Stories_Für alle Fälle Fitz
Der Teufel im Detail
In Großbritannien bekommen TV-Krimis oft die Zeit, die es braucht, um einen Fall in aller Abscheulichkeit zu entwickeln. Bestes Beispiel: "Cracker" mit Robbie Coltrane - die Serie ist heute noch genauso gut wie bei ihrer Erstausstrahlung.
10.12.2007
Ich trinke zuviel, ich rauche zuviel, ich spiele zuviel ... ich bin einfach zuviel.
(Fitz über Fitz)
"Cracker", so der englische Titel von "Für alle Fälle Fitz" bezeichnet das, was ein guter Polizeipsychologe tun muß: Er knackt die Verdächtigen, drückt so lange in die wunden Punkte ihrer Seele, bis sie schmerzverzerrt alle Untaten zugeben. Einer, der dieses kriminalistisch-freudianische Handwerk besonders gut beherrscht, ist Dr. Eddie "Fitz" Fitzgerald. Er kann das so außergewöhnlich bemerkenswert, daß man ihm gern dabei zuschaut, wie er sich durch den Dschungel der Persönlichkeit kämpft - und das, obwohl die einzelnen Fälle gut doppelt so lange sind wie eine normale "Tatort"-Folge. Das ergibt Raum für alles Mögliche, für komplexe Täter-Opfer-Strukturen, aber auch für die privaten Dramen der Protagonisten - vor allem für die von Fitz, der selbst ein ausgesprochenes Psychowrack ist, an dem seine Zunftkollegen eine schiere Freude hätten.
Einen Guru zu haben, ist wie ein Gefühl des Vertrauens.
(Fitz)
Fitz zuzuschauen mag hin und wieder etwas Voyeuristisches haben, doch das muß niemanden wirklich peinlich berühren. Denn erstens - und das wissen wir nun schon seit Ewigkeiten - haben wir alle ein Faible für den Blick durch fremde Schlüssellöcher, was den Erfolg von Krimis durchaus erklärt. Und zweitens gewährt Fitz Einsichten in eigene und fremde Abgründe, ohne daß wir uns der Gefahr aussetzen, nackend stranguliert zu werden. Es ist der Schotte Robbie Coltrane (eigentlich: Anthony Robert McMillan), der es mit bravouröser Schauspielkunst hinbekommt, so gespenstisch authentisch zu wirken, daß es den Zuschauer zwischen Bewunderung und Ekel hin und her wirft. Aber genauso muß es sein. Und Coltrane ist, mit Verlaub, auch der Grund, warum sich aufgeklärte Geister die "Harry Potter"-Filme anschauen, denn dort gibt er den Hagrid - eine Rolle, die Coltrane sicher unterfordert, doch auch dort brilliert er.
Fitz ist ein negativer Exzentriker, er ist sich selbst gegenüber gleichgültig.
(Robbie Coltrane)
Was das Besondere an Fitz ist, faßte Coltrane schon vor zwölf Jahren so zusammen: "Jimmy McGovern hat die Figur so vielschichtig angelegt, daß es wirklich brutal ist, ihn zu spielen. Das geht nur, wenn du dich völlig auf ihn einläßt, zuläßt, daß du mit ihm verschmilzt. Du mußt dich so unter Kontrolle haben, daß du sein Timing durchhalten kannst." Die hohe Schauspielkunst also.
Coltrane erzählte damals, daß er von Anfang an versucht habe, möglichst viel von sich einzubringen, um Fitz glaubhafter wirken zu lassen. So schlurfte er durchs Set, die Hände meist in den Taschen, wie ein menschgewordenes Saxophonsolo von John Coltrane, dessen Nachnamen er als Huldigung angenommen hat. Was natürlich nicht bedeutet, daß er privat ebenfalls spielt, säuft, immer pleite ist, wie ein Fabrikschlot qualmt und ein zerstörerisches, außereheliches Verhältnis hat. Fitz´ opulente Statur besitzt Coltrane natürlich schon, aber er hat sie sehr gut im Griff, was den Psychologen viril und präsent wirken läßt. Kein Vergleich also zu Ottfried Fischer, sondern eher schon zu Helmut Qualtinger, zu dem es - sicher unbekannterweise - erstaunliche Parallelen gibt: das Mürrische, den Wortwitz und die oft misanthropische Weltsicht.
Ja, "Für alle Fälle Fitz" ist, bei aller Brutalität, auch witzig. Etwa, wenn Fitz während einer Gastvorlesung an der Uni die Studenten mit Büchern von Descartes, Freud und Jung bewirft oder seine private Post zur Erheiterung des Auditoriums verwendet - und um zu verschleiern, daß er völlig unvorbereitet ist. Doch das hat einen viel größeren Unterhaltungs- und Lehrwert für den Psychonachwuchs, ebenso wie für den TV-Zuschauer. Regisseure wie Michael Winterbottom oder Tim Fywell setzen Coltrane so perfekt und mit Ganzheitsanspruch in Szene, daß das US-Remake mit Robert Pastorelli von vornherein zum kläglichen Scheitern verurteilt war. Also Schwamm drüber.
Der Original-Fitz ist der einzig Wahre, er ist der, der sexuellen Obsessionen und Perversionen auf den frühkindlichen Grund geht. Es ist die blutige Last mit der Lust, womit sich Fitz beschäftigt - die geschundene, gepeinigte Kreatur, die zu allem fähig ist und die der Zuschauer trotzdem auch bemitleiden muß. Er kennt sie schließlich schon seit Beginn der Episode, er weiß mit dem Psychologen, daß sie schuldig ist. Aber es geht ja ohnehin um die Beweis- beziehungsweise Überführung und um die Hintergründe. Die sind ja bekanntlich oft noch fürchterlicher als die fürchterlichen Taten ...
Bei "Cracker" hast Du immer das Gefühl, daß es Fitz nicht schaffen könnte.
(Robbie Coltrane)
Manfred Prescher
Criminal Tango
Weitere wichtige TV-Kriminalisten
Jane Tennison (Heißer Verdacht/"Prime Suspect")
Alles, was ich von Ihnen verlange, ist Ihre ungeteilte Loyalität und Aufmerksamkeit.
Gespielt wird Jane Tennison von Oscar-Preisträgerin Helen Mirren. Warum sie die Auszeichnung verdient hat, läßt sich in "Heißer Verdacht" leicht nachvollziehen. Sie spielt eine Polizistin, die sich mit Fleiß und Können im Männerapparat Polizei durchsetzen will, dabei jedoch privat auf der Strecke bleibt. Die Fälle sind ähnlich hart wie bei Fitz, das gilt auch für die Probleme der Hauptfigur. Daher dauert die Auflösung - in der Regel - auch genauso lange wie beim fülligeren Kollegen und ist mit dem Schließen der Ermittlungsakten nicht beendet.
Todesprognose: Jane Tennison stirbt verbittert und einsam an Trunksucht.
(auf DVD von Koch Media)
Adolf Kottan (Kottan ermittelt)
"Kottan! Ich kann in Ihnen lesen wie in einem offenen Buch."
"Dann blättern´s endlich um!"
Adolf Kottan ist die heilige Dreieinigkeit des österreichischen Krimis. Dreieinig, weil die von Helmut Zenker erfundene und von Peter Patzak in Szene gesetzte Figur gleich von drei Schauspielern gespielt wurde - vom leider zu früh von uns gegangenen Peter Vogel (Episoden 1 und 2), von Franz Buchrieser (3, 4 und 5) und von Lukas Resetarits (der ganze Rest). 19 Folgen wurden via ORF und ZDF gesendet, sechs weitere verstauben angeblich im Archiv, und dann ist da auch noch ein Spielfilm ...
War "Kottan" zu Anfangs noch eine richtige Krimiserie, die sehr düster das umsetzte, was Kurt Ostbahn später mit "´s Leben is a Tankstö" besingt, mutierte es später zum witzigsten TV-Ereignis überhaupt und sprengte alle Rahmen. Den Fernsehmächtigen wurde es deshalb leider zu bunt. Was bleibt? Zum Beispiel der Begriff "Ablage 13" für den Papierkorb.
Todesprognose: Adolf Kottan wird von seiner Ehefrau hinterrücks erstochen.
(auf DVD von: Euro Video)
Horst Schimanski (Tatort/Schimanski)
Keine Haare am Sack, aber im Puff drängeln?
Der von Götz George gespielte Schimanski ist der Rambo unter den "Tatort"-Kommissaren. Wenn er nachdenkt, murmelt er "Menschmenschmensch", aber meist zwingen ihn Drehbuch und Gerechtigkeitsempfinden dazu, erst einmal dazwischenzuschlagen. Das Zermartern des Gehirns überläßt er in 29 Folgen der Krimiserie lieber seinen Mitarbeitern, also Christian Thanner und Hänschen, dem Holländer. Seine legendäre graue Feldjacke wird natürlich oft blutig, da Duisburg nicht die heile Welt ist. Doch "Schimmi" hat ein Herz aus Gold und Muskel aus Stahl. Die von Bernd Schwamm und Martin Gies erdachte Figur soll in Stettin oder Breslau geboren sein, ein Schicksal, das sie mit vielen Bewohnern des Ruhrpotts teilt. Neben den allesamt sehr guten "Tatort"-Episoden (1981 bis 1991) gibt es noch zwei Spielfilme und 14 qualitativ höchst unterschiedliche "Schimanski"-Krimis, die nach seinem Ausscheiden aus dem Polizeidienst spielen.
Todesprognose: Schimanski stirbt mit Götz George - und der hat womöglich das ewige Leben.
(auf DVD von Mediacs)
Corrado Cattani (Allein gegen die Mafia/"La Piovra")
I am a lonely man standing in the middle of a huge cemetery.
Wer gegen die Mafia kämpft, braucht wache Sinne. Und er kann sich keine Familie leisten, weil erstens der Beruf zu wenig Raum für häusliches Wohlbehagen läßt und zweitens die Liebsten schnell ins Fadenkreuz des organisierten Verbrechens geraten. Genau das ist Corrado Cattani passiert. Im Verlauf der vier Staffeln, in denen der von Michele Placido intensiv und mit allen Höhen und Tiefen gespielte Cattani sich gegen die Übermacht stemmt und seine Tochter auf tragische Weise verliert, wird er zusehends einsamer. Am Ende kommt das Unvermeidliche: Man bringt ihn um. Die Serie wird trotzdem weitergedreht, verliert aber ohne Cattani an Qualität, sodaß in den Staffeln acht und neun sogar Cattanis Kinder- und Jugendjahre erzählt werden. Die ersten vier Staffeln "Allein gegen die Mafia" mit Placido stammen aus den Jahren 1984 bis 1987 sowie 1989 und gelten in Italien noch heute als erfolgreichste TV-Eigenproduktion überhaupt.
(Staffel 1 bis 3 auf DVD von Koch Media, Staffel 4 und 5 von Kinowelt)
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