Kolumnen_Rez gscheid!

Humor

Wenn Werbung witzig zu sein versucht, wird´s meistens peinlich. Neben einem aktuellen Beispiel zum Thema beschäftigt sich unser Linguist diesmal mit einem Problem geographischer Natur.    12.11.2009

"Languages matter!" wußte die UNESCO, als sie das Jahr 2008 zum "International Year of Languages" erklärte. Wir meinen: Ein Jahr ist längst nicht genug. Unser Sprachexperte Dr. Seicherl widmet sich daher weiterhin dem Österreichischen, genauer gesagt: der proletarisch korrekten Sprache im Alltag. Warum? Das erfahren Sie hier.

 

Wienerisch im Alltag: Dr. Seicherls gesammelte Lebenshilfe finden Sie hier.

 

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Sehr geehrter Herr Seicherl, 

 

als vom Bundesland Zugezogener wundere ich mich schon seit einiger Zeit über die Werbekampagne einer Versicherung, auf deren Plakaten immer "Baba und fall net" steht. Nicht hinfallen zu sollen verstehe ich ja, aber weshalb verabschieden die sich dazu auch noch?

Mit besten Grüßen
Herbert Hinterstoisser

 

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Dr. Seicherl antwortet:


Sehr geehrter Herr Hinterstoisser,

die Wendung baba und foi ned ist eine Floskel, die soviel wie "mach´s gut" bedeutet. Sie wirkt in dem angesprochenen Rahmen jedoch deplaciert, da stimme ich Ihnen zu; vielleicht war dem Werbetexter kein anderer wienerischer Spruch bekannt, welcher das Thema Sturzgefahr zum Inhalt hat.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. S

 

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Erläuterungen:


Die vollständige Version besagter Sentenz lautet: baba und foi ned, und wansd foisd, moch kane bresln (von mhd.: brosem; vgl.: Brosamen). In diesem scherzhaft klingenden Abschiedsgruß schwingt eine gewisse Melancholie mit. So wird jener Archetypus elterlicher Ermahnung, beim Essen nichts zu verunreinigen, in ironisierender Form hinzugefügt, um sich die Sorge ob des anderen Wohlergehen nicht allzusehr anmerken zu lassen.
Je nach Zusammenhang kann der Wunsch gar eine versteckte Drohung mit den Mächten des Schicksals bedeuten - wenn etwa der gekränkte Liebhaber diese Worte der Dame nachruft, welche ihn verläßt. Da wird das foi ned zur Mahnung, wie schnell man - auch im übertragenen Sinne - stürzen kann; und der Nachsatz gerät zum Menetekel, gegebenenfalles keine Schwierigkeiten zu verursachen ( = "Es wird dir schlecht ergehen ohne mich; doch glaube nicht, daß du hernach mit Klagen zu mir kommen kannst!").
In ihrer sinnfreien Variante wiederum bedeutet die Phrase lediglich, daß der Sprecher sich für originell und witzig hält. (Vgl.: mochzas guad - und ned zoft - und ned in da finstan, sunst weans nega.)

bresln (plur.): Brösel (bdt.: "Krümel"); Schwierigkeiten

 

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Lieber Herr Doktor!

Anläßlich eines Schwätzchens mit meinen geschätzten österreichischen Bergkameraden möchte ich Ihnen hiermit folgende Frage stellen: Wo in Ihrem schönen Ländchen liegt der "Piz Try"? Oder wollte man mich verschaukeln?

Verbindliche Grüße!
Prof. Jochen Schellhammer

 

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Dr. Seicherl antwortet:

Sehr geehrter Herr Professor Schellhammer,

ein Berg dieses Namens ist mir ebenso unbekannt wie Ihnen. Ich vermute allerdings, daß es in besagtem Gespräch um eine andere - wenngleich im weitesten Sinne ebenfalls geographische - Position ging: nämlich den imaginären Ort dripsdrü, welcher in seiner Abgelegenheit und mangelnden geopolitischen Signifikanz etwa mit dem deutschen "Buxtehude" zu vergleichen ist (selbstverständlich nur, wenn dieses gleichnishaft zitiert wird).

Mit freundlichen Grüßen
Dr. S

 

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Erläuterungen:

Das reale Buxtehude, mit ca. 40.000 Einwohnern eine dort so genannte Mittelstadt, liegt etwa zwanzig Kilometer westlich von Hamburg. Als Synonym fand es auch im Wienerischen Eingang (buxdihudri).
Bekannter ist hierzulande natürlich dripsdrü, wo - so weiß es der Volksmund - de grean oaschlecha woxn. Tatsächlich hat auch dieser Topos sein Vorbild in Deutschland; nahe Stuttgart, rund sechzig Kilometer von der Rheingrenze zu Frankreich entfernt, liegt der Weiler Treffentrill, früher: Trippstrill (Gemeinde Cleebronn/Landkreis Heilbronn/Baden-Württemberg).
Definitiv austriakischer Provenienz ist hingegen gigrizbotschn. Der Name leitet sich keineswegs vom Schrei des Hahnes ab, wie manchmal kolportiert wird, sondern entstand als Verballhornung von Gries-(bei)-Bozen; einer ehemals selbständigen Gemeinde, die heute unter dem Namen Gries-Quirein (ital.: Gries-San Quirino) eines der Stadtviertel von Südtirols Landeshauptstadt umfaßt (vgl.: das Volkslied "In G., in G., in Tirol ... ").
Als viertes Utopia kennt der Wiener in diesem Zusammenhang noch (hinta)kiadrekstetn - eine selbsterklärende Wortschöpfung.

 

grean: grün; zwielichtig; unangenehm (vgl.: greana = Auswurf)
kiadrek: Kuhfladen

 

Anmerkung: Verkehrspolizisten unserer Stadt ist zudem - auf lokalen Kontext beschränkt - etwa die "Kanakentigasse" ein Begriff.

Dr. Seicherl

Rez gscheid!

Proletarisch korrekte Sprache im Alltag


Sie haben spezielle Fragen? Sie interessieren sich für die Herkunft einer Phrase? Sie haben keine Ahnung, was Ihnen Ihr unhöflicher Nachbar zu den unmöglichsten Tageszeiten zuruft? Zögern Sie nicht - schreiben Sie Dr. Seicherl unter Dr.Seicherl@gmx.net, oder hinterlassen Sie einfach einen Kommentar.

 

Links:

Kommentare_

Franz Dvorak - 09.03.2010 : 15.40
In diesem Zusammenhang sei auch auf die sprihtwörtliche Ortschaft Hinterstinkstetten verwiesen.
peitscherlfritz - 21.03.2015 : 09.13
dr seicherl übersetzt austropop-klassiker - des warad amol wos. vorstadtcasanova vom danzer und so

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