Kolumnen_Zapped

A schene Leich

Berühmten Menschen werden berühmte letzte Worte in den Mund geschoben. Während sich Karl Normalsterblich mit den statistisch am meisten verwendeten Worten "O mein Gott" bzw. dem Atheisten-Äquivalent "Scheiße" zufriedengeben muß, sind die Biographen von da Vinci und vergleichbaren Genies bemüht, dem Tod ihrer Helden noch den letzten Schliff zu verpassen. Und Hollywood zitiert dankbar.    20.02.2012

Unlängst auf der Couch: Herr der Ringe, Teil 3, genauer gesagt die Schlacht um Minas Tirith. Von links die Orks, von rechts Riesenelefanten, von oben Nazgul - es schaut schlecht aus. Statisten und Statistenpferde bleiben auf der Strecke, auch der eine oder andere Troll fällt. Und mitten im Getümmel eine kleine Plauderei: Eowyn, die ihrem Onkel Theoden die letzte Beichte abnimmt.

In solch einer dramatischen Situation kann der Zuseher sicher sein: Für letzte Worte bleibt immer ausreichend Zeit, auch wenn der sterbende König flach unter seinem Pferd liegt. Selbst wenn die geballte Macht von Mordor (und der hinternwunde Kinobesucher) noch so sehr den Tod herbeisehnen - eine Tasse Tee, ein Keks und ein paar nette Worte zum Abschied sind immer drin. In diesem Fall geht es um wiedererlangte Ehre, die letzte Reise, die Ahnen; wenn der König spricht, hat der Tod zu schweigen.

 

Hollywood steht unter dem enormen Druck, a schene Leich zu produzieren. Und dazu gehört neben dem perfekt plazierten Blutstropfen auch eine unvergeßliche Rede oder ein kurzes "Rosebud" - das darf von Genre zu Genre variieren.

Bei Krimis gilt: Der Sterbende gibt sich kryptisch und hilft dem Detektiv auf die richtige Spur, kommt aber nicht auf die Idee, den Namen des Mörders zu verraten. In Horrorfilmen kommt der Filmtod überraschend, am besten mitten im letzten Satz ("Heute muß mein Glückstag ... ").

In Liebesfilmen und Dramen wird dauernd vom Abschied geredet, der sich dann endlos zieht ("Sag X und Y, daß ich sie liebe! Auch der Freundin der angeheirateten Cousine meiner Mutter"). Beispiel Titanic – die reinste Oper, da stapeln sich schon die Eisleichen, und DiCaprio hat immer noch genug Luft für ewige Liebesschwüre.

 

Drehbuchautoren haben immer das letzte Wort. Sie bauschen es auf, runden es ab, geben ihm einen Sinn und legen es Todgeweihten in den Mund, die nicht eher ruhen dürfen, bis ihr Leiden auch ein dramaturgisches Ende hat.

Das muß so sein, weil es immer schon so war. Weil Hauptpersonen auch im realen Leben nicht einfach so sterben. Sie sagen etwas Gescheites, etwas Treffendes, etwas Originelles, bevor sie abtreten.

Galileo soll zum Beispiel gesagt haben: "Und sie bewegt sich doch" - stur bis zum Ende. Marie Antoinette stieg angeblich dem Henker auf den Fuß und verabschiedete sich mit den Worten "Mein Herr, ich bitte um Verzeihung, ich tat es nicht mit Absicht" - in Würde zur Guillotine. Und Papst Johannes Paul II. war bis zuletzt optimistisch: "Ich bin froh, seid ihr es auch." Später wurde daraus ein von der Kirche abgesegnetes, linientreues "Laßt mich ins Haus des Vaters gehen" - ein klassischer Fall für Dan Brown.

 

All diese perfekten letzten Worte haben eines gemeinsam: Keiner von uns war dabei. Oft sind es gewiefte Autoren, die im Tod nach Unsterblichkeit suchen und aus einem Röcheln eine Rede machen, einen ergreifenden und marktgerechten Abschied für die Tränendrüsen der Welt.

Wie Mark Twain schon empfahl: "Ein Mann, der etwas auf sich hält, sollte seine letzten Worte beizeiten auf einen Zettel schreiben und dazu die Meinung seiner Freunde einholen. Er sollte sich damit keinesfalls erst in seiner letzten Stunde befassen und darauf vertrauen, daß eine geistvolle Eingebung ihn just dann in die Lage versetzt, etwas Brillantes von sich zu geben." Hollywood hält sich bis heute daran.

 

In Filmen ist Gevatter Tod stets geduldig. Er feilt sich die Nägel, bis die rechten Worte gefunden wurden. Er wartet, bis das Ende paßt und schwingt erst dann die Sense, wenn der weise Opa den letzten guten Rat erteilt hat, wenn das Codewort ausgesprochen wurde, wenn der liebende Ehemann die Hand des geliebten Weibes getätschelt hat.

Er läßt sich Zeit, denn er hat sie. Aber nur für die Hauptpersonen - wir Statisten müssen mit einem raschen Schnitt rechnen.

Nina Munk

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