Paul McCartney - Chaos And Creation In The Backyard
EMI (GB 2005)
Wenn sich die Musikjournaille so unheimlich einig gibt, ist Mißtrauen angebracht - vor allem beim müdesten Rest-Beatle. 17.01.2006
Darüber, wie ein richtiges weichgekochtes Ei beschaffen sein sollte, gehen die Meinungen auseinander. Während es die einen am liebsten haben, wenn ihnen durchsichtiger Rotz über den Rand des Bechers rinnt, schätzen es andere, wenn das Eigelb schon so fest ist, daß der Löffel drin stecken bleibt. Ob etwas weich genug oder zu weich ist, ist schon seit Urzeiten Geschmackssache.
Nur in einem war man sich bislang einig: Paul McCartney galt allüberall als absolutes Weichei, das seit der künstlerischen Trennung von seinem widerborstigen Gegenpart Lennon, spätestens aber seit dem Spätsiebziger-Wings-Album "London Town" nichts Vernünftiges zusammengebracht hat. "London Town" war schon an der Grenze zum Butterweichen, bot aber noch genügend verrückte Sound-Spielereien, die dem Pudding Geschmack verliehen. In den Jahrzehnten danach schrieb er Songs, die man einmal hörte, ohne sie wahrzunehmen, und dann sofort vergaß. Ob sie im Unterbewußten lebensbedrohliche Rückstände hinterließen, ist unklar, aber eines ist sicher: Songs wie "Pipes of Peace" oder "Ebony and Ivory" - und das sind noch die besseren aus der Liste von Pauls Belanglosigkeiten - machten den Ex-Beatle endgültig zum Lenor-Mann der Rockmusik.
Nicht wenige Menschen meinten, daß dem Überbleibsel des phantastischen Liverpooler Songwriter-Duos einfach nur das Gegenüber, das Korrektiv, fehlen würde - also der Mann, der im Zweifelsfall Macca auffordert, "Only Love Remains" in den Alt-Lied-Container zu stecken.
Und das soll jetzt mit einem Schlag alles anders sein? Plötzlich ist McCartney der Liebling der Musikredakteure. Die jüngeren, trendigeren Journalisten, also die, die sonst Kaiser Chiefs oder Futureheads abfeiern, entdecken den Liverpooler Großmogul für sich, und auch die älteren Kollegen schreiben mal nicht über Wilco, Springsteen oder Dylan, sondern feiern McCartney, als hätte er gerade "Hey Jude" oder "Let It Be" verfaßt. Sie ignorieren sogar für kurze Zeit jene Band, die wie die Ausgeburt aus dem Ideen-Pool von George Romero wirkt: Die Rolling Stones, immerhin geradlinige Zombies, werden zur Seite geschoben, von einem, der ein Album lang mit dem Altwerden hadert, der versucht, seine Jugendlichkeit - und damit den Schwung des Mersey-Beat - zu konservieren, den Schmiß aber nicht mehr hinbekommt. Da klingt der Lausbub in der Stimme durch, die Musik allerdings ist eine wehmütige Reminiszenz an die Zeit mit Lennon.
Natürlich sind die Lobgesänge nicht völlig falsch, denn "Chaos And Creation In The Backyard" ist geradliniger als all die Alben zuvor; McCartney bringt seine Songs sogar endlich mal auf den Punkt. Trotzdem bleiben sie weichgespülte Mittelmäßigkeiten. Die 13 Stücke mögen tatsächlich besser sein als alles, was der freundliche Multimilliardär von nebenan sonst so an "Links-rein-rechts-raus"-Melodien fabriziert hat, aber letztlich bleiben sie doch mediokre Machwerke.
Nehmen wir nur die aktuelle Single "Jenny Wren" her: eine kleine, unaufdringliche Nummer, akustisch eingespielt. Nicht schlecht. Das Lied wäre ideal als Füllmaterial für das weiße Doppelalbum der Beatles geeignet. Dort hätte sich niemand dran gestört, vielleicht sogar - wie bei "Blackbird" - automatisch mitgesummt. Doch auf dem neuen Album ist dieser Song das absolute Highlight. Oder "English Tea" - diese altbackene Nummer hätte thematisch auf "London Town" gepaßt, wäre musikalisch allerdings nicht gut genug für diese Platte. "Riding to Vanity Fair" oder "At the Mercy" tragen die traurigen Reste der Fab Four in sich, und "Fine Line" will den Geist der Wings heraufbeschwören - aber Linda ist tot, und hinter Pauls ewiger Maske des Lieblings aller Schwiegermütter verbirgt sich längst ein alter Zausel.
Ein Weichei war er schon immer - und seit längerem schreibt er das musikgewordene Äquivalent zu Grießbrei. Härtere Brocken und unverdauliche Elemente wurden püriert, diese Lieder tun niemandem weh. Sie werden gehört und sofort verdaut. Der Nährwert dürfte allerdings eher gering sein, aber das würde man McCartney um seiner früheren Verdienste willen ja nachsehen. Doch den Rummel, den die Musikpresse um dieses Album macht, versteht man trotzdem nicht.
Warum wird die CD von den Machern des deutschen "Rolling Stone" auf Platz 11 der Jahresliste gesetzt? Weil der Rest des 2005er-Jahrgangs so schlecht war? Das wohl kaum, denn es gab ja (unter anderem und ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Art Brut, John Cale, Franz Ferdinand, die White Stripes, die Gorillaz und und und. Liegt es vielleicht an der Sehnsucht nach ruhigeren Tönen, die mit der dunkleren Jahreszeit kommt und nach Moll-Seligkeit verlangt? Um dieses Bedürfnis zu befriedigen, sind die aktuellen CDs von Paul Weller, Ryan Adams, den Decemberists, Neil Diamond oder den Go-Betweens besser geeignet, denn die sind, selbst in ihren elegischsten Momenten, nicht glibberig-fad. Gern auch "Devils And Dust" von Springsteen oder "Mittelpunkt der Welt" von Element Of Crime, wo in der Ruhe die Kraft liegt. Aber warum McCartney?
Bleibt eigentlich nur eine mögliche Antwort: Die Musikpresse besteht zu weiten Teilen aus alten Säcken, die mit den Beatles aufwuchsen, mit den Wings weich und nachgiebig wurden und mit "Chaos And Creation" - zumindest partiell - ihr persönliches Zeitalter des Senilen einläuten. Es wird Zeit, sie ins Altersheim abzuschieben, sonst verderben sie unseren Musikgeschmack noch so nachhaltig wie die frühvergreisten Alt-68er das allgemeine Politikverständnis ...
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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