Stories_Wolfgang Eggert: Porträt/Part I

Die Bibel ist an allem schuld

Wenn der Messias zu uns herabsteigt, wird alles gut - doch vorher muß es noch einmal ordentlich krachen. Der deutsche Publizist Wolfgang Eggert warnt davor, daß fanatische Kulte und mächtige Politiker die Prophezeiungen in ihren heiligen Büchern etwas zu ernst nehmen: Sollte die Apokalypse nicht von selber kommen, dann wollen sie für den letzten Krieg sorgen ...    17.12.2014

Für manche kommt der Erlöser zum ersten, für andere schon zum zweiten Mal - aber ins ewige Leben wird er uns alle führen. Na gut, nicht alle, sondern nur die, die rechten Glaubens sind, aber immerhin. Der Rest muß im Armageddon, das der Ankunft des zornigen Heilands vorangeht, durch Feuer und Schwert sterben, im grellen Blitz von Atombomben verglühen, zu radioaktivem Staub zerfallen. Die Sünder und Ketzer werden mit Sicherheit nicht auferstehen, um das Antlitz Gottes zu schauen.

Kein Grund zur Panik, werden Sie jetzt denken, solche Prophezeiungen gibt es schließlich in allen großen und auch ein paar kleineren Religionen. Die irdische Welt muß vernichtet werden, damit wir uns in die himmlische erheben können - aber das hat noch Zeit und ist doch ohnehin nur ein Gleichnis. Oder?

Der deutsche Autor Wolfgang Eggert, geboren 1962 im Ruhrgebiet und nach seinem Studium der Fächer Geschichte, Politologie und Journalistik eine Zeitlang fürs Fernsehen tätig, ist anderer Ansicht. Er sammelt in Büchern wie "Erst Manhattan - dann Berlin" (Chronos-Verlag) Belege für seine These, daß "Messianisten-Netzwerke" aus dem Judentum und der fundamentalistischen Rechten in den USA nicht nur glauben, daß die Apokalypse zu unseren Lebzeiten stattfinden wird, sondern auch alles dazu tun, ihr Eintreffen zu beschleunigen.

Ausgelöst werden soll die seligmachende Katastrophe - laut Prophezeiungen in den heiligen Büchern der religiösen Fanatiker - durch einen großen Krieg im Nahen und Mittleren Osten. Nicht umsonst sind die Atomraketen der Westmächte seit einiger Zeit auf Teheran gerichtet; ein Atomschlag gegen den Iran ist in den Augen der Messianisten der biblisch prophezeite Auslöser für den dritten Weltkrieg.

 

 

Aber wer steckt hinter der Kriegstreiberei im Namen Gottes? Eggert erinnert in seinem Buch beispielsweise an die jüdisch-amerikanischen "Bibel-Code-Forscher", die mathematische Verschlüsselungen im Buch der Bücher entdeckt haben wollen, mit denen sich künftige Ereignisse vorhersagen lassen. Einige dieser Forscher sollen dem Mossad und anderen Geheimdiensten vor dem ersten Golfkrieg der USA beratend zur Seite gestanden haben - und der wurde, so Eggert, ohnehin auf Drängen Israels begonnen.

"Die evangelikal-pfingstlerischen Gruppen betreiben mit ihren Think-Tanks auch in Washington erfolgreiche Lobbyarbeit", behauptet der deutsche Publizist. "Zudem berieten christlich-fundamentalistische Bibelausleger und prominente TV-Pastoren das Weiße Haus unter der Regierung Bush junior und hatten sogar Zugang zum Pentagon. Unterstützt wurden sie dabei von imperialen Scharfmachern wie dem Vize-Verteidigungsminister und späteren Weltbankpräsidenten Paul Wolfowitz - einem Mann, der öffentlich seine Sympathien für die pseudojüdische Chabad-Sekte zum Ausdruck gebracht hat."

Chabad-Lubawitsch, eine chassidische Gruppierung innerhalb des Judentums, ist laut Eggert die größte jüdische Institution weltweit und ein nicht nur in Israel enorm einflußreicher Kult, dem immense finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um seine biblischen Endzeitprophezeiungen in apokalyptische Realität zu verwandeln. Die Vorhersagen der Lubawitscher demonstrieren allerdings auch, daß Rassismus in beiden Richtungen funktioniert. So heißt es etwa in Schriften der Sekte, daß alle Christen und Muslime satanische Kreaturen seien, die es zwangsweise zu bekehren oder durch den Messias zu "unterjochen" gilt - und daß es die heilige Pflicht aller Chabad-Mitglieder sei, die Ankunft dieses Messias zu beschleunigen. Und der kommt halt leider nur, wenn auf der Erde zuvor das Armageddon eintritt. Notfalls auch, wenn man es durch Kriege und inszenierte Terroranschläge beschleunigen muß.

Nach dem Attentat auf den israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin haben laut Eggert und etlichen in seinem Buch zitierten politischen Beobachtern die chassidischen Radikalen die Herrschaft über Israel an sich gerissen - und treiben seitdem ihren biblisch motivierten "Erlösungsprozess" voran. Im Internet-Forum der New Yorker Lubawitscher zum Beispiel wurde 9/11 als Vorbote der Ankunft des Messias gepriesen ...

 

Daß der ultraorthodoxe Kult in den USA nicht nur präsent, sondern auch einflußreich ist und sich etwa mit evangelikalen Endzeitlern (der berüchtigten "religiösen Rechten") mit ähnlichen Erlösungsvisionen verbündet hat, führte zu einer unheiligen Allianz - mit deutlich erkennbaren politischen Folgen.

"Das 'Lobbying for Armageddon' war während der Jahre nach 9/11 am stärksten erkennbar", behauptet Wolfgang Eggert. "Das ging so weit, daß George W. Bush seinen Irakkrieg religiös motivierte. Der Präsident, der aus einem evangelikalen Umfeld stammt, ließ sich auf einer Konferenz öffentlich darüber aus, Gott habe ihm den Krieg gegen Saddam Hussein befohlen. Aber auch schon frühere Chefs im Weißen Haus, allen voran Ronald Reagan und sein Verteidigungsminister Caspar Weinberger, waren von ihrer biblischen Bestimmung überzeugt."

Eggert betont, daß solche endzeitliche Gruppen aber keineswegs nur im Christen- und Judentum existieren, sondern in fast allen Religionen, wo sie stets geheime Männerbünde bilden - von indischen Tantrikern über die aus Persien stammenden zoroastrischen Parsen bis hin zu den islamischen Sufis: "Am Ende der Verkündung steht immer der blutigste Vernichtungskrieg von allen, auf dessen Höhepunkt dann ein Erlöser vom Himmel kommt."

 

 

Fortsetzung folgt: Lesen Sie im zweiten Teil unseres Porträts über "Doomsday-Rabbis", potemkinsche Dörfer und Systemkritiker.

Peter Hiess

Die Bibel ist an allem schuld

ursprünglich erschienen in der Zeitschrift "2012"


Erinnern Sie sich noch, daß vor zwei Jahren eigentlich die Welt hätte untergehen sollen?

Die österreichische Zeitschrift 2012 - Das vielleicht letzte Magazin der Welt begleitete ihre Leserschaft Monat für Monat auf dem Weg ins Verderben und versorgte sie journalistisch mit den wirklich wichtigen Themen im Leben.

Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) einige ausgewählte Beiträge aus dem Heft.

Links:

Im Land der Schlangenkönigin

Interview: David Icke


Unsere wahren Beherrscher sind außerirdische Reptilien, die eine globale faschistisch-kommunistische Diktatur errichten wollen. Der Mond ist ein künstlicher Himmelskörper, von dem aus wir alle gehirngewaschen werden. Und außerdem leben wir sowieso alle in der Matrix - noch.    

Der britische Autor und Verschwörungstheoretiker David Icke erzählte Peter Hiess, warum die Welt doch nicht untergehen wird, wir aber dennoch seit Jahrtausenden am Rande des Abgrunds balancieren.  Eine Reise durch die virtuelle Realität in neun Episoden.

Links:

Unwirkliche Wirklichkeiten

Interview: Andreas Anton


Obwohl Verschwörungstheorien virulent wie nie zu sein scheinen, gibt es keinen dahingehenden zufriedenstellenden wissenschaftlichen Diskurs. Dabei täten Präzisierung und Erarbeitung eines begrifflichen Instrumentariums not. Einen möglicherweise wegweisenden Beitrag hierzu hat Andreas Anton in seinem - auf seiner Magisterarbeit aufbauenden - Buch "Unwirkliche Wirklichkeiten. Zur Wissensoziologie von Verschwörungstheorien" anzubieten.

Rokko-Autor Daniel Krčál im Gespräch mit Andreas Anton.

Links:

Kommentare_

Print
Klaus Ferentschik - Ebenbild

Doppelgänger-Phantasie

In seinem neuen Roman erzählt Klaus Ferentschik von Spionen, verschwundenen USB-Sticks, Hagelkörnersammlern und Eisleichen. Das Ergebnis ist ein philosophisch-psychologischer Agententhriller, der mehr als doppelbödig daherkommt.  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 42

Du darfst ...

Gute Nachricht für alle Desorientierten und von Relikten der Vergangenheit Geplagten: Unser beliebter Motivationstrainer Peter Hiess zeigt Euch einen Ausweg. Und die erste Beratungseinheit ist noch dazu gratis!  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 41

Gleisträume

Will man sich in den Vororten verorten, dann braucht man auch die praktische Verkehrsverbindung. Der EVOLVER-Stadtkolumnist begrüßt den Herbst mit einer Fahrt ins Grüne - und stimmt dabei ein Lob der Vorortelinie an.  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 40

Weana Madln 2.0

Treffen der Giganten: Der "Depeschen"-Kolumnist diskutiert mit dem legendären Dr. Trash die Wiener Weiblichkeit von heute. Und zwar bei einem Doppelliter Gin-Tonic ... weil man sowas nüchtern nicht aushält.  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 39

Der Tag der Unruhe

Unser Kolumnist läßt sich von Fernando Pessoa inspirieren und stellt bei seinen Großstadtspaziergängen Beobachtungen an, die von ganz weit draußen kommen. Dort wirkt nämlich selbst das Weihnachtsfest noch richtig friedlich.  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 38

Schneller! Schneller!

Wie man hört, trainieren US-Soldaten in Manövern für die Zombie-Apokalypse. In Wien scheint sie bereits ausgebrochen. Der EVOLVER-Experte für urbane Beobachtungen weiß auch, warum.