Kolumnen_Rez gscheid!

Bessere Herrschaften

Handwerk hat - so will es der Volksmund - goldenen Boden. Wer je eine Installateurrechnung zahlen mußte, wird dem in schmerzlicher Erinnerung beipflichten. Doch im Wienerischen bewährt sich das Sprichwort auch gleichnishaft: hier am Beispiel von Gewinden und Glasermeistern.    12.02.2009

"Languages matter!" wußte die UNESCO, als sie das Jahr 2008 zum "International Year of Languages" erklärte. Wir meinen: Ein Jahr ist längst nicht genug. Unser Sprachexperte Dr. Seicherl widmet sich daher weiterhin dem Österreichischen, genauer gesagt: der proletarisch korrekten Sprache im Alltag. Warum? Das erfahren Sie hier.

 

====================================

 

Sehr geehrter Herr Dr. S,

seit der Übernahme unserer Firma durch die Investmentgesellschaft X [Bezeichnung der Red. bekannt] beantwortet mein neuer Vorgesetzter dienstliche Anfragen oftmals mit "Mann, leck mich doch mal ... "

 

Wie sollte ich mich Ihrer Ansicht nach verhalten?

Hochachtungsvoll,


--- [Name der Red. bekannt]

 

****************************************

Dr. Seicherl antwortet:

Sehr geehrter Herr ---,

ich empfehle hier den Einsatz folgender Wendung:

Ii beiß da a gwind in oasch daßd schraufm scheißt.

Mit freundlichen Grüßen,


Dr. S

****************************************

Translation/Gebrauchshinweise:

= Ich beiße dir ein Gewinde in den Anus, sodaß du Schrauben defäkierst.
Diese bildhafte Drohung, gegebenenfalls eine profilierte Einkerbung - womöglich nicht metrisch bzw. der DIN entsprechend - im Rektum des Gegenübers zu applizieren, hat sich in der Kommunikation auch mit Bundesdeutschen oft bewährt. Eine Variante ähnlicher Technik lautet: Ii hau da a wendltrepn in oasch daß sid schas dastessn.
(Anmerkung: Die "Deutsche Industrie Norm" wurde 1918 ins Leben gerufen. Im damals eben erst zu Ende gegangenen Weltkrieg hatte sich die Inkompatibilität von Munition mit all den unterschiedlichen Schußwaffen als äußerst hinderlich herausgestellt. Das erste "genormte" Gewehr war das deutsche MG08, bekannt geworden in der Variante 15; vgl.: nui-ocht-fufzen.)

====================================

Verehrter Herr Doktor,

gestatten Sie, daß ich mich privatissime an Sie wende. Es handelt sich um meinen Gemahl. (Die Familie goutiert unsere Verbindung nicht; man betrachtet sie als Mesalliance. Nur weil er rund zwei Dezennien jünger ist als ich, und - wie soll ich sagen - nicht in unseren Kreisen verkehrte.)
Ich für meinen Teil empfinde seine direkte und erdverbundene Art als äußerst inspirierend, in jeder Hinsicht. Manchmal jedoch fällt es mir schwer, ihm zu folgen. Unlängst etwa gedachte ich ihn mit der Präsentation meiner eben erworbenen - pardon - Dessous zu überraschen. Als ich nun so vor ihn hintrat (er verfolgte eben, wenn ich mich recht entsinne, eine Sportübertragung im TV), forderte er mich auf, ihm Schuhwerk anzufertigen (?), da mein Vater kein Glasermeister gewesen sei (??).
Sie werden meine Ratlosigkeit verstehen. Daß Papa (Kommerzialrat v. D.-H., Gott hab ihn selig) nichts mit billiger Bijouterie im Sinne hatte, ist evident. So wende ich mich denn an Sie: Könnten Sie mir erläutern, was mein Angetrauter damit meinte?

Im Vertrauen auf Ihre Diskretion
sowie mit vorzüglicher Hochachtung


Cordula v. Dreihann-Holenia

 

*****************************************

Dr. Seicherl antwortet:

Hochverehrte Dame,

es ist mir eine Ehre, Ihnen behilflich zu sein.
Ich rekonstruiere die Aussage Ihres jungen Herrn Gemahls folgendermaßen:

Ge moch an schuach, dei voda woa ka glosara.

Damit wollte er Ihnen anscheinend mitteilen, daß Sie ihm die Sicht auf den Bildschirm verstellten.
Verstehen Sie dies am besten im Sinne der Bescheidenheit eines Diogenes. Als Alexander der Große vor den Philosophen hintrat und ihm mit den Worten "Nenne mir einen Wunsch!" gewissermaßen das Glück der Erde zu Füßen legte, antwortete jener nur: "Geh mir ein bißchen aus der Sonne."
Mit besten Empfehlungen,


Dr. S

*****************************************

Translation/Gebrauchshinweise:

moch an schuach: entferne dich bitte umgehend (vgl.: schleich di)
Der rhetorische Hinweis auf die väterliche Profession des oder der Angesprochenen ist ein poetisches Gleichnis: Allenfalls einem glosara würde man zutrauen, "durchsichtige" Nachkommen zu zeugen.

Dr. Seicherl

Rez gscheid!

Proletarisch korrekte Sprache im Alltag


Sie haben spezielle Fragen? Sie interessieren sich für die Herkunft einer Phrase? Sie haben keine Ahnung, was Ihnen Ihr unhöflicher Nachbar zu den unmöglichsten Tageszeiten zuruft? Zögern Sie nicht - schreiben Sie Dr. Seicherl unter Dr.Seicherl@gmx.net, oder hinterlassen Sie einfach einen Kommentar.

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Rez gscheid!

Blut und Granaten

Keine Sorge: Unser Sprachexperte ist wohlauf; die Überschrift ist mehr im etymologischen Sinne zu verstehen. Diesmal geht es nach Griechenland, Spanien und ... nun, lesen Sie selbst.  

Kolumnen
Rez gscheid!

Böhmische Dörfer

Gemäß amtlicher Statistik war Wien vor 100 Jahren die "zweitgrößte tschechische Stadt Europas". Und auch ein Blick in das heutige Telefonbuch zeigt: Böhmen und Mähren haben mehr hinterlassen als Powidl und Budweiser.  

Kolumnen
Rez gscheid!

Proletarischer Index

Dr. Seicherl und der EVOLVER präsentieren: das Nachschlagewerk unseres Wiener Sprachressorts! Hier finden Sie alle Ausdrücke und Wendungen, die unser Linguist bislang einer näheren Erörterung unterzog.
Schauen Sie nach ...  

Kolumnen
Rez gscheid!

Kroaten und Italiener

Das Wienerische differiert nicht nur von Bezirk zu Bezirk. So kann es passieren, daß eine Wendung auftaucht, die selbst unserem Sprachressort unbekannt ist. Wissen Sie mehr?  

Kolumnen
Rez gscheid!

Heiß und fettig

Der Würstelstand ist eine Wiener Institution, deren Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Was Sie über diesen essentiellen Mikrokosmos auch in sprachlicher Hinsicht wissen müssen, erfahren Sie hier - ausführlich erläutert von unserem Linguistikexperten.  

Kolumnen
Rez gscheid!

Juden und Alemannen

Wien war immer schon eine Stadt der vielen Völker. Zentrale Kulturgüter wie Küche oder Sprache verdanken das Ortstypische gerade den Beiträgen der Zugezogenen. Manche unter ihnen dürften hier jedoch nie heimisch werden.