielten. Aber im Grunde sind wir gleichgeblieben. Wir machen einfach Musik, um Musik zu machen, nicht fürs Geld. (lacht)
EVOLVER: Welche Musik hörst du selbst am liebsten? Hast du eine Lieblings-Band oder -Musikrichtung?
Convertino: Also, ich persönlich bevorzuge Jazz. Man könnte schon sagen, daß das meine persönliche Lieblingsmusik ist. Einfach durch die Improvisationsmöglichkeiten und die einschlägigen Instrumente der 40er, 50er und 60er Jahre.
EVOLVER: Danke für das Gespräch, John!
Convertino: Kein Problem. Ich hoffe, wir sehen uns bei unserem nächsten Österreich-Gig!
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