
Kolumnen_Zapped
Abstinenz für Anfänger, Teil 1
Ich hab’s satt. Ich kann nicht mehr. Wie bei einer Zigarette kommt irgendwann der Punkt, da ist es nur noch grauslich. Also höre ich auf, wenigstens eine Woche lang, nur so, als Selbsttest, weil: Wie schwer kann es schon sein, auf das Patschenkino zu verzichten? 28.02.2011
Ich habe ihn geliebt, ich habe ihn umarmt, ich habe seine Fernbedienung gestreichelt und ihn mit Kanälen gefüttert. Ich habe mit ihm gelacht, geweint, und mir die Augen zugehalten, wenn es zu gruselig wurde. Er hat mir vorgesungen, mich in den Schlaf gewiegt, er hat meinen Puls reguliert und mir gezeigt, daß andere Menschen ein viel interessanteres Leben führen. Kurzum: Mein Fernseher hat meine Realität immer schon um Fiktion bereichert.
Der Nachteil ist nur, daß alles andere zu kurz kommt, zum Beispiel mein Leben. Ich wollte immer schon was basteln. Ich wollte immer schon meine Wohnung aufräumen. Ich wollte meine Freundschaften pflegen, ins Kaffeehaus gehen, mehr schreiben; ich wollte raus aus dem Haus und rein ins Leben.
Und außerdem wollte ich immer schon Supermodel und Held von Morgen werden, bei der Millionenshow gewinnen, den Mount Everest besteigen oder zumindest zum Südpol laufen. Weil ich gelernt habe: Im Fernsehen machen die Leute das dauernd.
Das sind zwar alles gute Gründe, das Fernsehen seinzulassen, aber mir hat das nicht gereicht. Ich habe mich erst mit Grausen von dem Flimmerkastel abgewandt, als mir zwei Dinge aufgefallen sind, zwei Kleinigkeiten, über die ich lange geschwiegen habe: Erstens, ich träume in 3 D und mit Dolby Digital Sound.
Und zweitens kann ich Ihnen zwar sagen, wer bei Star Trek der Statist hinten links ist, zweite Reihe, der mit dem Schnauzer. Und zwar inklusive Geburtsdatum, Geburtsort und Wohnort der Mutter. Aber wenn mich ein Bekannter auf der Straße anspricht, habe ich keine Ahnung, wo zum Teufel ich den jetzt hintun soll.
Und nach einer weiteren Peinlichkeit der Marke "Und ... wie geht’s der ... äh ... Frau?" - "Immer noch geschieden, aber danke der Nachfrage" war klar: Jetzt ist Schluß. Ab sofort werde ich aufhören fernzusehen, anfangen zu leben und mir endlich die Namen meiner Freunde merken.
Denn es ist ja so: Das Gehirn hat nur eine beschränkte Aufnahmefähigkeit. Und wenn die Namen meiner besten Freunde nach und nach verdrängt werden vom Namen der Stuntmänner aus Shanghai Noon, dann muß man anfangen, Prioritäten zu setzen.
Das Ziel der Übung war also: eine Woche ohne Patschenkino. Kann ja nicht so schwer sein, oder?
Tag 1
Ich habe den Fernseher verhüllt und ein Absperrband herumgewickelt, nur zur Sicherheit. Aber das hab ich eigentlich gar nicht nötig, weil mir so viele Sachen einfallen, die ich erledigen muß. Ich denke gar nicht an den Fernseher.
Ich denke an meine Waschmaschine, und was ich alles noch sauber haben will. Ich erkläre den Montag offiziell zum Waschtag und beobachte die Trommel, wie sie ihre Runden dreht. Das Ergebnis gefällt mir nicht und ich wasche alles nocheinmal, weil in der Werbung funkelt die Wäsche ja auch Lenorfrisch vom Wäscheständer inmitten der duftenden Blumenwiese.
Aber ich habe bereits an diesem ersten Tag viel gelernt, und zwar ganz ohne Fernseher: Im Winter gibt es keine Blumenwiesen. Und wer seine Unterwäsche im Hundepark vor dem Gemeindebau auf einen Wäscheständer hängt, der braucht sich nicht zu wundern.
Tag 2
Zwei Unterhosen weniger, aber immer noch kein Gedanke an Fernsehen. Ich habe eine Liste abzuarbeiten und gehe sie noch einmal durch: Basteln steht da, warum auch immer ich das hingeschrieben habe. Also betrete ich einen Bastlerladen mit der Frage auf den Lippen, was man denn so basteln könnte. Ein Modellschiff? Ein Modellschiff in einer Flasche? Einen Modellpanzer? Ein Modellflugzeug? Oder für die Profis: Ein Modellflugzeug, das auch fliegt?
Im Fernsehen ist immer von Träumen die Rede, die in Erfüllung gehen, wenn man nur ganz fest dran glaubt. Also glaube ich ganz fest daran, daß ich ein Modellflugzeug basteln kann, das auch tatsächlich fliegt. Der Verkäufer glaubt nicht ganz so fest an mich, der Ignorant, aber dem werde ich es schon zeigen.
Stunden später glaube ich immer noch ganz fest an mich und klebe mit meiner Hand ganz fest am Rumpf des Flugzeugs. Der Fall ist wasserdicht: Er läßt sich mit Wasser nicht lösen, also glaube ich ganz fest daran, daß mir der Verkäufer des Bastlerladens hilft. Der lacht aber nur, der Ignorant.
Tag 3
Zwei Unterhosen weniger, ein flugzeugförmiges Stückchen Haut weniger, aber immer noch keine Lust auf Fernsehen. Warum auch? Die Realität ist doch so viel schöner!
Auf der Liste steht irgendwas vom Mount Everest und Südpol, wahrscheinlich im Fieberwahn geschrieben, ich kann mir das nicht erklären. Eine kurze Überprüfung meiner Kondition beweist: Es reicht nur für den Kahlenberg. Also beweise ich mentale Stärke und begebe mich auf eine Expedition zum Kahlenberg, der ist wenigstens nicht so weit weg, und zu erzählen hat man mindestens genausoviel.
Zum Beispiel vom Busfahrer, der sich unnötig wegen meiner Steigeisen aufregt; ruiniert ihm den Boden, sagt er. Ich bin sicher, Reinhold Messner müßte sich nicht mit solchen Vollidioten herumschlagen, aber ich habe die Situation heroisch gemeistert und den Busfahrer am Kahlenberg zu einem Kaffee eingeladen.
Damit können an diesem erfolgreichen Tag 3 gleich drei Sachen von der Liste gestrichen werden: Kaffeehaus, Mount Everest und Held von Morgen. Fernsehen? Pfff. Brauch ich nicht.
Mehr Realität gibt’s dann in der nächsten Ausgabe dieser Kolumne - ich treffe mich nämlich gleich mit Freunden, die ich schon ewig nicht mehr gesehen habe. Zum Beispiel dem ... äh ... es fällt mir gleich wieder ein ... na, eh schon wissen: Der Freund von mir, der noch nie ein Modellflugzeug gebaut hat, weil er immer vorm TV-Kastel sitzt.
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