Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 45
Guns N´Roses: "Chinese Democracy"
Ein Wunder: Die Poser-Band der 80er Jahre ist wieder da. Ob es das Comeback aber tatsächlich gebraucht hat, ist fraglich - meint zumindest Manfred Prescher.
01.12.2008
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Viele Spötter in den GnR-Foren meinten noch bis vor kurzem, daß China eher demokratisch wird, bevor die Band um Axl Rose eine neue CD veröffentlicht. Das erklärt auf jeden Fall den Titel von Album und Single und ist nebenbei ein netter Treppenwitz für echte Fans. Allerdings ist von den Urhebern von "Welcome To The Jungle", "I Used To Love Her" oder auch "Nighttrain" nur noch Axl, bürgerlich William Bruce Rose, übrig. Der bringt zwar mittlerweile soviel auf die Waage wie die fünfköpfige Band bei der Gründung im Jahre 1985 des Herrn, kann aber das Fehlen von Izzy & Co. dennoch nicht aufwiegen.
"Chinese Democracy" ist - von der US-Single "Oh My God" von 1999 abgesehen - das erste Lebenszeichen von Guns N´Roses seit 15 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie ihr Verfallsdatum schon längst überschritten und malträtierten die Welt mit der CD "The Spaghetti Incident" und meist mediokren Coverversionen von "Sympathy For The Devil" oder "Since I Don´t Have You". Die letzten brauchbaren Band-internen Ergüsse sind deutlich älter und wurden von Popkultur-Archäologen in die Ära von "Magnum" und "Miami Vice" datiert.
Warum also muß es ein Comeback ausgerechnet von Guns N´Roses sein? Und warum warten auf die Wiederkehr von Axl so viele Menschen? Vielleicht, weil sie so empfinden, wie es in "Since I Don´t Have You" besungen wird? "And I don´t have found desires/And I don´t have happy hours/I don´t have anything/Since I don´t have you", heißt es in dem DooWop-Klassiker, der eigentlich von den Skyliners stammt und auch von Brian Setzer besser gecovert wurde. Es ist wahr: Wie die große Liebe, die irgendwann den Bach runtergegangen ist, oder wie der Zipfel vom Glück, den man mal anfassen durfte und dem man seither hinterherjagt, trauern viele Fans den Posern aus der "Paradise City" - genau, das ist die, wo die girls so pretty sind - nach. Für Außenstehende mag das verwunderlich wirken, da Guns N´Roses ja nur eine Rockband sind, aber ein beinharter Fan zelebriert seine Liebe nun mal auf unerschütterliche Weise. Siehe Fußball: Kein Abstieg in die Niederklassigkeit wird das aus Vereinsinsignien geknüpfte Band zwischen Extremanhänger und Lieblingsclub je durchtrennen.
Ähnlich verhält es sich mit der Liebe zu Guns N´Roses - und das ist die Crux. Weil nämlich Axl die Menschen so lange hat warten lassen, baut sich ein riesiger Erwartungsdruck auf, dem die runderneuerte Gruppe, vor allem aber ihr Anführer, nicht gewachsen sein kann. Sowohl Album als auch Single sind für sich genommen nicht schlecht, bloß kann niemand mehr die Platte einfach so für sich nehmen. Sie steht noch nicht mal im direkten Kontext zu "Appetite For Destruction", sondern leidet einfach unter der Last der vergangenen Zeit. Das ist so, als hätte man 14 Jahre lang auf Weihnachten gewartet und dann bloß einen blauen Frotteeschlafanzug unter dem Tannenbaum vorgefunden. Der mag praktisch sein, vielleicht auch noch nett ausschauen, aber gewünscht hat man sich eigentlich was anderes.
An dieser Position in der Kausalkette kommt nun wieder "Appetite" ins Spiel: Das ´87er-Album war ein Werk irrealer Größe, völlig unkorrekt, mehr Show´n´shine als sonst was und eben deshalb irre lustig. Es hat, trotz der typischen 80er-Jahre-Manierismen in Band-Outfit und Produktion, lange zwei Jahrzehnte bestens überstanden. "Chinese Democracy", gemeint ist jetzt nicht der Song, sondern das große Ganze, klingt schon jetzt alt. Die Zeit scheint für Axl einfach stehengeblieben zu sein. Er selbst hat sich auch nicht bewegt, lag vermutlich wie Dornröschen in seinem Schloß und wartete darauf, daß ihn die Muse oder sonstwer wachküssen würde.
Leider war es nur "sonstwer". Der neuen Platte mangelt es schlicht an Ideen - was entschieden dazu beiträgt, daß sie altbacken klingt. Aber ich sagte es ja schon: Man darf das Album nicht mit dem großen "Appetite For Destruction" oder den 1,5 genialen LP-Momenten von GnR vergleichen, man muß es eher mit "Spaghetti Incident" oder den beiden "Use Your Illusion"-CDs messen. Dann nämlich schneidet der Neuling besser ab; der Titelsong würde auf "Use Your Illusion II" zu den besten Tracks gehören. Doch wer würde ernsthaft 14, 15 Jahre auf "Use Your Illusion II" warten? Wohl nur echte Hardcore-Fans, siehe oben.
Eine angenehmere Überraschung bereitete mir übrigens Dido, was sicher daran liegt, daß ich auf deren neuestes Werk nicht gewartet habe. Mehr über Nestwärme, Aufrichtigkeit und die weibliche Sicht auf die Dinge gibt´s nächste Woche an dieser Stelle.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
Manfred Prescher
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