Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 8

Antony & The Johnsons: "Knockin´ On Heaven´s Door"

Gesucht wurde: ein Lied für den Film über Bob Dylan. Aber warum mußte es ausgerechnet die Himmelspforte sein? Weil der Evergreen genau zur richtigen Zeit ein Comeback feiert - meint Manfred Prescher.    10.12.2007

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Meine Frau mag die Lieder von Bob Dylan, aber nur, wenn er sie nicht selber mit nuschelig-nöliger Stimme im Stile eines rostigen Türscharniers singt. Sie hat Glück, weil kein Songwriter häufiger gecovert wurde - von den Byrds, Guns N´Roses, mehrfach von Manfred Mann und Johnny Cash, von Bobby Womack, Jimi Hendrix, Grateful Dead, Bryan Ferry oder den White Stripes. Und sogar Marlene Dietrich wußte, daß nur der Wind die Antwort auf die wichtigen Menschheitsfragen kennt. Was meine Gattin an Dylan ebenfalls nicht schätzt, ist die epische Breite, in der Mr. Zimmerman seine Textkaskaden ausbreitet - und damit das genaue Gegenteil von catchy Popsongs schafft. Eine Ausnahme der besonderen Art ist "Knockin´ On Heaven´s Door", das nach fast schon "Blitzkrieg Bop"-kurzen 2:30 Minuten nicht etwa schön zu Ende geht, sondern fünf Sekunden lang ausfadet. Im Radio kommt dann in der Regel der Werbeblock oder die nächste Verkehrsmeldung. Aber dieser hübsche kleine Song war eigentlich von Dylan ursprünglich gar nicht als Single-Hit für die Ewigkeit gedacht . Das von Gerald McCartan sehr spartanisch produzierte Original gehört zum Soundtrack von Sam Peckinpahs "Pat Garrett & Billy The Kid" - und in einen Spätwestern passen Zeilen wie "It´s gettin´ dark, too dark for me to see" oder "I can´t shoot them anymore" perfekt.

In anderen Varianten, etwa von Mark Knopfler, Sisters Of Mercy oder Guns N´ Roses wurde das Lied mit einem echten Schluß versehen. In Anlehnung an das Neil-Young-Motto "It´s better to burn out than to fade away", aber hier eben "It´s better to complete than to fade away". Zwangsläufig besser waren diese Versionen nicht. Der opulente Fünfdreiviertel-Minuten-Bombast von Axl Rose und seinen Streitkumpanen hat überhaupt nichts mehr von der finalen Endgültigkeit, die das Original auszeichnet. Es wirkt eher so wie der Schluß des Monty-Python-Films "Der Sinn des Lebens", wo degenerierte Reiche durch Lachsschaumspeise dahinscheiden und von ihrem Ende gar nichts mitbekommen. Auch wenn das Leben manchmal nicht so hart wie der Schwanz einer Bisamratte ist, ein Lied über das Ende soll schon ein wenig Finsternis, Verzweiflung und eine "long black cloud" ausdrücken, die sich über alles legt. Einfach nur lächeln und dann nahtlos vom Lebemann in eine schöne Leich´ übergehen, das ist doch fad.

 

Natürlich bräuchte kein Mensch mehr eine weitere Version von "Heaven´s Door"; allerhöchstens könnte Dylan selbst dem Ding einen würdigen Schluß verpassen. Und wenn die Welt voller Songs wie "Call The Shots" von Girls Aloud wäre, wäre das Leben sowieso komplett unlebenswert, doch davon im nächsten Miststück mehr. Eines aber vorneweg: Solche Plastikprodukte schreien danach, daß einer wie Dylan sich in den Sattel seines Privat-Pegasus schwingt und uns von der Knechtschaft der bösen Hitparadengewerbekunst befreit.

Wer die Stimme unseres Herrn der Lieder nicht mag, der kann wahlweise auch Antony Hegarty lauschen. Der in New York lebende Sänger, Pianist und Songwriter aus West Sussex gibt dem Gassenhauer "Knockin´ On Heaven´s Door" eine derart eigene Note, daß er klingt, als wäre er einer von Johnsons Eigenkreationen. Das liegt zum einen an der kammermusikalischen Instrumentierung, also an Cello, Geigen und Flügel, die auch schon das "I´m A Bird Now", das phänomenale zweite Album des Künstlers, auszeichnete. Noch wichtiger ist aber das sanfte, doch aber kräftige Falsett, mit dem Antony eine Stimmung schafft, die gar nichts mit dem knarzigen Original zu tun hat.

Der Staub New Mexicos und die trostlose Weite des Landes sind einem intimen Zimmer in irgendeiner Großstadt gewichen. Aus der vergleichsweise barschen Feststellung des unweigerlichen Endes macht Antony ein selbstmitleidiges Wehklagen. Original und Coverversion liegen so weit auseinander wie nur irgend möglich - und kommen sich gerade aus diesem Grund nahe. Es ist wie beim folgenden Gedankenspiel: Zwei Männer, meinethalben nennen wir sie Bob Dylan und Antony Hegarty, stehen am Äquator, vorne Hegarty, hinten Dylan. Während der Alte einfach auf diesem Fleckchen Erde stehen bleibt, marschiert der Jüngere los - um schließlich irgendwann dem anderen von hinten auf die Pelle zu rücken. Die musikalische Weltumsegelung ist so herrlich schön, so moll-ig weich und melancholisch zart, daß es mir in dieser dunklen Jahreszeit richtig das Herz erwärmt. Das Lied paßt daher perfekt in die Vorweihnachtszeit, kann aber auch zu Ostern gehört werden: Schließlich könnten "It´s gettin´ dark, too dark for me to see/I feel like I´m knockin´ on heaven´s door" durchaus die finalen Worte des anderen Zimmermanns gewesen sein.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

V/A - I´m Not There

(Photo © Pieter von Hattem)

Leserbewertung: (bewerten)

SonyBMG (USA 2007)

Links:

Bob Dylan - Pat Garrett & Billy The Kid

Leserbewertung: (bewerten)

Columbia/SonyBMG (USA 1973)

DVD von Warner Home Video

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Fundamentalteilchen 17/417

Alte Freunde, neue Zeiten

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
 

Kolumnen
Fundamentalteilchen 16/416: Der Winter steht vor der Tür

Wolle mer ihn reinlasse?

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 15/415: Der vermaledeite Brummschädel

Das ewige Kommen und Gehen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 6/406: Haruki, Elvis und ich

Literatur ist es, wenn man trotzdem lacht

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 5/405: Seit sieben Wochen keine komischen Streifen am Himmel und jeder dreht durch

Angriff der Kichererbsen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 4/404: Mach nicht so viel Wind, mein Kind

Wenn es draußen stürmen tut, ist das Wetter gar nicht gut

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.