Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 63

The Fugs: C.I.A. Man

Wieder einmal ein Oldie - und doch so zeitgemäß. Manfred Prescher erklärt, wie ein Abend vor dem DVD-Player zu einer genialen Wiederentdeckung führen kann.    03.06.2009

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

 

Die Frage, ob Ethan und Joel Coen begnadete Genies sind oder ob aus der Beinahe-Wortdopplung wenigstens eines herauszustreichen und durch "dilettantisch" oder "Dilettant" zu ersetzen ist, beantworte ich an dieser Stelle nicht. Auch mit meiner Einschätzung zu "Burn After Reading" halte ich hinter den sieben Bergen. Eines steht für mich aber fest: Der Abspann des letzten Werkes der irgendwie cleveren Brüder aus Minnesota hat es in sich. Da zeigen die Coens mal wieder ihre musikalische Einfühlsamkeit und mehr Geschmack als die meisten Hollywood-Regisseure. Als ich schon glaubte, es ging nix mehr, kam im Abspann ein "C.I.A. Man" daher. Und mit diesem Song entdeckte ich eine Band wieder, die nicht nur aus dem kollektiven Bewußtsein, sondern auch aus meinem entfleucht ist: The Fugs.

 

Die Formation wurde 1964 von Ed Sanders und Tuli Kupferberg gegründet, wechselte aber das Line-up schneller als Iggy Pop seine Unterhosen. Ihre Musik einzuschätzen war Mitte der 60er Jahre noch schwerer als heute, weshalb es der Band auch nicht gelang, richtig erfolgreich zu sein. Sie saßen konsequent zwischen allen Stühlen: Waren die Fugs Beatnik-Poeten? Oder gar Hippies? Waren sie Brüder im LSD-Geist von Beefheart, Zappa oder gar Velvet Underground?

Auf jeden Fall erschien deren Mentor Andy Warhol auf dem ersten Gig der Fugs im Februar 1965. Angeblich hielt der Pop-art-Gott große Stücke auf die Gruppe, vor allem gefiel ihm ihr kabarettistisches Talent. Dann waren sie also linke Polit-Clowns mit künstlerischem Anspruch? Wahrscheinlich setzten sich die Gruppen-Gene aus Einzelteilen aller angesprochenen Richtungen und Stile zusammen. Das Ergebnis klang dann meist eher nach viel zu frühem Punk, daher liefen die Touren mit echten Hippies wie Fleetwood Mac oder Ten Years After auch nicht so besonders gut. Die Scherzkekse aus der New Yorker Künstlerszene, die unter anderem eben auch mit William Burroughs und - logisch - Allen Ginsberg - befreundet waren, setzten sich am liebsten über Konventionen hinweg, weshalb auch Jimi Hendrix ein bekennender Fugs-Fan war. Das berühmteste Beispiel ihres sprichwörtlichen Hangs zum damals durchaus notwendigen Tabubruch stammt von den Essener Songtagen im Herbst des Legendenjahrs 1968: Auf der Bühne präsentierten sie ein rosiges Schwein als ihren eigenen US-Präsidentschaftskandidaten. Vom Volk wurde zwar dann doch Nixon gewählt, aber eine veritable Sau war der bekanntermaßen auch.

 

Ihr "C.I.A. Man" ist 45 Jahre alt und klingt immer noch unglaublich modern, sogar im direkten Vergleich mit den sympathischen Gutmenschen-Punks von Green Day. Was auch daran liegt, daß die Central Intelligence Agency immer noch genauso ungerührt das Weltgeschehen beeinflußt wie in den ersten Jahrzehnten nach der Gründung anno 1947. Folter, Spionage, verdeckte Ermittlungen gegen Gott, die Welt und wahrscheinlich auch Besucher von Beteigeuze gehören zum Arbeitsalltag der dunklen Macht, die oft nicht mal von der Regierung der USA kontrolliert werden kann. Sätze wie: "Wer kann einen General in seinem Bett umbringen?" oder "Wer nimmt den Zucker aus den Sack und ersetzt ihn durch LSD?" stimmen halt immer noch.

Im englischen Poem der Fugs lesen sie sich übrigens auch noch witzig: "Who can train guerrillas by the dozens?/Send them out to kill their untrained cousins?" oder "Who can get a budget that´s so great?/Who will be the 51st state?/Who has got the secret-est Service?/The one that makes the other Service nervous?" Die Antwort ist immer gleich - und ebenfalls nach wie vor richtig: Es ist der schwarze Mann, der "Fuckin-a man", der "C.I.A. Man". Alles in allem sehr aktuell, die Story, denn im Kern des Textes geht es um Amerikaner, die darauf vorbereitet werden, unter Arabern für antiwestlichen Aufruhr zu sorgen. Wer glaubt, so etwas wäre nicht möglich, ist sicher längst von den Männern in Schwarz geblitzdingst worden.

Das aus jüdisch-gläubigen Familien stammende Kollektiv The Fugs hatte den wahren Schuldigen an vielen Krisen und Katastrophen ausgemacht - und geriet daher selber ins Visier der Ermittler. Aber das liegt Jahrzehnte zurück. Heute provoziert der Song niemanden mehr, weil es gar nicht mehr möglich ist, wirklich und nachhaltig zu provozieren. Die Botschaft ist dennoch wahr, und immer noch trifft Ed Sanders´ cool-lakonische Version einer Dan-Aykroyd-Stimme ins Mark. Der lässig-rüde Rumpel-Sound funktioniert auch 2009 noch.

Ob auch Rockopern noch zeitgemäß sind, werde ich - mit Blick auf Green Day - nächste Woche an dieser Stelle verraten.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

The Fugs - The Village Fugs/The Fugs First Album

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Universal

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