Kolumnen_Miststück der Woche III/80

Imelda May: "Tribal"

Mit Schwung in die Woche: Manfred Prescher startet diesmal mit einem erstaunlich quietschfidelen Stück Rock´n´Roll in den Tag. Der Song erzeugt richtig gute Laune.    09.06.2014

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

One, two, three - das Schlagzeug fordert die restlichen Musiker zum Loslegen auf. Und dann geht der Standbaß in die vollen. Sowas funktionierte schon zu den Zeiten der Burnette-Brüder Johnny und Dorsey, klang freilich auch bei den Stray Cats oder Big Bad Voodoo Daddy sehr cool. Aber heute, im Jahr 2014, also 70 Jahre nach Louis Jordans "Mop Mop", 60 Jahre nach Elvis´ erster Single und immer hin auch schon 40 Jahre nach der Abdankung von Richard Nixon, müßte Rockabilly doch eigentlich ziemlich abgestanden wirken. So wie die Sektpulle, die man nicht mehr richtig zukorken konnte und die daher immer schaler werdend im Kühlschrank vor sich hinbrütet.

Nun ja, irgendwie ist alles doch anders - was speziell an JD McPherson aus Oklahoma und der Irin Imelda May liegt. Beide Künstler transferieren den uralten Sound ins Hier und Jetzt, setzen auf knackige Produktionen und frische Melodien. Und sie feiern damit ziemliche Erfolge. Wer will, kann das natürlich auch als Teil eines Phänomens sehen, das noch andere Musiker - etwa die Lumineers oder Mumford & Sons umfaßt. Ist halt alles irgendwie handgearbeitet, mundgeblasen oder mit den Füßen herumgepatscht, also per se nett und herzerwärmend. Daß beim Selbermachen oft genauso getretener Quark herauskommt wie bei den Elekronikfuzzis und Technikfricklern, hat natürlich etwas mit persönlichen Mängeln an Kreativität, Inspiration und Können zu tun - weil Kunst halt immer noch von Können kommt. Das gilt selbst für die niederen Künste. Will man etwa der Frage "Kunnst mir mal 5 Euro leihen" positiv begegnen, muß man erstmal so viel Geld besitzen. So ist das Leben. Aber nun verlassen wir kurz mal die Ebene der pseudophilosophischen Weisheiten.

Imelda May ist die Königin des neuen Rockabilly. Der ersteht zum zigsten Mal aus Ruinen neu. Die zeitgleich mit Nixons Abtritt geborene Dublinerin erschafft ihn aktuell mit Schwung und einer Stimme neu, die sehr eigen ist und trotzdem sowohl die Härte der jungen Wanda Jackson sowie den Samt von Doris Day umfaßt. Mit den letzten drei ihrer insgesamt vier Alben gelangte sie tatsächlich ganz nach oben in den Charts - und das nicht nur auf ihrer analog zum Rockabilly ebenfalls evergreenen Insel, sondern auch im Vereinigten Königreich rechts daneben. "Love Tattoo", "Mayhem" und jetzt "Tribal" sind freilich auch auf charmante Weise sehr sexy. Und dazu muß man die modetechnischen Selbstinszenierungen von Imelda May gar nicht sehen oder vor dem geistigen Auge verfügbar haben. Man und auch frau muß sie nur hören. Wer auf selbstbewußt-starke Frauen steht, genieße die Kraft von "Five Good Men", wo sie die Gitarrenbreitseite ihres Ehemanns und Bandmitglieds Darrel Higham locker im festen Griff ihrer Stimme hält. Oder "Tribal", wo sie uns alle mit wenigen Worten zu Mitgliedern des "Rockabilly-Stamms" macht.

 

 

Aber nicht nur die Stimme ist sexy, sondern auch die Art, wie Imelda May Sprache verwendet: Sie singt im Rhythmus und im Groove, führt den Song und die Band. Das ist beeindruckend, es bezirzt. Ob Imelda May als Frau sexy ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle, ihr Spiel ist es. Vielleicht verhält es sich ja mit eurem Kolumnisten ähnlich? Analog zu Frau May ist er zwar auch nicht der letzte Grottenolm, aber eben doch nicht Herr Adonis persönlich. Der wurde nämlich bekanntermaßen schon lang vor dem Abgang des 37. US-Präsidenten aus dem Weißen Haus von einer Wildsau - aber nicht von Nixon - über den Hades geschickt. Und obwohl der Kolumnist eigentlich nicht wirklich sexy ist, lockt seine Art zu Schreiben sapiosexuelle Weibchen an. Ihr könnt ja ruhig mal nachgockeln, was das Fremdwort bedeutet. Müßt ihr aber nicht: Sapiosexuell veranlagte Zeitgenossen fühlen sich von der Intelligenz eines anderen Menschen angezogen. Das erklärt so manche Partnerschaft, sicher auch in eurem Umfeld. Und da ich weiß, daß das so ist, schreib´ ich ohne Unterlaß für Euch.

Selbstverständlich bietet diese Kolumne - analog zur Musik von Imelda May - genug Projektionsfläche für die eigene Intelligenz, denn genau darum geht es. Die Irin läßt es nicht nur krachen, sie zitiert, macht sich Pop-Historie untertan und spielt mit uns auf allerhöchstem Niveau. So muß und wird es auch fürderhin sein, vorausgesetzt natürlich, daß die Welt nicht komplett verblödet, es also auch in Zukunft noch kluge, charmante, gebildete und sprachgewandte Cleverle geben wird. Dann werden auch weiterhin coole Sounds bzw. Kolumnen erschaffen. Da habt ihr mein Wort drauf - und das von Imelda May.

Nächste Woche werde ich euch über die neue CD von Lana del Rey berichten, die gerade meinen Schreibtisch ein quadratisches Stück weit bedeckt. Noch suche ich zwar die richtigen Worte dafür, aber euch sapiosexuell veranlagten Mitmenschen da draußen zwischen Obereinherz und Niederdingenskirchen sei versichert, ich werde sie für euch finden. Das Warten lohnt sich also. Bis es soweit ist, lest etwas Interessantes - zum Beispiel "Baba Jaga" von Toby Barlow.

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Imelda May: "Tribal"

Leserbewertung: (bewerten)

Enthalten auf der gleichnamigen CD (Decca/Universal)

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Kommentare_

Ulla - 10.06.2014 : 23.21
Imelda May:Eine chice Frau mit einer tollen Stimme.
Beeindruckend, wie wahr. Aber..., frau mag dies
(Little Pixie),und man mag jenes... ULLA

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