Kolumnen_Miststück der Woche III/71

The Notwist: "Kong"

Was lange währt, wird bekanntlich unruhig. Und weil das so ist, bequemt sich Manfred Prescher an den Schreibtisch und widmet sich endlich den oberbayrischen Netzwerkpionieren.    17.02.2014

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.


Man kann sein Leben damit verbringen, Bruce Springsteen zu hören und "High Hopes" in Richtung einer besseren Welt zu schicken. Das ist an und für sich ehrenwert und durchaus auch etwas, was man gut anstreben kann. Man bekommt zwar dadurch nicht den Frieden auf Erden, höchstens ein allerdings nur im häuslichen Bereich oder bei kollektiver Feuerzeugentladung funktionierendes Instant-Derivat davon - aber das auf gleichbleibend hohem Fertigungsniveau.

1989, als in Weilheim - 21.308 Einwohner (Stand 1. Jänner 2013) und geschätzt gleich viele Abkömmlinge des eurasischen Auerochsen - die Brüder Acher unter anderem The Notwist gründeten, hatte Springsteen gerade seinen 40. Geburtstag gefeiert und sich eine kreative Auszeit genommen. "Born In The USA" lag fünf Jahre zurück, und "Tunnel Of Love" war eher medioker geraten. Miteinander zu tun hat das alles natürlich überhaupt nichts, wenn man den verblüffend kontinuierlich vor sich hin strömenden Lauf des Zeitenflusses außen vor läßt. Aber das will ich gerade nicht.

Während nun der "Boss" (genau, der heißt so, wegen seiner maßgefertigten Jeanshosen) sich früh ein klassisches Netzwerk aufgebaut hat, das bis hinein in die "Sopranos" reicht, fand rund um Notwist von Anfang an eine Art freilich noch unvirtueller Flashmob statt. Damals hielt man sich noch echte Bücher vors Gesicht, was irgendwie schon "Facebooks" hätten sein können, aber das Wort kannte niemand. Apropos Facebook: Interessanterweise kann man dort seinen Beziehungsstatus differenziert einstellen und der Welt mitteilen, was sowieso jedem klar ist, nämlich, daß man in einer "komplizierten Beziehung" lebt. Da wir das vermutlich alle tun, ist es eigentlich nicht weiter erwähnenswert. Aber das gilt insgesamt ohnehin auch für das Gesichtsbuch als Institution. Dementsprechend soll sich da in ein paar Jahren keine Sau mehr drin tummeln, vielleicht höchstens ein paar zweibeinige Nachkommen des eurasischen Auerochsen.

Während Facebook irgendwann so mausetot sein wird wie leider auch James "Tony Soprano" Gandolfini, werden Springsteen und The Notwist weiterleben und uns immer wieder mal mit schöner Musik beglücken. Besonders den Bayern trau´ ich einiges zu. Ihr aktuelles Album "Close To The Glass" steht in den Startlöchern - langerwartet, denn der Soundtrack zu "Sturm" liegt schon fünf, das Meisterwerk "The Devil,  You + Me" gewaltig lang anmutende sechs Jahre zurück. Mittlerweile ist die Formation beim richtig legendären amerikanischen Label Sub Pop unter Vertrag. Genau, von da wechselten Nirvana zur Industrie, was anschließend dann doch nicht "halb so wild" bzw. "Nevermind" war, wie sich das Cobain, Grohl und Co. vermutlich dachten. Außerdem stand oder steht Sub Pop zum Bleistift auch noch für Mudhoney, Soundgarden, die White Stripes, die Smashing Pumpkins oder die von mir immer sehr geschätzten Friends Of Dean Martinez. Ach - und aktuell lebt man wohl ganz ordentlich von den rechtschaffen cool-verrückten Neo-Hippies namens Fleet Foxes, über die ich schon 2009 schrob.

 

Ich hoffe zuversichtlich, daß auch Notwist durchstarten werden, verdient haben die alle Arten von Verdienst. Eigentlich müßten die Jungs mit der CD mehr einnehmen als ein Ackermann im Laufe seines Daseins. Das wäre, beim nichtvorhandenen Barte Springsteens, nur gerecht. Die zweite Single aus dem Album "Close To The Glass" heißt "Kong" und ist irgendwie ziemlich nostalgisch. Zum einen zelebrieren die Jungs eine echte Superhelden-Spätliebe, die jeder gut finden kann, der zum Beispiel 15 Jahrgänge "Amazing Spider-Man" besitzt, Stan Lee und Carl Barks zu Heiligen erklären würde und bei Don Martin sein Leben lang in frühkindliches Giggeln verfällt. Zum anderen könnte die Musik dazu wahrlich auf frühen Kleinoden wie "Shrink" oder "Neon Golden" zu finden sein - purer, intelligenter, zeitlos schöner Pop eben. Unspektakulär, unaufgeregt und ungeheuer in seiner Dauerwirkung.

Nächste Woche will ich hier entweder über die etwas überhypeten Ja, Panik schreiben und dabei der Frage nachgehen, ob Österreicher wirklich nach Berlin übersiedeln sollten. Oder ich kümmere mich um Judith Holofernes, die ein recht nettes Album  namens "Ein leichtes Schwert" veröffentlicht hat. Ich weiß, ihr könnt es kaum erwarten, das zu lesen. Aber Geduld, Girls and Boys. Und im Zweifelsfalle könnt ihr euch bei EVOLVER alle alten bzw. zeitlosen Kolumnen "reinziehen" oder euch die ersten 200 auf den E-Book-Reader, das Tablett oder das Smartphone schaufeln. Auf daß die Dinger nicht nur in irgendwelche Netzwerke funken, sondern mal was Gscheites machen. Vielleicht sind dann am Ende sogar eure Beziehungen weniger kompliziert. Das könnte echt sein!  

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

The Notwist: "Kong"

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Enthalten auf der CD "Close to the Glass " (City Slang/Universal)

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