Stories_Schlaflos #1

Geeks in Gefahr

Hacken kann lebensgefährlich sein. "Offenbarung 23" heißt eine Hörspielserie, die die paranoide Welt der Verschwörungstheorien effektvoll in Szene setzt.    25.01.2006

Hörbücher und -spiele mögen ein Popularitätshoch erleben - von der Machart her sind sie dennoch oft genug Schlaftabletten. Im (Schlaf und Nerven kostenden) Selbstversuch macht sich Reinhard Ebner daher auf die Suche nach Hörkunstwerken, die auch zu fortgeschrittener Stunde garantiert wachhalten.

 

Der Abend davor: "Offenbarung 23" nennt sich eine bei Lübbe Audio erschienene Reihe von jeweils knapp über 60minütigen Hörstücken, deren erste vier Teile mir zum Reinhören zur Verfügung stehen. Die Titel sind ebenso obskur wie die "Cover Art", wenn man in diesem Fall von einer solchen sprechen möchte. Erstere im Einzelnen: "Wer erschoss Tupac?", "Tupacs Geheimnis", "Die Titanic darf nie ankommen" und "Die Krebs-Macher".

Titanic sagt mir ja noch etwas, aber wer ist dieser Tupac? Wurscht. Auf den Covers tummeln sich unterdessen leere Patronenhülsen, gebrauchte Lippenstifte (?), blutige Rettungsringe und anderer Schmafu. Darüber jeweils ein reichlich manierierter Schnörkel, offenbar das Logo der Reihe. Sieht insgesamt sehr nach Möchtegern-Freimaurerei aus. In den Beiheften findet sich außer Eigenwerbung und dem Hinweis auf eine Homepage so gut wie keine Information.

Es ist schon spät. Discman her und ab ins Bett. Und Zähneputzen nicht vergessen.

 

Hörphase: "Es ist alles wahr, das von den Freimaurern, den Illuminaten, dieser ganze verrückte Verschwörungskram. Du kannst wirklich niemandem trauen, sie verschonen keinen. Aber es gibt einen, der noch mächtiger ist als sie. Er hat ihre Rätsel gelöst und kennt alle Geheimnisse: Offenbarung 23 - die Wahrheit ist unsterblich."

Mit diesen Worten, gesprochen von Keanu Reeves´ Synchron-Double, eröffnet das erste Hörspiel der Reihe. Unzweifelhaft: Wir begeben uns ins finstere Reich der Verschwörungstheorien und Paranoia-Phantasien. Zunächst aber geht´s in ein Studentenheim, wo ein leicht übergewichtiger Hacker namens Georg Brand alias T-Rex stilecht zwischen Fertigpizza und IT-Equipment haust. T-Rex ist Protagonist, aber nicht unbedingt Mittelpunkt des Stücks. Hier dreht sich nämlich alles um einen gewissen Tron, zu Lebzeiten ebenfalls Hacker, der erhängt in einem Park endete. Die Polizei tippte damals auf Selbstmord, vieles scheint jedoch auf Mord hinzudeuten. Tron ist der Kopf hinter der "Offenbarung 23", die die Lösung aller Geheimnisse versammelt.

Was nun beginnt, ist eine Rätselrallye zwischen Telefonanrufen aus Grabestiefen, Rap-Songs, auf denen sich geheime Botschaften verbergen, und Doppelagenten, die erst zuschlagen und dann fragen. Tron hat Hinweise hinterlassen, mit denen die Lösungen der von ihm bearbeiteten Rätsel wieder zugänglich gemacht werden können - eine seltsam umständliche Hinterlassenschaft also, deren Herausforderung Georg Brand da annimmt. In der allerersten Hacker-Schnitzeljagd (nicht Hackschnitzel) geht es dabei um Tupac Shakur, seines Zeichens Rapper (aha!), der auf einer gemeinsam mit Tron abgemischten CD eine Botschaft - seine eigene vermeintliche Ermordung betreffend - hinterließ.

Hat man einige Minuten reingehört, ist man - bei aller Indifferenz gegenüber dem HipHopper - gefesselt vom Rätsel und der Machart. An Schlaf ist bei diesem Hörstück mit seiner realistischen Akustik, vom knarrenden Holzboden bis zum Vibrationsalarm schlagenden Handy, nicht zu denken. Daß Georg Brand ausgerechnet von der Johnny-Depp-Synchronstimme gesprochen wird, paßt zwar nicht recht zu einem nudeläugigen, fettwangigen Geek, allerdings dringt die Stimme dafür zumindest angenehm ans Ohr.

Als die erste CD vorüber ist, ohne das Rätsel zur Auflösung gebracht zu haben, werfe ich sogar die zweite Scheibe ein. Mittlerweile ist die Geisterstunde längst vorüber. Noch eine Viertelstunde, und ich schlafe selig lächend ein, während die CD weiterläuft.

Während in diesem Fall die Auflösung selbst - vielleicht aufgrund fehlender persönlicher Relevanz - eher wenig befriedigt, kommen die anderen Teile der Serie sogar noch deutlich besser. Der Untergang der Titanic etwa - so erfahre ich atemlos in einer der folgenden Nächte - war ein abgekartetes Spiel. Und Hautkrebs ist ein von der Hautcreme-Mafia bewußt in Kauf genommenes Gesundheitsrisiko.

Es sieht nach Trash aus, es ist Trash drin - und doch zeigt die "Offenbarung 23"-Serie eindrücklich, wie unterhaltsam gut gemachter Trash sein kann.

 

REM-Phase: Die CD war spannend, aber kein Nervenfetzer. Ich schlafe daher wie ein Baby. Erst in den beginnenden Morgenstunden stellen sich - erinnerte - Traumfetzen ein: Ich telefoniere via Handy mit einem hinigen Hacker, der in seinem Grab liegt. Der Skalp hat sich vom Schädel gelöst, aus dem Ohr sickert eine eitrige Flüssigkeit auf die Tastatur seines Mobiltelefons. Schnitt. Ich versuche mich in Rap-Karaoke und blamiere mich unsterblich - was mir der Türsteher klarmacht, als er mich beim Eingang hinausbefördert. Hinter mir tuscheln die Gäste, vor mir wandert ein Kentaur mit Regenschirm an einer einsamen Straßenlaterne vorüber. Wußt´ ich´s doch, daß die "Chroniken von Narnia" im Disney-Style Langzeitschäden nach sich ziehen würden. Sicher eine Verschwörung der Hollywood-Scientologen-Mafia.

 

Der Morgen danach: Tron gab´s tatsächlich, wie mir bereits beim ersten Anhören dämmert. Im Hörspiel wird nur der Vorname Boris genannt, den Nachnamen finde ich am nächsten Morgen in der Wikipedia. Aus genau diesem Grund geht die Familie des Hackers derzeit gerichtlich gegen die Online-Enzyklopädie vor.

Tron (1972-1998), so erfahre ich, beschäftigte sich vor allem mit dem Knacken von Verschlüsselungs- und Authentifizierungssystemen. Darüber hinaus entwickelte er mit dem Cryptophon eine Technologie zur Verschlüsselung von Sprachtechnologie. Klingt nicht rasend spannend, aber bekanntlich adelt der frühe Tod viele Karrieren. Boris F. wurde so zu einer Person der Zeitgeschichte, der sich neben einer bei Rowohl erschienenen Biographie auch mehrere fiktive Werke widmen.

Reinhard Ebner

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