Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 19

The B-52´s: "Funplex"

Es gab eine Zeit, da war diese amerikanische Band die coolste Waffe gegen Depro-Wave und Düster-Punk. Das ist allerdings schon so lange her, daß sich Manfred Prescher wundert, daß die Musiker überhaupt noch leben.    31.03.2008

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Mit Boeings B-52-Stratofortress-Flugzeugen wurden über Jahrzehnte hinweg amerikanische Werte und Bomben über die Welt verteilt. Eine Band so zu taufen, ist somit zumindest nicht verwerflicher, als sie beispielsweise Anthrax zu nennen - besonders dann, wenn die Gruppe nicht Gewalt, sondern Verrücktheiten und lustige Songs (also amerikanische Pop-Werte) über dem Planeten abwirft. Bevor jetzt jedoch wieder der naseweise Leser einschreiten muß und mir verrät, daß Fred Schneider, Keith Strickland, Kate Pierson, der 1985 verstorbene Gitarrist Ricky Wilson und seine Schwester Cindy bei der Gründung der B-52´s vor 32 Jahren nicht an Air-Force-Bomber dachten, sage ich hier und jetzt: Natürlich stand die Frisur Pate, der Kate und Cindy zu neuem Ruhm verhalfen - der "Beehive" (Bienenkorb).

Jener hochtoupierte Turmbau aus Haupthaar, der in den späten 50er und frühen 60er Jahren so beliebt war, daß sogar meine noch nie besonders hippe Mutter damit durch die Wirtschaftswunderlandschaft stöckelte, wird vom Südstaaten-Volksmund "B-52" genannt, weil er ziemlich an die rundlichen Nasen des Bombers erinnert. Militärgerät und Friseurkunst bilden also eine sprachliche Einheit, die den Scherzkeksen aus Athens/Georgia nicht entgangen sein dürfte. Gepaßt hat ja beides, schließlich befanden sich die B-52´s auf einem Kreuzzug gegen Düsternis und Schwermut.

Heute sieht das ganz anders aus: Kate Pierson und Cindy Wilson überlassen der Jugend, sprich der schwer wehmütigen Amy Winehouse, das Tragen von Bienenkörben. Und es klingt auch irgendwie anders, womit die erneute Eroberung der Welt durch quietschfidele Fröhlichkeit schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt sein dürfte. Was also gestern frech, bunt und ultrasüß war, ist heute halt nur mehr eine müde Reminiszenz an alte Zeiten.

 

Aber was macht den Unterschied aus zu - sagen wir zum Debütalbum von 1979? An den Ingredienzen liegt es sicher nicht, "Funplex" hat alles, was schon frühe Gassenhauer wie "Private Idaho", "53 Miles West From Venus", "Rock Lobster" oder - welch ein einmalig schöner Titel - "There´s A Moon In The Sky (It´s Called The Moon)" hatten: wavige Gitarre, eine flotte Melodie und den Wechsel zwischen dem Sirenengesang von Kate und Cindy auf der einen und dem stoischen Sägen von Fred Schneider auf der anderen Seite.

Trotzdem zündet die nur in virtueller Form vertriebene Auskopplung "Funplex" aus dem neuen, gleichnamigen Album nicht so recht. Liegt es womöglich daran, daß 16 Jahre seit der letzten Platte der B-52´s ins Land gegangen sind? Sehr wahrscheinlich - erstens war schon das damalige Werk "Good Stuff" ein eher spätpubertärer Nachzügler, und zweitens haben sich die Zeiten geändert. Man hat sich an alle erdenklichen Peinlichkeiten gewöhnt, was auch heißt, daß jeder herumhanswursten darf, wie er will, und dies auch frank und frei tut. Dazu kommt noch ein dritter Punkt: Zu keiner Zeit würden Mädchen und Buben lachen, wenn das Kasperle wie der Weihnachtsopa mit weißem Rauschebart daher käme.

Oder, anders ausgedrückt: Die übrig gebliebenen vier B-52´s sind einfach schon zu alt für Kindereien. Neue Fans lassen sich mit "Funplex" also nicht finden - und die, die zur Flintstones-Zeit zu "Rock Lobster" tanzten, sind heute auch schon ins Vorgreisenstadium eingetreten und mehrheitlich in Richtung gediegene Buena-Vista-Ry-Cooder-Van-Morrison-Sounds abgedriftet. Da nützt es auch nichts, daß der Song nur lustig klingt, der Text aber ernster sein will: "Misery at the funplex/And there´s too much sex/Faster, faster, thrill, thrill/Too much to do/It´s time for a pill." Da höre ich lieber R. E. M., die andere große Gruppe aus Georgia. Da sind die Texte von vorneherein nicht lustig.

Das muß man sich mal vorstellen: Mit 175.000 Einwohnern wäre Athens Österreichs drittgrößte Stadt, im XXL-Maßstab der USA ist sie aber eher ein Nest wie hierzulande St. Öd im Brunztal. Trotzdem ist die City am Okonee River, umgeben von Baumwollfeldern, eine Musikmetropole. Vic Chesnutt, DJ Danger Mouse oder eben die B-52´s und R.E.M. stehen für eine Vielfalt, die man einem Provinzkaff gar nicht zutrauen sollte. Aus Athens stammt übrigens auch Kim Basinger, aber die ist inzwischen ebenso gealtert wie die nicht sehr frisch auferstandenen Fun-Rocker. Da haben es Michael Stipe und seine beiden Mitstreiter einfacher: Ihre Musik klang immer schon erwachsener, sie ist auch weniger vom Zeitgeist besetzt und bleibt damit von Staub und Mief befreit. Im direkten Vergleich der beiden neuen Alben zeigt sich das ebenfalls. Auch, wenn sich R.E.M. mit "Accelerate" auf frühere Phasen besinnen, wirkt die Platte deutlich aktueller und weniger altbacken als "Funplex".

Womit ich nebenbei eine erste kurze Einschätzung zur neuen R.E.M. kundgetan habe, die nicht der im vorangegangenen "Miststück" geäußerten Vorahnung entspricht. Man sollte sich halt nie von den Schwarz-weiß-Ansichten zweier CD-Covers und einer faden Vorab-Single irreführen lassen. Trends setzen freilich beide Bands nicht, das kann man in diesem Jahr getrost Hercules & Love Affair überlassen. Über deren Mischung aus Hip-Disco, House und Electro-Groove gibt´s im nächsten "Miststück" mehr.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

The B-52´s - Funplex

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EMI (USA 2008)

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Kommentare_

Robert Sonnleitner - 21.04.2008 : 12.21
Na ja, ich hab schon "zur Flintstones-Zeit zu "Rock Lobster" getanzt", bin damit "schon ins Vorgreisenstadium eingetreten" und werde mir zu meinem demnächst eintreffenden 43 Geburtstag einen Krückstock und eine Doppelpackung Viagra kaufen, falls ich das überhaupt in diesem fortgeschrittenen Alter noch brauche. Wozu auch, im Vorgreisenstadium sollte ich das Geld nicht in B-52's Cds investieren, sondern lieber in eine Grabstätte.
Liebe Evolver, also das mit dem Alter finde ich ein bisschen übertrieben. Womit ich ihnen Recht gebe: Neue Fans werden die B-52's mit dem Album nicht finden. Aber die "alten" Fans sind noch nicht so alt, dass sie alle ausgestorben wären.

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