Stories_Sherlock Holmes

Nazijäger, Box-Champion und Technikfreak

Mehr als 100 Jahre lang streift Sherlock Holmes nun schon auf Verbrecherjagd über die Leinwand - meist in Begleitung eines gewissen Armeearztes, oft im Trenchcoat und stets mit messerscharfem Verstand. Doch auch der kühle Kriminalist hat sich im Laufe der Jahre neu ausprobiert, etwa als Komiker, Nazijäger, Schauspieler, Action-Held und Nerd. Ein ungewöhnlicher Lebenslauf.    05.11.2019

"Elementary, my dear Watson." Wer diesen Satz hört, weiß: Londons berühmteste Spürnase ermittelt wieder. Dabei hat Sherlock Holmes diese Worte eigentlich nie gesagt - zumindest stammen sie nicht aus der Feder seines Erfinders Sir Arthur Conan Doyle. Stattdessen hat der Regisseur Basil Dean sie Holmes 1929 in "The Return of Sherlock Holmes" in den Mund gelegt.

Solche Unterschiede zwischen Filmcharakter und dem Original gibt es viele; manche mehr, manche weniger subtil. Kein Wunder: In seinen mehr als 100 Jahren auf der Leinwand hat sich Doyles viktorianischer Gentleman-Detektiv weiterentwickelt - und die eine oder andere Phase durchgemacht.

 

 

Die Anfänge

 

Seinen ersten Stummfilm dreht Holmes im Jahr 1900. "Sherlock Holmes Baffled" dauert kaum eine Minute. Doch das reicht einem unbekannten Einbrecher, um den berühmten Meisterdetektiv zu berauben und zu verhöhnen - sogar seine Zigarre explodiert ihm im Mund. Geht man so mit Londons legendärer Spürnase um? Entrüstet kehrt Holmes zu Papier und Tinte zurück, wo er ernsthafte Verbrechensaufklärung betreibt statt Klamauk.

Wenn es Holmes in den 20er Jahren doch auf die Leinwand zurückzieht, dann nur für Verfilmungen der Doyle-Originale. In Gestalt von Eille Norwood exerziert er mehr als 40 Fälle durch, die er eigentlich bereits gelöst hat. Damit macht er zwar seinem Verfasser eine Freude, doch ein Mann wie Holmes, der in einer Woche ohne Fall mit einer Pistole die Hauswand massakriert, lechzt nach neuen Problemen. Und da kommt ihm der Zweite Weltkrieg gerade recht.

In den vierziger Jahren versucht sich Holmes als Nazijäger. Im Dienste des Vaterlandes (und von Universal Pictures) jagt er verbittert fiese Deutsche durch ein düsteres London noir. Zur Freude des Detektivs warten im Licht der nebelverhangenen Gaslaternen ganz neue Rätsel auf Detektiv: Mikrofilm (z.B. in "Verhängnisvolle Reise"), Geheimwaffen ("Die Geheimwaffe") und Doppelagenten ("Die Stimme des Terrors"). Auch die eine oder andere Femme fatale kreuzt seinen Weg, meist mit finsteren Absichten.

Ihr Charme läßt Holmes alias Basil Rathbone allerdings kalt, anders als Watson (Nigel Bruce). Holmes´ Kumpan hat sich seit seiner Zeit als Romanfigur ziemlich gehen lassen. Aus dem tapferen Soldaten/Frauenschwarm ist ein alter Tattergreis geworden, der seine Tage damit verbringt, jedem Achselzucken seines Mitbewohners erstaunt zu applaudieren - wenn er nicht gerade den Verdächtigen entkommen läßt, weil er statt Wache Mittagsschlaf hält.

 

Die wilden Siebziger

 

Nach den vielen vor Propaganda - Entschuldigung: Patriotismus - strotzenden Filmen wird es eine Weile still um Holmes und Watson. Erst in den wilden Siebzigern sorgt das Ermittlerduo mit einem skandalösen Fall wieder für Furore.

Unter der Regie von Billy Wilder sucht Holmes (Robert Stephens) 1970  in "Das Privatleben des Sherlock Holmes" nach dem verschwundenen Mann der schönen Gabrielle Valladon und lüftet nebenbei das Geheimnis um das Monster von Loch Ness. Leider wird ihm bei seinen Ermittlungen gleich zweimal das Herz gebrochen.

Zum einen stellt sich heraus, daß Gabrielle, auf die Holmes ein Auge geworfen hat, eine feindliche Agentin namens Ilse von Hofmannsthal ist. Zum anderen zeichnet sich ab, daß Holmes´ Gefühle für den getreuen Watson mehr als platonisch sein könnten. Und das ist durchaus ein Dilemma für den viktorianischen Gentleman.

Watson bekommt von alldem wieder einmal nichts mit, und das ist vielleicht auch besser so. Als Holmes bei einem Ballettbesuch andeutet, die beiden wären ein Paar, macht sich der Doktor fast in den Frack aus Angst um seine Reputation. Es ist ein schwerer Schlag für den verliebten Detektiv.

 

 

Spätes 20. Jahrhundert

 

Holmes nächster Karrieresprung war sicher das Ergebnis von Liebeskummer - und der einen oder anderen Kokaindosis: In den späten 70ern und 80ern versucht sich der Meisterdetektiv als Komiker. Und das ist, wie sich zeigen wird, einer seiner weniger genialen Einfälle.

In "Der Hund von Baskerville" (1978) ermittelt der sonst so smarte Detektiv (Peter Cook) mit Haarnetz und erklärt einen Hund zum Alleinerben von Baskerville Hall, während ein Chihuahua Watson in die Suppe pinkelt. Das schlug vielen Holmes-Fans auf den Magen. Der Streifen gilt als historischer Flop - und hat auch heute noch 0 Prozent auf Rotten Tomatoes.

Der Humor von "Genie und Schnauze" (1988) ist da schon subtiler. Hier gibt Holmes (Michael Caine) einen unbedarften Schauspieler, der von Ermittlung ungefähr so viel Ahnung hat wie Mrs. Hudson. Dafür ist Watson (Ben Kingsley) ein kriminalistisches Genie, will aber seine Aufnahme ins Ärztekolleg nicht durch seine Schwäche für Verbrecherjagd gefährden. Deshalb hat er auch den Mimen für die Rolle des Meisterschnüfflers engagiert ...

Das einzige Problem: Holmes fällt es manchmal schwer, Watsons Schrift zu entziffern. Und so kommt es vor, daß der Detektiv seinem Publikum nicht vom Abenteuer der "Manchurian Mamba" erzählt, sondern vom "Manchurian Mambo". Mambo, Mamba - was macht das schon für einen Unterschied? "Sehr wenig", spottet Dr. Watson, "außer daß eines eine tödliche, giftige Schlange ist und das andere ein karibischer Volkstanz."

 

Heute

 

2009 hat Holmes sich genug lächerlich gemacht. Mit hochrotem Kopf zupft er seinen Anzug zurecht, nimmt die Lupe zur Hand und in die andere ... einen Boxhandschuh?! Ja, richtig gelesen. Die nächste Holmes-Reinkarnation (Robert Downey Jr.) hat ein Sixpack und nutzt ihre überlegenen geistigen Fähigkeiten vorwiegend dazu, ordentlich auszuteilen. Gauner? Die verspeist Sherlock Rocky zum Frühstück. Muskelprotze? Haben gegen seinen Intellekt keine Chance. Und Frauen? Tja, gegen die geht der Actionheld bereits im ersten Film ("Sherlock Holmes") k. o. Und steigt im zweiten ("Sherlock Holmes: Spiel im Schatten") mit gebrochenem Herzen aus dem Ring. Ob er je über Irene Adler (Rachel McAdams) hinwegkommt, werden wir wohl erst im dritten Teil (voraussichtlich 2021) erfahren.

Kommen wir aber nun zum letzten großen Holmes dieser Generation, gespielt von einem Mann, der zum "Sexiest Man Alive" gewählt wurde, obwohl sein Gesicht zahlreichen Memes zufolge dem eines schreienden Otters gleicht.

Zwischen Doyles und Benedict Cumberbatchs Holmes liegen mehr als 100 Jahre - und das merkt man auch. "Sherlock" fährt nicht mit Droschken und ist kein wohlerzogener Gentleman. Seine Social Skills hat er fast völlig verlernt; dafür kann er googlen, Verdächtige per GPS tracken und sich in die Handys von Journalisten hacken.

Einiges ist über die Jahrzehnte aber auch gleich geblieben - und zwar nicht nur der Name, die Adresse und der scharfe Verstand. Holmes fällt es in beinahe jeder Version schwer, sich in die Gesellschaft einzufinden; er ist ein genialer Outsider. Dies ist eine Eigenschaft, mit der sich viele schlaue  Köpfe auch heute noch identifizieren können. Auch sein treuer Sidekick ist in so ziemlich jedem Film mit von der Partie, weil die einzigartige Freundschaft zwischen Watson und Holmes die Menschen über vier Generationen hinweg fasziniert. Ganz zu schweigen davon, wie der Detektiv an der Hutkrempe eines Klienten abliest, ob seine Frau ihn liebt, oder einen Alkoholkranken an seinem Handy erkennt. Dem Meister der Deduktion werden wohl nie die Tricks ausgehen - oder die begeisterten Zuschauer.

 

 

Die Zukunft

 

Und was kommt als nächstes? Sherlock Holmes im Weltraum? Oder als Zeitreisender? Werden Holmes und Watson doch noch ein Paar? Oder Lestrade ein guter Ermittler? Wer kann das schon sagen ... Nur eines ist klar: Die Lupe an den Nagel hängen wird die berühmte Spürnase niemals. Oder sich mit seinen Bienen auf ein Landhaus zurückziehen, wie Doyle das geplant hatte. Dafür ist Holmes einfach nicht (mehr) der Typ.

 

PS: Leider konnte die Autorin nicht auf alle Holmes-Streifen eingehen. Dafür hätte sie auch eher ein Buch schreiben müssen als einen EVOLVER-Artikel. Die Abenteuer des englischen Meisterdetektivs wurden nämlich bereits mehr als 200 mal verfilmt.

Katharina Schmidt

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