Kolumnen_Zapped

Abstinenz für Anfänger, Teil 2

Wie wenig Fernsehen erträgt der Mensch? Im ersten Teil habe ich den TV-Schirm mit Absperrband umwickelt und wahre Höhenflüge erlebt. Doch die Kasteiung fordert ihren Tribut.    14.03.2011

Tag 4

 

Halbzeit. Wäre es zumindest, wenn ich mir die Champions League ansehen dürfte, aber die Burschen müssen heute ohne mich zurechtkommen. Ich habe was Besseres vor; ich weiß nur noch nicht so genau, was. Ein Blick auf die Liste beweist, daß ich schon alles abgehakt habe: Ich habe gebastelt, ich war auf dem Berg, ich habe meine Wäsche gewaschen und mich mit Freunden getroffen - summa summarum habe ich den extremsportlichen Teil geschafft.

Was jetzt? Ach ja: schreiben. Flugs greife ich zur Feder und erkenne, daß ich keine Ahnung habe, was ich schreiben soll. Schlaue Professoren behaupten, man soll das schreiben, was man kennt, aber ich kenne alles nur aus dem Fernsehen. Weiters behaupten dieselben Herren, daß ich schreiben soll, was mich bewegt, aber was soll mich denn bewegen, wenn nicht das Fernsehen?

Die Bastelei hat mich nur zum Arzt bewegt, der Busfahrer zum Aussteigen, und die Freunde zum Namens-Memory - ob das für einen Roman reicht, ist fraglich. Was mich noch bewegt, ist die Catsan-Werbung mit den flauschigen Miezekätzchen, aber wo kriege ich um die Tageszeit Katzenstreu her? Oder die passenden Katzerln? Und wen interessiert das, wenn ich drüber schreibe?

Da beißt sich doch ... na, geschenkt. Ich habe aufgehört, fernzusehen, um mehr zu leben, und lebe seither von der Erinnerung ans Fernsehen. Das Motto für die nächsten Tage lautet somit: Mehr bewegen! Dann kann ich auch was erzählen.

 

Tag 5

 

Ich bewege mich vorsichtig um den Fernseher herum, aber er schaut mich nur vorwurfsvoll an. Ich bin knapp daran, zu testen, ob er überhaupt noch funktioniert, aber dann lasse ich es: schließlich bin ich bekannt für meinen eisernen Willen.

Ein paar Phantasien sind aber gestattet, und so sehe ich mich schon am Ende meines Experiments: Ich wette, wenn ich wieder einschalte, ist es so, als würde ich zum ersten Mal fernsehen - die Bilder kristallklar, der Ton wie in der Staatsoper, die Serien fesselnd, die Nachrichten beeindruckend schlecht.

Das Bild, das ich von der Außenwelt habe, ist noch schlechter: Nebel und Tristesse laden nicht gerade zu romantischen Winterspaziergängen ein. Der Ton ist ebenfalls gedämpft mürrisch, von Catsan-Kätzchen keine Spur, und kalt ist es auch - gerade das richtige Wetter für die Couch, ein Packerl Chips und ...

Ich lasse die Fernbedienung fallen - meine Hand zittert ein wenig, mein Lachen auch. Gleich darauf beruhige ich mich: Reine Gewohnheit, wie beim Rauchen - plötzlich hat man eine Zigarette im Mund und keiner weiß, wie die da hingekommen ist. Die Erkenntnis des Tages: Vielleicht sollte ich mit dem Rauchen anfangen?

 

Tag 6

 

Ich habe einen Alptraum: Die GIS steht vor meiner Tür und will mir die Gebühren zurückzahlen. Ich wache schweißgebadet auf und kaufe mir sofort ein Packerl Zigaretten - dann hab ich wenigstens etwas zu erzählen, und sei es nur dem Arzt von meiner Atemnot.

Wetter und Stimmung haben sich seit gestern nicht verbessert, also nütze ich den Tag für ein paar dringende Hausarbeiten. Ich staubsauge, ich lüfte gründlich, ich putze die Fenster, ich wasche ab, ich wische und poliere - abgelenkt werde ich nur von der Putzfrau, die plötzlich in der Wohnung steht. Ich schreie sie an, daß es hier fürchterlich aussieht und kontrolliere jeden ihrer Handgriffe, bis sie die Flucht ergreift.

Ein kurzer Selbstcheck, und ich bin sicher, daß alles in Ordnung ist: Mein Auge hat immer schon so seltsam geblinzelt, und diese innere Unruhe ist auch völlig normal. Zur Sicherheit rauche ich eine und fühle mich tatsächlich besser. In der anderen Hand halte ich die Fernbedienung, ich brauche etwas zum Anhalten.

 

Tag 7

 

Ich stehe auf und putze mir die Zähne mit meiner Fernbedienung. Ich stelle mich auf den Balkon und drehe am Farbregler, bis der Himmel blauer wird. Trotzdem habe ich keine Zeit für Spaziergänge, ich muß dringend bei einer Internet-Meinungsumfrage von UPC mitmachen. Als die Frage kommt, zu welcher Tageszeit ich den Fernseher einschalte, weine ich.

Die Nerven liegen blank: Der Müsli-Napf sieht aus wie eine Satellitenschüssel, meine Cornflakes formieren sich zu einer Komödie, bei der Kleidungswahl möchte ich das Publikum befragen. Ich höre den ganzen Tag über einen anhaltenden Ton im Ohr, vielleicht Tinnitus, vielleicht aber auch Sendeschluß, ich kann es nicht mehr unterscheiden.

Die Welt steht still: Da die ZIB meine einzige Nachrichtenquelle ist, habe ich keine Ahnung, was draußen passiert. Gibt es noch Menschen, denen es schlechter geht als mir? Oder sind plötzlich alle glücklich geworden? Ich weiß nicht mehr, mit wem ich mich messen soll, ich habe alle Bezugspersonen verloren. Diese Nachricht trifft mich, trommelt auf mich ein, schlägt mich nieder und raubt mir das Bewußtsein. Ich falle ins Koma.

 

 

00:01: Gerade aufgewacht. Ich drehe lässig den Fernseher auf, ganz ohne Hast. Das Bild ist perfekt, der Ton ein Klangerlebnis, die Serien waren nie wunderbarer, die Nachrichten nie schlechter. Und ich habe zwei neue Kanäle!

 

Nachtrag:

Eine Woche ist vergangen, und die Demenz setzt bereits ein. Ich weiß jetzt: Ich könnte jederzeit aufhören, ganz leicht, ich bin nicht süchtig. Aber ich weiß auch etwas anderes: Das Leben da draußen ist niemals so spannend wie das Leben drinnen - der Fernseher ist mein Arzt und mein Apotheker, er ist die Medizin gegen Langeweile und die Tablette gegen die Realität.

Und deswegen umarme ich ihn, liebe ich ihn, deswegen streichle seine Fernbedienung und füttere ihn mit Kanälen.

Nina Munk

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