Print_Pål H. Christiansen - Die Ordnung der Worte

Herr Lehmann auf Norwegisch

Für einen "a-ha-Effekt" sorgt der Roman dieses Herrn aus dem hohen Norden: Wenn Männer, die ewig Kinder bleiben, selber welche kriegen, haut´s den stärksten Norweger aus den Latschen.    18.04.2007

"Eine Kuriosität an Hemingway war übrigens, daß er im STEHEN schrieb", bemerkt Hobo Highbrow, Held des neuen Romans von Pål H. Christiansen, an einer Stelle der Handlung. Und genauso liest sich auch das vorliegende Buch des norwegischen Schriftstellers - als sei´s im Stehen geschrieben worden: luftig formuliert, unbekümmert komponiert und ebenso leicht verdaulich wie gschmackig.

Das Kompliment hat also wohl auch der Übersetzerin zu gelten, die den an die gesprochene Sprache angelehnten Stil mit ironischem Unterton bestens ins Deutsche rüberbringt. Das läßt über den einen oder anderen Schnitzer ("Haagen hatte als Idee ...", "Ich habe vor ...") hinwegsehen.

Die Figur des Protagonisten dürfte manchem nicht gänzlich unbekannt sein. Es ist jene des sympathischen, aber lebensuntauglichen Mittdreißigers, der nicht und nicht erwachsen werden will. Im Kino wird so jemand üblicherweise von Christian Ulmen ("Herr Lehmann") oder Hugh Grant ("About A Boy") verkörpert. Im wirklichen Leben nehmen solche Typen geradezu epidemisch zu, womit sich Leben und Kunst wieder einmal hübsch zusammenfügen. (Stellt sich nur noch die Frage, wer hier wen imitiert.)

Zur Handlung: Hobo führt ein wenig aufregendes Leben in Warteposition. Worauf er wartet, ist nicht ganz klar, aber vermutlich darauf, entdeckt zu werden - als Schriftsteller. Einstweilen jobbt er als Lektor bei einer Boulevard-Zeitung, sucht emotionalen Halt im Riksmål-Wörterbuch der Norwegischen Akademie für Sprache und Literatur und spielt Scrabble mit der Freundin. Kurzum: Alles, was er so treibt, hat mit Sprache zu tun, zu der er ein Verhältnis pflegt wie eine Buchhalterseele zu ihren Zahlenkolonnen.

Ja, und mit Musik. Genauer: mit der Musik einer ansonsten glücklicherweise vergessenen Popgruppe namens a-ha. Hier werden sie unerbittlich aus dem Bodensatz der 80er gezerrt, die alten Norweger, die einst mit Kastratengesängen ("Take On Me") für heiße Ohren sorgten. Das ist auch der Punkt, an dem man als Leser ohne norwegischen Paß gelegentlich aussteigt. Das Verhältnis der Figur wie auch ihres Autors zur Singsang-Gruppierung rund um Pål Waaktar-Savoy scheint nämlich ganz und gar ironiefrei. Die "positive Kraft im kulturellen Leben Norwegens" fabriziert grundsätzlich "anspruchsvolle und melancholische Popmusik".

Wer sich hier nicht bewegt, wird bewegt: Hobo Highbrows Leben muß zunächst eine Wendung zum Schlechten nehmen, ehe sich alles vielleicht zum Guten wendet. Und so sackt er noch tiefer, sofern das überhaupt möglich ist: Er verliert den Job, seine Freundin Helle ist schwanger, aber - wie er zu wissen glaubt - nicht von ihm, die alten Bücher verkaufen sich nicht, neue schreiben sich nicht von selbst. So sitzt er schließlich alleine in seiner Wohnung auf Mobiliar, das er aus Restexemplaren seiner unverkäuflichen Bücher zusammenstellt, und zimmert Nistkästen. Unterdessen verschwinden Unbekannte mit den wenigen echten Möbeln und anderen Habseligkeiten aus seiner Wohnung - was er erst dann als bedrohlich empfindet, als auch die a-ha-Platten fehlen.

Die Selbstverständlichkeit, mit der der Autor hier eine immer skurriler werdende Handlung in Gang hält, hat einigen Charme. Mit verspielter Erzähllust werden ebenso originelle wie unterhaltsame Ideen im Roman verbaut und dysfunktionale Figuren zu Stabreimen gereiht (Hobos Freunde etwa heißen Haagen, Higgins und Hirsch). Und natürlich trägt zur Komik auch eine Hauptfigur nicht unbeträchtlich bei, die in ihrer Weltfremdheit nicht sehen will, was alle anderen ringsum - inklusive des Lesers - längst wissen. Aber das wollen wir an dieser Stelle natürlich auch nicht verraten.

Reinhard Ebner

Pål H. Christiansen - Die Ordnung der Worte

ØØØØ

(Drømmer om storhet)


Rockbuch Verlag (Schlüchtern 2007)

Links:

Kommentare_

Stories
Unterwegs mit Sherlock Holmes

Wenn sich Holmes mit Lovecraft ins Bett legt

Eine Autofahrt mit Thomas Fröhlichs neuem Hörbuch "Das Geheimnis des Illusionisten" ist gleichermaßen unterhaltsam wie lehrreich. Dennoch sei gleich einmal davor gewarnt: Der Ausflug ins Reich zwischen den Welten von Arthur Conan Doyle und Howard Philips Lovecraft kann teuer zu stehen kommen.  

Print
James Marriott/Kim Newman - Horror

Hundert Prozent Grauen!

Eine ordentliche Portion Zombies und Geister, ein Rudel Werwölfe, eine Prise Vampirismus, das Ganze abgeschmeckt mit Blut und Gedärm und appetitanregend dekoriert mit Serienmeuchlern und Folterknechten: Das Ergebnis heißt "Horror" und ist das Filmbuch, auf das wir schon lange gewartet haben.  

Akzente
Literatursalon im Gemeindebau

Kainsmale und Seelen-Strips

"Literatursalon im Gemeindebau" heißt eine Veranstaltung des Theaters Rabenhof. Große Namen aus der Schreiberzunft - wie Chuck Palahniuk - und unfade Literatur werden so vom 11. September bis zum 5. Dezember in einem Veranstaltungsreigen versammelt.  

Print
Hörbuch-Tips 1/07

Wer fühlen will, muß hören

Horror, Thrill, Humor: Mit den sommerlichen Hörbuch-Tips spielen wir ordentlich Gefühlsklavier - und das insgesamt 1722 Minuten lang. Außerdem haben wir etwas zu verschenken. Aber lesen Sie selbst.  

Stories
Schlaflos #9

Das Weltall ist nicht genug

Auch ein Perry Rhodan hat gelegentlich Sex - aber von Verhütung keine Ahnung. Das Ergebnis des außerehelichen Gspusis ist der "Sternenbastard". Und der spielt die Hauptrolle in einer höchst unterhaltsamen Hörbuchserie.  

Akzente
Tower of Power ´07

Noch ein Sommer im Narrenturm

Bereits zum zweiten Mal darf der EVOLVER zu einer Veranstaltungsreihe im Pathologisch-anatomischen Bundesmuseum, besser bekannt als "Narrenturm", laden. Freunde des Ab- und Jenseitigen werden auch diesen Sommer nicht zur Ruhe kommen.