Kolumnen_Rez gscheid!

Pudern

Schon vor 20 Jahren spottete Reinhard Tramontana in seiner legendären Kolumne "profan" über die Einfallslosigkeit der Deutschen, wenn es um die Benennung des Koitus ging. Höchste Zeit für unseren Linguisten, die wienerischen Begriffe für diese bedeutende Tätigkeit endlich einmal umfassend zu erläutern.    30.04.2009

"Languages matter!" wußte die UNESCO, als sie das Jahr 2008 zum "International Year of Languages" erklärte. Wir meinen: Ein Jahr ist längst nicht genug. Unser Sprachexperte Dr. Seicherl widmet sich daher weiterhin dem Österreichischen, genauer gesagt: der proletarisch korrekten Sprache im Alltag. Warum? Das erfahren Sie hier.

 

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Im 1906 erstmals erschienenen Buch "Josefine Mutzenbacher - Geschichte einer wienerischen Dirne/von ihr selbst erzählt" findet sich die folgende Passage zum Thema dieser Kolumne (und zwar im Dialog "das kleine, ältliche Kindermädel" mit dem schutzbefohlenen zwölfjährigen Sohn des "Hausherrn"):


"Was tut der Schwanz in der Fut?"
"Vögeln." Alois antwortete gleichmäßig, ernst und so ruhig wie immer.
Mit zitterndem Mund fragte Klementine weiter: "Wie heißt das noch ... ?"
Und Alois zählte auf: "Pudern, Ficken, Remmeln, Bimsen, Petschieren, Stemmen."


Nun, in der weiteren Romanhandlung erfüllt der Vortrag seinen Zweck; von Vollständigkeit ist die Auflistung jedoch weit entfernt. Des Wieners diesbezügliches Vokabular ist derart umfangreich, daß man selbst eine Auswahl davon am besten in Gruppen zusammenfaßt:

1) Aus dem Tierreich
Vom mittelhochdeutschen schël (Hengst) leitet sich der Ausdruck beschön ab (vgl.: "Beschäler" = Zuchthengst). Das entsprechende Bewegungsmuster einer männlichen Ziege wiederum findet sich in bokn; wobei hier auch die Assoziation zu aufbokn naheliegt (= des bequemeren Gebrauches halber auf einer Stütze plazieren). Wer dabei "wie ein Hund nach einem Bissen springt", der haperlt; bei hoher Taktfrequenz spricht man von rammen bzw. remmen (Rammler = männlicher Hase; von mhd.: rammeln = brünstig sein). Über die österreichischen Landesgrenzen hinaus geläufig ist vegln (mhd.: vog[e]len).
bok: Bock; Stützkonstruktion; Gelüst; Motorrad
hapn: springen

2) Berufliches
Hier wird meist die Manufaktur des Schuhmachers gleichnishaft herangezogen; neben schuasdan und doppen (eig.: hinzufügen einer neuen Sohle - "aufdoppeln") sind die Termini nogln und nan bekannt. Ansonsten werden gelegentlich auch Schmiede und Musiker bemüht: etwa bei dangln (mhd.: tangel = Dengelstock) oder zidanschlogn.
nan: nähen
nogln: nageln; (ein Motorrad) schnell fahren; Geräusch eines alten oder ungepflegten Dieselmotors
dangln: dengeln (z.B.: die Schneide einer Sense mit dem Hammer schärfen)
schuasdan
: (im Zusammenhang mit Präpositionen wie zam oder zuwe:) eine handwerkliche Arbeit rasch und unprofessionell erledigen (vgl.: hipudan, pfuschn)
zidan: Zither (Saiteninstrument; in der Wiener Volksmusik häufig eingesetzt)

3) Physikalischer Impetus
Die Konnotation simpler Kraftübertragung erscheint evident; entsprechend lang ist die Liste entsprechender Umschreibungen. Sortiert nach Aufwand reicht sie von dupfm ("antippen") und ditschkerln (vgl. frz.: toucher) über dauchn und bumsn bis zu schdessn (stoßen) und dremmen.
(Anmerkung: das eingangs zitierte "Bimsen" beruht auf einer verharmlosenden Vokalverschiebung und ist eigentlich nur im bundesdeutschen Sprachraum gängig.)
dauchn: anschieben
dremmen: (hinein-)trommeln

4) Rhythmik
Rasch aufeinanderfolgende, repetitive Bewegungen verhalfen schon dem Schuster zu einschlägiger Namensgebung (s. o.); darüber hinaus übt sich der Wiener im bempan und budan (letzterer Begriff leitet sich übrigens nicht, wie man vermuten könnte, von "pudern" - bestäuben - her, sondern von "buttern": Milch durch ausdauerndes Schlagen mit einem Stößel zu Butter gerinnen lassen). Weiters kennt man in diesem Zusammenhang hierzulande die Ausdrücke feangln, waxln und wezn.
bempan: (von:) pumpern (= klopfen; vgl. bdt.: "pimpern" als verharmlosende Lautvariante - s. o.)
feangln: etwas ungeschickt/mit Mühe herunterschneiden
waxln: eine Wachsschicht auftragen (z. B. auf die Lauffläche eines Schis oder auf Schuhwerk; vgl.: "wichsen")
wezn: wetzen, schleifen

5) Alternative Bewegungsformen
Selbsterklärend sind hier behupfn (bespringen) und bukn (bücken). Die Imagination der Vulva als Topf und des Penis als Kochlöffel vorausgesetzt, wird der Ausdruck rian verständlich. Bei wohlgenährten Teilnehmern spricht man von wamperln (die Bäuche aneinanderreiben) oder schdeman (stemmen); der Ausdruck schnaksln wiederum insinuiert, daß beim Vollzug des Aktes geradezu die Gelenkspfannen krachen (vgl.: schnakln).
rian: sich bewegen; umrühren
wampm: voluminöser Bauch
schnakln: knacken (vgl.: kniaschnakla)

6) Sonstiges
Etwas in Vergessenheit geraten ist die Wendung bomasln, welche sich vom früher häufigen Familiennamen Pomeisl herleitet - einem Synonym für Spießbürger, was Rückschlüsse auf die bevorzugte Stellung zuläßt. Mehr auf die gewählte Lokalität bezogen sind die Formulierungen bankaniern und bei da zehnastaudn gwesn (ein Wortspiel mit zehnastiagn). Heimlichkeit und Eile dürften das oschdaum begleiten, wohingegen beim bedinan der Dame anscheinend mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird; rustikal geht es wohl beim ruamnan zu ("mit der Rübe bearbeiten").
Der Begriff petschiern ist ob seiner Doppeldeutigkeit interessant: "Mit einer Petschaft versehen" bedeutet, einen Wachsstempel zum Einsatz zu bringen, wie er seinerzeit zum Verschließen von Schriftstücken verwendet wurde (slowak.: pecát = Siegel); andererseits kennt der Wiener petschiert als Definition dafür, in eine mißliche Lage gebracht worden zu sein.
Eher in Deutschland gebräuchlich ist hingegen fikn (mhd.: vicken).
staudn: Gebüsch
stiagn: Stiege; Aufgang zum Treppenhaus (in Gemeindebauten durchnumeriert)
oschdaum: abstauben; nebenbei mitnehmen; stehlen


Nachsatz:
Das eingangs erwähnte Buch - in Wien nur "Die Mutzenbacher" genannt - war im Laufe der Jahrzehnte immer wieder von Zensurmaßnahmen betroffen. (Inwieweit es sinnvoll oder gar human ist, erotische Literatur zu verbieten, während gleichzeitig Massenmord via Bildschirm einem Millionenpublikum in Form "interaktiver Spiele" verkauft wird und nachgerade als "Freizeitunterhaltung für die ganze Familie" gilt, mag dahingestellt sein.)
Der Autor des Werkes ist jedenfalls bis heute unbekannt. Wahlweise sollen Karl Kraus oder Egon Friedell dafür verantwortlich sein, Felix Salten (Bambi) als Urheber genannt zu haben. Der Kritiker Franz Tassié schrieb, Salten einst darauf angesprochen zu haben:

"Herr Doktor Friedell hat behauptet - "
"Friedell! Natürlich! Immer dieser Friedell! Das ist bei ihm nur der Neid, weil er das Buch nicht geschrieben hat! Übrigens ... wenn Sie das Zeug schon gelesen haben, wie hat´s Ihnen gefallen?"
"Vielleicht ist es ein furchtbares Buch, vielleicht ist es ein Meisterwerk."
Salten dachte einen Augenblick lang nach. "Furchtbar vielleicht in der Jugend, aber mit den Jahren wird es langsam zum Meisterwerk."
Er ging eilig davon, und es sah nicht so aus, als ob ihn der Verdacht, er wäre der Urheber der "Mutzenbacher", betroffen oder gekränkt hätte.


Sicher ist jedenfalls, daß die unvermeidlichen Nachfolgepublikationen dem Original in keiner Weise gerecht werden - mit Ausnahme von Helmut Qualtingers "Fifi Mutzenbacher".

Dr. Seicherl

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Proletarisch korrekte Sprache im Alltag


Sie haben spezielle Fragen? Sie interessieren sich für die Herkunft einer Phrase? Sie haben keine Ahnung, was Ihnen Ihr unhöflicher Nachbar zu den unmöglichsten Tageszeiten zuruft? Zögern Sie nicht - schreiben Sie Dr. Seicherl unter Dr.Seicherl@gmx.net, oder hinterlassen Sie einfach einen Kommentar.

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