Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 50/Teil 4

Die größten Miststücke aller Zeiten (31-40)

Manfreds Preschers Jubiläums-Miststück, die vierte. Oder: Das waren die Achtziger - erst wurden Hits auf der Spülmaschine gespielt, dann zerredete man das Wort "Pop".    19.10.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Eine musikalische Autobiographie zum Jubiläum: Manfred Prescher präsentiert 50 Songs, die er nie aus den Ohren verloren hat. Den Anfang macht die Ära vor den Sixties - von den Marx Brothers bis Dean Martin. Lesen Sie mehr ...

 

Teil 2: Die Sechziger - ein Jahrzehnt, in dem für kurze Zeit wirklich alles möglich war. Lesen Sie mehr ...

 

Teil 3: Auch die Siebziger hatten einige Miststücke zu bieten: Rock war zwar tot, doch auch Disco und Punk tanzten nur kurze Zeit. Lesen Sie mehr ...

 

Und weiter geht´s in die 80er Jahre ("The decade that style forgot"), als die Yuppies kamen, Elektronik und Theorie den Pop eroberten, die Rapper zu rappen anfingen - und sich irgendwann doch wieder der gute alte Rock´n´Roll/Garagen-Lärm durchsetzte.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

31. The Style Council - My Ever Changing Moods


Als Paul Weller The Jam auflöste und sich vom Punk in Richtung einer eleganten Mod-Version von Soul entfernte, begann er mein Herz zum zweiten Mal mit Hymnen für die Ewigkeit zu erobern. "My Ever Changing Moods" beschreibt - wie es der Titel schon sagt - die unerklärliche Wankelmütigkeit von Stimmungen. Und die Probleme, die andere Menschen damit haben, wenn sie nahe genug sind, um sich darauf einstellen zu müssen.

 

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32. Heaven 17 - Come Live With Me


Ein großer Popsong über die Liebe zu einer viel jüngeren Frau - und ein Statement aus einer Zeit, in der allen Ernstes ein Diskurs darüber geführt wurde, ob solche Lieder gesellschaftlich relevant sind. Was bleibt, ist ein Stück, das über solche Hirnschwurbeleien erhaben ist und seinen Entstehungszeitpunkt zwischen Elektro-Sound und Soul-Wärme längst überwunden hat.

 

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33. Leonard Cohen - I Can´t Forget


Leonard Cohen ist der Großmeister im Schreiben von bittersüßen Songs um das Scheitern von Beziehungen. Mal zynisch wie in "Is This What You Wanted", mal reflektierend wie in "Ain´t No Cure For Love", mal fast philosophisch wie in "I Can´t Forget". In diesem Lied besingt er die vergangene Liebe und den gegenwärtigen Schmerz, gesteht der Ex aber keinen Raum mehr zu: "I can´t forget, but I don´t remember what" sagt er und überreicht ihr ein Kaktusbukett. Die Stärke seiner Worte entfaltet sich - wie immer - durch den Klang der betörend-tiefen Stimme.

 

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34. Alan Vega - Every1´s A Winner


An der Seite seines Partners Martin Rev entwickelte Alan Vega einen Sound, der sich am besten mit dem Begriff "Techno-Punk" beschreiben läßt. Aber die beiden hatten als Suicide keinen Erfolg. Vega versuchte es auch solo, bekam sogar einen Vertrag bei Warner, doch die Karriere kam wieder nicht in Gang. Und als ob er gewußt hätte, daß er am Ende wieder mit leeren Händen dastehen würde, hämmerte er durch eine trotzig-monotone Version des Hot-Chocolate-Hits. Ein Lied voller Kampfgeist, bei dem das Spannungsfeld aus dem Fight zwischen Willenskraft und Realität entsteht.

 

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35. Elvis Costello & The Attractions - Shabby Doll


Ein Höhepunkt auf "Imperial Bedroom", einer der besten Costello-Platten: "Shabby Doll" ist ein Juwel, das etwas formuliert, das man doch immer schon ahnte: Wir sind alle Puppen, die die meiste Zeit achtlos im Staub eines gigantischen Kinderzimmers herumliegen, bis irgendwer mal kurz mit uns spielt. Soviel zum Thema "Fremdbestimmung".

 

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36. Prince - When Doves Cry


Rhythmisch vertrackter Schrei nach Liebe: ein gewaltiger Song, der von den Verletzungen singt, die Familienbande auf Haut und Seele hinterlassen - und davon, wie schwer es ist, die Fehler der elterlichen Beziehung nicht zu begehen. Damit wurde Prince für mich endgültig zum wichtigsten Künstler der 80er Jahre.

 

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37. Nick Cave & The Bad Seeds - Tupelo


Wenn das eine Hymne an den Geburtsort von Elvis Presley sein soll, dann ist es zumindest keine glorifizierende. "Tupelo" ist tiefschwarz, ein treibender Voodoo-Beat, der keine besseren Zeiten heraufbeschwören kann, sondern mit dem Irrtum aufräumt, daß früher alles besser war. Die Zeiten waren immer schon schlecht - und nur, weil das so ist, brauchen wir die Lieder des King. Passend zu diesem Statement befindet sich auf der B-Seite der "Tupelo"-Single ein weiterer Düster-Blues: "Six Strings That Drew Blood".

 

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38. The Cramps - What´s Inside A Girl?


Der Albumtitel "A Date With Elvis" stammt von einer LP des King, auf dem Cramps-Cover ist jedoch eine sexy Teufelin zu sehen. Vielleicht trifft sich Elvis gerade mit ihr? Die Songs erkundigen sich "Can Your Pussy Do The Dog?", beschreiben das Land "Kizmiaz" oder fragen etwas, das wahrscheinlich schon viele Jungs interessiert hat: "What´s Inside A Girl?" Geklärt ist das bis heute höchstens aus medizinischer Sicht, aber darum ging es den amerikanischen Trash-Idolen ganz sicher nicht.

 

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39. Trio - Da da da ich lieb dich nicht du liebst mich nicht aha aha aha


Purer Minimalismus, textlich nah am Debilen, aber eben nicht dumm - das ist diese auf einem billigen Kaufhaussynthie und mit beinahe ausdrucksloser Remmler-Stimme erzeugte Klangskulptur. Oder: Simplify The Beatles. Denn "Da, da, da" ist die Vereinfachung des ohnehin schon simplen Konzepts von "She Loves You" - und fast noch genialer.

 

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40. The Assembly - Never Never


Vince Clarke ist der Guru des Elektropop. Er gründete Depeche Mode, war der Kopf von Yazoo und bezauberte für einen Moment mit dem Undertones-Sänger Feargal Sharkey als The Assembly. In "Never Never" ist die Verzweiflung zu spüren, die einen befällt, wenn man merkt, daß man wieder nicht das Richtige gesagt und sich stattdessen in Belanglosigkeit geflüchtet hat.

 

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