Kolumnen_Miststück der Woche III/19

Lawson: "Learn To Love Again"

Manchmal kommt es erstens anders und zweitens, als man denkt. Deshalb hat sich Manfred Prescher diese Woche kurzfristig für ein anderes Lied entschieden - direkt aus den britischen Charts und recht nett.    04.02.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Aktuell kommen wieder mal viele Abschiedslieder heraus. Warum das so ist, kann man wahrscheinlich nicht wirklich ergründen. Ob es mehr sind als zu anderen Zeiten, läßt sich auch nicht sagen. Denn vielleicht fallen sie einem nur in bestimmten Momenten mehr auf als sonst. Auf jeden Fall ist ein echter Hit darunter. Glaubt einem alten, erfahrenen und weisen - nein, das mit dem "weise" könnt ihr getrost vergessen - Lausbuben, daß "Losing You" von Beyoncés begabter Schwester Solange Knowles ein echter Riesen-Hit wird. Einfach mal bei YouTube danach suchen, sag´ ich. Was für ein toller Song, aber davon schwärme ich lieber nächste Woche.

Und dann ist da noch der alte Country-Recke Bobby Bare, der fremdes Liedgut, das er liebt, interpretiert. Darunter auch ein Stück, das Bob Dylan geschrieben, aber zunächst selber gar nicht veröffentlicht hat: "Farewell Angelina". Irgendwie erinnert Bares Platte an die späten "American Recordings" von Johnny Cash, aber es gibt schlimmere Referenzen. Und wo wir schon bei schlimmen Dingen sind: Am 1. Februar kommt eine CD auf den Markt, die ebenso albern wie strunzdämlich ist. Aber bevor ich den Mantel des Schweigens drüberdecke und alle Gedanken daran im Saller See versenke, prophezeie ich, daß das Machwerk Nummer 1 der deutschen und wohl auch der österreichischen Hitparade wird: Ja, lebt denn der alte Heino noch? Ja, der Mann, dem wir dumpfdeutschen Müll wie  "Schwarzbraun ist die Haselnuß" und "in einem Polenstädtchen, da wohnte einst ein Mädchen" verdanken, schunkelt sich auf "Mit freundlichen Grüßen" durch Songs von Rammstein, den Fantastischen Vier, Nena, Westernhagen oder auch Die Ärzte und Peter Fox. Man mag vom aktuellen deutschen Kulturgut halten, was man will, aber keiner der genannten hat es verdient, von Heino interpretiert zu werden. Wie tief ist diese Welt gesunken? Ich hoffe bloß, daß der Saller See tief genug für den Kram ist.

 

So, alle Bitterkeit ist für diese Woche aus mir raus, ich ruhe förmlich in meiner Mitte. Den Bürostuhl Feng-Shui-mäßig ausgerichtet, eine heiße Tasse Kaffee dampft hinter der Tastatur und ein Lied im Player, das Hoffnung gibt und munter macht. Geschrieben und aufgenommen haben es Lawson - vier Musiker aus unterschiedlichen Städten in Inspektor Barnabys Heimatland. Das Quartett lernte sich über das Internet kennen (warum auch nicht?). Im virtuellen Leben spielen sich einfach seltsame Geschichten ab. Manch einer soll dort nicht nur neue Bücher gekauft, Musik heruntergeladen oder Kolumnen gelesen haben. Es wird behauptet, daß der eine oder die andere sogar schon einen Mantel oder die große Liebe im weltweiten Internetz gefunden haben soll.

Lawson haben einander jedenfalls dort getroffen und traten dann echt und in 3D im Vorprogramm von großen Stars auf, wurden beim ersten eigenen Konzert unter Vertrag genommen und sind nun im Vereinigten Königreich sehr erfolgreich. Ein vom Grammy-Gewinner John Shanks produziertes Album namens "Chapman Square" und vier Hit-Singles stehen bislang auf ihrem Konto. Irgendwo zwischen Coldplay, U2 und den Kooks ist der Sound angesiedelt, aber was oben galt, gilt hier auch: Es gibt schlechtere Referenzen. Der Bandname selbst ist übrigens auch eine Ehrerbietung, denn der Chirurg, der bei Sänger Andy Brown einen Hirntumor entfernt hat, hieß Lawson. Wir hoffen natürlich, daß der Mann auch heute noch so heißt.

Immer wieder betont Andy Brown in Interviews, daß er eine zweite Chance erhielt, die er nun nutzen will. Irgendwie paßt der aktuelle Hit zu dieser persönlichen Geschichte und zum Leidensweg, der dahinter erkennbar ist. "Learn To Love Again" erzählt von zwei Liebenden, die aufgrund ihrer Verletzungen nicht zusammenkommen konnten, obwohl sie zusammengehören. Das ist so herzergreifend - und wenn es ein Happy-end gibt, dann ist das sicher wie in "Schlaflos in Seattle" oder "Notting Hill".

Im Text ist dieser romantische Schluß bereits angelegt. Am Anfang umschreibt Andy Brown mit kraftvoller und überhaupt nicht weinerlicher Stimme die Dunkelheit, die die Liebe zu zerstören drohte. Aber dann, dann läßt er keine Zweifel offen: "Unsere Herzen sind stärker, als wir beide wissen" und "Wir beide können wieder lernen zu lieben". Der Sänger vermutet: "Wahrscheinlich ist es, weil ich weiß, daß du die Eine bist. Und daß du mir wieder vertrauen kannst."  Große Worte in einem kleinen Popsong, fürwahr. Es gibt aber nun mal Momente im Leben, da paßt sowas deutlich besser als Abschiedslieder oder musikgewordene Trauerarbeit. Wer dennoch was über das Schlußmachen lesen will, kann das auch hier in dieser Kolumne tun. Ich habe bereits im Dezember 2009 die "besten" Lieder über das Ende der Liebe zusammengestellt.

 

Ja, Zeiten ändern sich, Menschen entwickeln sich, aber ein guter Song bleibt ein guter Song. Das war schon vor Jahr und Tag so, das war 2009 nicht anders, und - das gebe ich euch als Trost mit auf euren Weg durch die Woche - das wird auch in Zukunft noch so sein. Und genau deshalb wird es in der nächsten Ausgabe um Solange Knowles und ihr "Losing You" gehen. Habe ich schon gesagt, daß das ein verdammt genialer kleiner Song ist? Hab´ ich? OK. Dann laßt uns für heute mit dem Schlusß des Films "Blues Brothers" und den großen Worten des noch größeren Elwood Blues aufhören: "People, when you do find that special somebody, you gotta hold that man, hold that woman! Love him, please him, squeeze her, please her! Signify your feelings with every gentle caress, because it´s so important to have that special somebody to hold, to kiss, to miss, to squeeze, and please!" Wo er recht hat ...

In diesem Sinne, Madln und Buam, paßt´s auf euch und eure Liebsten auf.

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER


Manfred Prescher

Lawson: "Learn To Love Again"

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enthalten auf der CD "Chapman Square"

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