Kolumnen_Linientreu #6

Legal beSCHWERT

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich in den "Öffis" Platz zu verschaffen: längere Zeit nicht duschen zum Beispiel - oder sich von oben bis unten mit einem dieser scheußlich riechenden Hühnerkebabs anzupatzen. So hat man selbst zu Stoßzeiten immer ein Abteil für sich. Oder man bringt ein Schwert mit ...    08.04.2013

Straßenbahn, U-Bahn, Autobus - die öffentlichen Verkehrsmittel (im Wiener Werbefirmen-Dialekt "Öffis" genannt) sind social ohne network, die dringend nötige Pause zwischen Streß im Job und Streß zu Hause, der bekanntlich viel interessantere Weg zum ohnehin immer gleichen Ziel. Nirgendwo sonst liegen Freud und Neid, Tanzschule und unterste Schublade, Hoffnung und Verspätung so eng nebeneinander. Und die Wahrheit lauert stets irgendwo im Spalt zwischen U-Bahntür und Bahnsteig. Vorsicht beim Einsteigen!

 

Angeblich gibt es 13 Anzeichen, die auf einen Selbstmordattentäter schließen lassen. Einige davon sind: Die Kleidung ist der Jahreszeit unangemessen; die Hände sind in den Taschen vergraben; der Rucksack wird ganz nahe am Körper gehalten; die Augen sind starr; der Körper schwitzt; die Atmung geht schnell; der Mund murmelt Unverständliches. Wenn diese Anleitung stimmt, müßte die WEGA jeden dritten Fahrgast der Wiener Linien verhaften. Doch trotz der offensichtlichen Symptome glaubt keiner daran, daß was passiert - bevor wirklich was passiert. Bomben ticken nicht mehr. Sie haben keinen blinkenden roten Knopf und auch keine Digitalanzeige, die die Zeit herunterzählt. Und ihre Verkabelung ist gut unter der Kleidung versteckt. Außerdem trägt kein Attentäter der Welt ein T-Shirt, auf dem steht: "Ihr werdet alle sterben!" Woher soll ich also wissen, ob mir jemand Böses will?

Ganz einfach: Wenn ein Typ die U-Bahn betritt, aus dessen Rucksack ein Schwert ragt. Nun bin ich - ganz allgemein gesprochen - kein Vaserl, wenn´s um Extremsituationen geht. Ich zucke nicht mit der Wimper, wenn neben mir ein Sandler sitzt. Ich kreische nicht wie wild herum, wenn einer mit seinem triefenden Kebab in den Zug steigt. Und ich werde nicht nervös, wenn mir ein Kind die Schuhe ins Knie rammt. Aber wenn ein bärtiger Mann mit einem Schwert in die U-Bahn steigt, dann schließe ich mich der Herde an und rücke auf Abstand. Nur zur Sicherheit.

Wie schon gesagt, es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich Platz zu verschaffen. Aber diese Variante kannte ich noch nicht. Und während um mich herum die Menschen unauffällig den Ausgängen zustreben und den Notausstieg aufmerksamer als sonst beobachten, werde ich neugierig. Was zum Geier reitet einen Menschen, sich ein Schwert umzuschnallen, bevor er auf die Straße geht? Ist das überhaupt legal? Und überhaupt: Wo kämen wir hin?

Es gibt ein PDF zu diesem Thema: "Die Beförderungsbedingungen der Wiener Linien". Dort erfahre ich, daß Lärmen, Musizieren und das Benutzen von Inline-Skates verboten sind. Rauchen ist verboten, das Hinauslehnen aus dem Fenster ist verboten, Alkohol ist verboten. Auf den Sitzen stehen ist verboten. Fahrräder sind erlaubt, aber nur zu bestimmten Zeiten und nur in den gekennzeichneten Einstiegsräumen quer zur Fahrtrichtung. Das Tragen einer Schußwaffe ist für Nicht-Polizisten verboten. Explosionsfähige, leicht entzündbare, ätzende sowie übelriechende Stoffe sind verboten. Das Benutzen von Stricknadeln ist verboten. Summa summarum ist also alles verboten, außer still dasitzen und den Mund halten. Nur Schwerter sind anscheinend erlaubt.

Hat der Mann eine Gesetzeslücke gefunden? Darf ich wirklich mit einem Zweihänder aus dem Mittelalter die Rolltreppe benutzen? Muß ich dann auch rechts stehen und links gehen - oder sind in diesem Fall alle Gesetze aufgehoben?

Ich nähere mich und tippe dem Mann auf die Schulter. Eh schon egal. Wenn ich schon durch einen Schwerthieb niedergestreckt werde, will ich wenigstens wissen, warum. Es stellt sich folgendes heraus:

Das bärtige Individuum ist kein Attentäter, sondern Mitglied eines Vereins, der die alte Kunst der Schwertfechterei zum Kampfsport weiterentwickelt. Geübt wird in einem Fitneßcenter im 10. Bezirk, das die Mitglieder des Vereins irgendwie erreichen müssen, zum Beispiel mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Und ja, es ist erlaubt, ein Schwert mit sich zu führen, wenn es ordnungsgemäß verpackt in einer Scheide steckt und diese verschlossen ist. Schräges Detail am Rande: Nach Aussage des Kampfsportlers ist es laut einem überholungsbedürftigen Waffengesetz ganz allgemein gestattet, Schwerter NACH Erzeugungsdatum 15hundertirgendwas bei sich zu tragen.

Wir leben in interessanten Zeiten. Rostige Schwerter aus dem 15. Jahrhundert sind verboten. Glänzende Handwerkskunst aus dem 20. Jahrhundert ist erlaubt - vielleicht, damit der Feind nicht an Blutvergiftung stirbt.

Ich denke mittlerweile daran, mir eine Kanone zu basteln und die ständig bei mir zu tragen. Auch auf der Rolltreppe.

Nina Munk

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