Kolumnen_Zapped

Mit viel Gefühl

Werbung - entweder sie geht uns auf die Nerven oder aufs zentrale Nervensystem. Dort schleicht sie sich nämlich still und heimlich ein, und zwar dank Maslow, dem Pyramidenbauer. Glück ist das oberste Ziel der menschlichen Bedürfnisse, sagt er. Ich sage: Maseltov, daß die Werbung das erkannt hat!    09.05.2011

Ich liebe meinen Fernseher, aber manchmal will ich ihn würgen: Und zwar dann, wenn es gleich weitergeht, nach nur einem Spot. Was für eine dicke, fette Lüge! Es sind nämlich immer mindestens zwei Spots, die dann kommen, einer für den Wohlfühlbauch und einer für den Sender selbst. Und vielleicht noch ein Trailer, kommt auf die Laune an.

 

Werbung ist das Wimmerl am Arsch der ungetrübten Sehfreude. Und es eitert: Wie oft kann man eigentlich einen Film unterbrechen, ohne den Faden zu verlieren? Ich sitze manchmal vor dem Fernseher und weiß nicht mehr, was ich mir eigentlich angesehen habe. Werbung, vorwiegend. Und nebenbei eine Serie, aber welche, ist irgendwo zwischen Schmunzelhasen und Familie Lutz untergegangen.

 

Selber schuld, werden Sie jetzt sagen, warum geht sie nicht aufs Klo während der Werbepausen? Oder zappt einfach weiter? Ganz einfach: Es gibt gar nicht so viel Lulu auf der Welt wie Werbepausen. Und da eine Werbung selten alleine kommt, kommen Sie beim Weiterzappen vom Regen in die Traufe, also von der Familie Lutz zu Paco Rabanne zu Aperol Spritz - es gibt kein Entkommen.

Also hab ich mich damit auseinandergesetzt, den Trend erforscht und mich gefragt, was dran ist am modernen Produktverkauf: Wie kann eine Gesellschaft, die alles im Überfluß hat, dazu bewegt werden, noch mehr zu kaufen? Brauchen wir wirklich noch mehr Schuhe? Wie viele Deos verträgt der Mensch? Und warum kommt die Werbung ohne süße Kinder nicht mehr aus? Die Antwort darauf geben Maslow und die Postmaterialisten.

 

Ich spiel jetzt einmal die Frau Oberlehrer, wem das nicht gefällt, der kann ja weiterzappen - aber Sie entkommen mir sowieso nicht, also bleiben Sie dran, nach nur einem Spot geht’s gleich weiter, harhar.

Die Maslow’sche Bedürfnispyramide hat einst richtig festgestellt, daß Menschen, die alles haben, zuletzt nach Selbstverwirklichung und Glück streben. Wenn Sie also ein Dach über dem Kopf haben, der Kühlschrank voll ist, die Polizei oder die Kalaschnikow zu Hause für Ihre Sicherheit sorgen und alle Karriereziele und Muttergefühle ausgelebt wurden, dann stehen Sie blöd da: "Was nun?", denkt sich der westlich zivilisierte Mensch und belegt einen Malkurs.

Vergessen Sie "Mein Haus, mein Auto, meine Bank" (und in weiterer Folge: mein Insolvenzberater) - Materialismus ist out. Die neue Zielgruppe der Postmaterialisten hat so viel Knödel, daß es ihr schon wieder wurscht ist. Sie streben nach höheren Zielen, nach echten Werten wie Selbstfindung, Vollkommenheit, Spiritualität - und da nicht jeder von uns zum Buddha geboren ist, der Jakobsweg eine mühsame Hatscherei und der nach oben gerichtete Hund beim Yoga den Körper einer 12jährigen, russischen Turnerin verlangt, schmeißt sich die Werbung mit Genuß in diese Marktlücke und verkauft den Postmaterialisten Glückshormone mit bunten Mascherln drumherum.

 

Haben Sie es schon bemerkt? Es gibt kein Wasser mehr. Wer normales Wasser trinkt, könnte gleich aus der Klomuschel trinken, suggeriert uns wenigstens die Werbung. Heute ist das Wasser reinstes H2O, aus den mineralstoffreichsten Bergquellen herausgepreßt, handgeschöpft von Österreichs erdigsten Bauern, mit viel Emotion in kleinste Fläschchen abgefüllt und verkauft an die dümmsten Menschen.

Die Drohung dahinter ist klar: Wenn Sie sich nicht Ihre tägliche Portion Jostabeere hineinschütten, sterben Sie. Funktioniert übrigens auch bei Aktivia, denn welch aufgeschlossener Kunde von heute leidet nicht an Blähbauch? Seien Sie ehrlich: Der verdammte Blähbauch ist doch schuld daran, daß Sie zehn Kilo mehr auf die Waage bringen und kein erfülltes Leben führen können, oder? Da haben wir jetzt endlich die Lösung für Sie, vergessen Sie den Bledsinn von wegen Gemüse, Obst und Sport: Nur Aktivia reduziert den Blähbauch und ermöglicht Ihnen endlich Wohlbefinden in der Darmgegend und somit auch in allen Lebenslagen.

 

Wer nur Produkte verkauft, gewinnt beim Kunden keinen Blumentopf mehr: Ein Gefühl sollt schon dabei sein. Auch wenn es ein unangenehmes ist: Es bleibt wenigstens haften.

Noch niemals vorher wurde soviel gebrüllt in der Werbewelt, da wird jeder Marktschreier neidisch. Kennen Sie die Heineken-Werbung? Eine Gruppe Mädels dreht beim Anblick des begehbaren Kleiderschranks völlig durch - nur auszuhalten mit einem festen Knopfdruck auf die Mute-Taste. Auch beim Schuhverkäufer Zalando schreit man gern: Wenn der Postbote am FKK-Strand Schuhe an die Frau bringt, schreit zuerst die, dann der Postbote, und dann auch noch ein paar Statisten. Fakt ist: Die Schreie gehen direkt ins Emotionszentrum, bohren sich dort fest und erfordern eine Reaktion - zum Beispiel, daß man zurückbrüllt.

 

Wem das zu wahnsinnig ist, der hat noch keine Hornbach-Werbung geschaut: Hier wird in verstörenden Bildern klar gemacht, daß Bauen kein Spaß ist. Die Charaktere rollen wild mit den Augen, stapfen im Gleichschritt durch den Wald, rennen Zäune nieder und bauen unsinnige Menschenpyramiden - die spirituelle Erlösung liegt klarerweise im Kauf einer Heckenschere, denn dann, und nur dann können Sie über sich selbst hinauswachsen, lieber Kunde.

Die Exzentriker unter den Postmaterialisten sind alle ein bissi hin in der Marillen, und was da schon gut funktioniert, wird bei Muffin Purpergurk auf die Spitze getrieben. Starten Sie eine Umfrage: Kein Schwein weiß, was eigentlich in dieser Werbung beworben wird, aber jeder kennt Muffin Purpergurk - hier wird die Sinnsuche ins Gegenteil verkehrt und die Sinnlosigkeit zur Religion.

 

Der österreichischen Werbung hingegen kann man ein gewisses Phlegma nicht absprechen: Wenn der Junge aus der Bankwerbung zum Beispiel "Na so halt" sagt, dann wissen seine saublöden Eltern natürlich nicht, welch emotionales Bedürfnis hinter seinem Ruf nach einem eigenen Bankkonto steckt: Party, eh klar. Aber sorgt euch nicht, liebe Eltern, freut euch: Von der Erste Bank wissen wir, daß in Vorsorge zu viel Sorge drinnensteckt und die Vorfreude sich besser verkauft. Und wer sich trotzdem um den Nachwuchs sorgt, der nehme einfach zwei Löffel Milupa, dann wächst der Gschrop wenigstens keimfrei auf, wenn schon nicht sorgenfrei.

Mutterinstinkte zu wecken ist natürlich gemein, geht aber immer: Whiskas ist da Weltmeister. Jedesmal, wenn eines dieser Handvoll Kätzchen über den Bildschirm flimmert, will ich am liebsten hineingreifen und mir eines rauszupfen, es liebhaben und beschützen - keine Ahnung, ist vielleicht nur so eine Frauensache.

Funktioniert aber auch bei Briefkasteln: Immer, wenn ich an so einem traurigen gelben Kasten vorbeigehe und er mich fragt, ob ich nix für ihn habe, will ich ihn am Liebsten umarmen und mit Briefen füttern - da kann das "Ja natürlich"-Schweinderl sein Ringelschwänzchen einpacken und nach Hause gehen.

 

Jeder hat so seine emotionale Achillesferse: Bei mir sind es flauschige Katzerl, bei anderen ist es die Technik. Ich fühl mich eher weniger betroffen, wenn mir Samsung erklärt, daß die Freiheit hier beginnt. Wo? Im Netz. Achso. Also meine Freiheit fängt dann an, wenn ich den Dreckscomputer endlich abdrehen kann; und das mach ich hiermit auch - bleiben Sie dran, nach nur zwei Wochen geht’s gleich weiter!

Nina Munk

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