
Kolumnen_Zapped
Die Perfektion im Imperfekt
Sie sind menschliche Wracks. Sie sind Besserwisser. Sie lösen jeden Fall in 30 Sekunden. Sie werden vom Publikum gehaßt und bewundert: Die Krimihelden von heute sind die Anstaltinsassen von morgen. 14.02.2011
Bogey war gestern. Die Zeiten, als echte Männer junge Frauen ins Flugzeug abschoben sind vorbei. "Kleines", "Baby", "Süße" - längst Tabu. Heute ohrfeigt kein Mann mehr eine hysterisch kreischende Frau, die eine Leiche sieht und deswegen tagelang darniederliegt, große Rehaugen und nervöses Zucken inklusive.
Heute wird Monk von seiner Assistentin geohrfeigt, weil er ein Staubflunserl gesehen hat und deswegen tagelang darniederliegt (samt großen Rehaugen und nervösem Zucken). Was aber egal ist, weil er weiß eh schon längst, wer der Mörder ist, und mit der Einleitung: "Es lief so ab" wird’s auch dem Publikum klar, das wie immer blöd dasteht; wie hat er das bloß wieder gemacht, der Monk?
Ganz einfach: Er ist ein Genie. Und er hat das Drehbuch gelesen, was die Sache vereinfacht, denn bei der erstbesten Gelegenheit deutet er auf irgendeinen besonders unschuldig wirkenden Passanten: "Er war’s!". Er hat zwar keine Erklärung dafür, aber recht hat er immer - es würde dem Zuseher viel Zeit ersparen, wenn ihm endlich einmal jemand von Anfang an glaubte. Die restlichen 40 Minuten verbringt Monk nämlich damit, Streichhölzer zu zählen, seine Putzmittel zu putzen und die Beißzange mit der Beißzange aufzuheben - Bogey würde im Grab rotieren.
Die Helden von gestern haben souverän jede schwierige Situation gemeistert und waren stets Herren der Lage. Sie sind trocken aus dem Wasser gestiegen, hatten nach einem Faustkampf keine einzige Falte im Anzug und selbst in der Kanalisation noch polierte Schuhe. Und auch bei minus 30 Grad im Schatten und Schneesturm war die Frisur wie festbetoniert - mehr Heroismus gibt’s gar nicht.
Aber echte Helden funktionieren heute nicht mehr im amerikanischen Serien-Dschungel: Heute sind sie Psychos mit Talent, denen man gern beim Scheitern zusieht. Warum? Weil wir nicht mehr aufsehen wollen zum Supermann, der alles kann, wir wollen runterschauen auf den Anti-Helden, der sich im Absperrband verheddert, Hygiene-Tücher verlangt und sich beim ersten Anzeichen von Gefahr totstellt.
Wollen wir, kriegen wir, und zwar jeden Tag: Kaum eine US-Serie kommt noch ohne Genie aus, und zwar mit autistischen Zügen und extremem Hang zum Huscher. Beispiele?
"Bones" - sie erkennt den Lebenslauf eines Toten anhand des Mittelfußknochens, hat aber von menschlicher Interaktion so viel Ahnung wie ein Wurstbrot.
Oder Dr. Spencer Reid aus "Criminal Minds": Er hat mit 27 Jahren drei Doktortitel, kann 20.000 Wörter pro Minute lesen und hat trotzdem keine Freundin.
"The Mentalist" - hübsch anzusehen, aber völlig plemplem: Er rüttelt jeden Tag am Watschenbaum und wird wieder nicht gefeuert. Und bei seinem süffisanten Grinsen würde auch der Zuseher gern einmal zuhauen ...
"Lie to me": Wer zuerst zwinkert, ist der Mörder - so das Motto der Serie. Die Hauptcharaktere sind menschliche Lügendetektoren, die schonungslos ehrlich sind, weil’s eh jeder sieht, wenn sie lügen - da wird jeder Flirt automatisch sinnlos.
Sie alle sind das Gegenteil der alten Helden, und doch haben sie etwas mit ihnen gemeinsam: Keiner will sie jemals im echten Leben kennenlernen. Stellen Sie sich Bogart in Ihrem Wohnzimmer vor: so perfekt wie der Schönling aus der Davidoff-Werbung, aber nach einer Minute genauso uninteressant. Der bröselt nicht, der verwendet Untersetzer, da können Sie gleich mit Meister Proper zusammenleben. Und Monk? Bröselt auch nicht, sondern verwendet einen Handstaubsauger; und dann einen anderen Handstaubsauger, um den ersten Handstaubsauger klinisch zu reinigen - der ist so wahnsinnig, daß man selbst wahnsinnig wird.
Und überlebensfähig wären die beiden auch nicht: Bogart nicht, denn bei seinem Lebenslauf würden Arbeitgeber sofort mißtrauisch. Wie bitte, Actionheld, perfekter Liebhaber, stählerner Moralist und Kettenraucher? Rufen Sie uns nicht an, wir melden uns bei Ihnen. Und wer Monk in seinem Büro hat, der ruft nach zwei Minuten den Sicherheitsdienst, die Polizei, die versammelte Mannschaft von Steinhof und sicherheitshalber die Nationalgarde. Und dann werden Sie als Held gefeiert, weil Sie den Irren aus dem Verkehr gezogen haben.
Aber im Fernsehen funktioniert das, denn je geistesgestörter der Charakter, desto höher die Quote - Rückschlüsse auf den Zuschauer sind rein zufällig.
So, das war’s, mehr habe ich dazu nicht zu sagen, außerdem hab ich zu tun: Es ist Montag, 23:15, und ich steh auf Dexter.
Kommentare_
Na, zum Glück gibt es ja noch ein paar Alternativen. Ich denke da an Christopher Chance, Jack Bauer oder Vic Mackay. Der Sinn dieser Beknacktencops, Mysteryermittler oder Visionen geplagten Profiler liegt wohl vor allem darin, dass sich die Drehbuchautoren nicht mehr mit so anstrengenden Dingen wie Logik oder Handlungsaufbau abgeben müssen. Insofern sind mal deutsche Serien oder Reihen wie TATORT, SOKO (und allem, was in Münster angesiedelt ist) auf der Höhe der Zeit: Einhundert Idioten und kein nicht grenzdebiler Autor in Sicht.
Semantisch kann es immer nur eine Alternative geben, denn (lat.:)"alter" heißt "einer von beiden" ... egal. Als altem Mann können mir die modernen Spinner sowieso gestohlen bleiben - wenn schon überkandidelt, dann Jason King. Oder eben Department S. Ansonsten Die Zwei, Mike Hammer, etc. - gerne auch Miami Vice.
Ich gebe es zu: In Krimiserien präferiere ich polierte Schuhe. (Ausnahmen gibt es nur für Ermittler, die im zerknitterten Mantel einem schrottreifen Peugeot stilgerecht entsteigen können.)
Über bundesdeutsche Serien breiten wir ohnehin den Mantel des Schweigens; Österreich hatte wenigstens Kottan.
Richtig: Es liegt an der Denkfaulheit der Drehbuchautoren, die mit den modernen Genies fehlende Logik ausgeglichen haben. Ob man das Jack Bauer nicht auch vorwerfen kann, kann ich nicht beurteilen, weil die Serie so schnell geschnitten ist, das kein Schwein mehr mit dem Denken nachkommt. Aber stimmt: Es gibt noch ein paar stählerne Helden der Neuzeit, und ich meine damit nicht den Bullen von Tölz. Nachsatz: `Die Zwei´ - in der deutschen Synchro super, im amerikanischen Original nur halb so gut, oder?