Stories_Schlaflos #2

Hinter den sieben Bergen

Monster gegen Mensch - so lautet das ewige Match bei H. P. Lovecraft. Je gottverlassener die Gegend, desto frecher die Mißgeburt. Darunter leidet auch unser Hörbuchtester ...    21.03.2006

Hörbücher und -spiele mögen ein Popularitätshoch erleben - von der Machart her sind sie dennoch oft genug Schlaftabletten. Im (Schlaf und Nerven kostenden) Selbstversuch macht sich Reinhard Ebner daher auf die Suche nach Hörkunstwerken, die auch zu fortgeschrittener Stunde garantiert wachhalten.

 

Der Abend davor: Was Harry Rowohlt fürs hochgeistige bis hochprozentige Hörbuch ist, das ist David Nathan offenbar fürs akustische Horror- und Suspense-Genre. Fungierte der Synchronsprecher von Johnny Depp und Christian Bale bereits als Stimme des Hackers T-Rex auf der zuletzt im Rahmen dieser EVOLVER-Serie besprochenen Hörstückreihe "Offenbarung 23", so betätigt er sich nun bei einem klassischen Hörbuch als Erzähler und Stimme einer Vernunft, die zunehmend selbst dem Wahnsinn anheimfällt. Einzig Wesley-Snipes-Stimmdouble Thorsten Michaelis assistiert ihm bei der Inszenierung von H. P. Lovecrafts Kurzroman "Der Flüsterer im Dunkeln" auf drei CDs (plus einer Bonus-CD) und in insgesamt 243 Minuten.

Wer Lovecraft kennt, der weiß, daß die Langform des Romans nicht unbedingt zu seinen Stärken zählt. Eher schon erlebt man den amerikanischen Autor des Phantastischen in den berühmten Kurzgeschichten auf der Höhe seiner Kunst. "Der Flüsterer im Dunkeln" ist daher meiner Aufmerksamkeit bislang entgangen. Gern würde ich etwas mehr darüber erfahren, aber der CD-Schuber im Todesanzeigen-Schwarz kann nicht mit schriftlichen Informationen aufwarten. Da bleibt nur eines: Rein in die Federn und - wie Helmi sagen würde - Augen zu, Ohren auf (na, so ähnlich jedenfalls)!

 

Hörphase: "Man sollte sich stets im klaren darüber sein, daß ich bis zum Schluß nichts wirklich Grauenhaftes gesehen habe. Obwohl ich von Henry Akeley viele Informationen erhielt und er mir auch seine Mutmaßungen mitteilte, ich Dinge sah und hörte, die bei mir einen äußerst lebhaften Eindruck hinterließen, so kann ich doch nach wie vor nicht beweisen, ob ich mit meinen Schlußfolgerungen richtig liege oder nicht."

Die Worte, mit denen Mr. Wilmarth, Literaturprofessor und Erforscher des Volksaberglaubens, seinen Bericht beginnt, lassen nicht unbedingt eine Action-getriebene Geschichte erwarten, und diese Erwartung (oder Nicht-Erwartung) wird auch erfüllt. Die Ereignisse in New Hampshire, die schließlich einen traumatisierten Wilmarth zurücklassen und einen Akeley mit unbestimmtem Ziel beziehungsweise in unbestimmter Seinsform aus dem Weg räumen, spielen sich großteils in Briefwechseln ab, die zwischen dem skeptischen Akademiker und dem ländlichen Einsiedler ausgetauscht werden.

Freilich ist dies auch wieder irreführend - denn was der eine nicht sieht, das schildert der andere umso ausführlicher in zunehmend atemloseren Briefen und Aufzeichnungen. Akeley erzählt von schrecklichen Wesen, die aus den Bergen kommen, um Menschen zu entführen. In seinem Fall beschränkt sich der Bodycount allerdings vorläufig auf die Wachhunde, an denen er einen exorbitanten Verbrauch zu haben scheint. Der besorgte Wilmarth läßt sich in die Angelegenheit mit hineinziehen und sucht seinen Brieffreund in dessen Abgeschiedenheit auf ...

In gewisser Weise hat mich die allgemeine Lovecraft-Verehrung in Literatur und Film, die zahlreiche Epigonen des "Meisters" nach sich gezogen hat, immer erstaunt. Der vielzitierte Cthulhu-Mythos besteht - das wird auch am "Flüsterer im Dunkeln" deutlich - aus nicht mehr als einigen wenig kohärenten Bruchstücken und ist damit etwa von den Mythenwelten eines J. R. R. Tolkien Lichtjahre entfernt. Und auch mit Horror im engeren Sinn hat Lovecraft eigentlich wenig am Hut: Da ist der umständliche, mit Attributen geschwängerte Erzählstil vor. Wenn bei Lovecraft ein Geschehen "unsäglich grauenhaft" sein soll, dann wird es einfach so bezeichnet, und damit hat es sich.

Der Stil in Verbindung mit der angenehmen Erzählstimme vermittelt Behagen, und das ist ebenso Schwäche wie Stärke. Das Hörbuch setzt einen wohl behütet dem kontrollierten Wahnsinn aus, man kann - unbehelligt von Herzrasen und feuchten Händen - seinen Träumereien nachhängen. Letztlich geht es im Horrorgenre ja immer um eines, um (darf man das Wort heute noch ungestraft benutzen?) Katharsis. Soll heißen: Man befreit sich von unbewußten Ängsten, indem man diese auslebt. Selten geht dies so kontrolliert und dosiert wie in diesem Fall. Unberührt bleibe ich von Lovecrafts Erzählung freilich nicht, ein behaglicher Grusel wiegt mich im Laufe der zweiten CD in den Schlaf. Der Rest des Hörbuchs muß auf die darauffolgende Nacht warten.

 

REM-Phase: Ich verbringe eine unruhige Nacht in den Wäldern und Bergen Vermonts. War die Wirkung des Hörstücks doch durchschlagender, als ich mir hätte träumen lassen, ehe es mit dem Träumen losging? Vielleicht liegt´s aber auch am Vollmond. Mehrmals werde ich wach und erinnere mich schaudernd an Traumsequenzen: Ich habe mich in einer Berghütte verschanzt und liefere mir einen Schußwechsel mit Außerirdischen, die mein Gehirn operativ entfernen und - in Nährflüssigkeit gelagert - in eine ferne Galaxie schicken wollen. Die Situation eskaliert vollends, als ich in Panik einen Alien-Unterhändler abknalle. Scharren am Dach, Rumoren im Keller. Ich bin eingeschlossen und angeschissen, ein Szenario irgendwo zwischen "Evil Dead" und "Assault". Gut, daß ich aufgewacht bin, blöd, daß ich nach dem Einschlafen wieder in denselben Traum einsteige.

 

Der Morgen danach: Anstatt gleich aufzustehen und die verpickten Augen spazierenzutragen, gebe ich mir am nächsten Morgen noch schnell die Bonus-CD. Diese trägt den Titel "Eine persönliche Erinnerung an Howard Philips Lovecraft". Vorgelesen wird der Text eines mit ihm befreundeten Ehepaars, das sich ebenso wie der Meister selbst in dilettierender Literatur versuchte.

Viel Neues über Lovecraft ist daraus nicht zu erfahren. Daß der Autor ein verschrobener, aber liebenswürdiger Eigenbrötler war, ist ohnedies bekannt. Als Hintergrundinfo ist der in etwa halbstündige Text aber in jedem Fall kurzweiliger als eine herkömmliche Autorenbiographie. Man erfährt etwa, daß Lovecraft zu Lebzeiten kein besonderer Erfolg beschieden war, was auch an seiner Persönlichkeit gelegen haben dürfte. Der Gedanke, mit seiner literarischen Betätigung Geld zu verdienen, erschien ihm nämlich als beschämend. Der Rest ist zum guten Teil ahnungsvolles Geraune. Da wird etwa wiederholt betont, daß Lovecraft niemals schwitzte und körperliche Kälte ausgestrahlt hätte. Will man so aus dem schüchternen Autor eine jenseitige Figur der eigenen Mythenwelt machen? Bei einem Mann, der mit seinen beiden Tanten den Haushalt teilte, dürfte das eher nicht gelingen ...

Reinhard Ebner

H. P. Lovecraft - Der Flüsterer im Dunkeln

ØØØØ


LPL Records (Freiensteinau 2005)

 

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