Print_Print-Tips Spezial: Anti-Sommerlektüre

Der nächste Winter kommt bestimmt

Die Gazetten überbieten einander derzeit mit Tips für "leichte Sommerlektüre". Für jene, die sich im Urlaub nicht an tropischen Stränden die Birne ausbrennen, halten wir schwerere Kost bereit.    01.08.2007

Reinhard Ebner

Valery Larbaud - Sämtliche Werke des A. O. Barnabooth

("A.O. Barnabooth, ses oeuvres completes"; Ullstein)


In Zeiten, in denen jeder Furz einer gewissen Paris Hilton, ihres Zeichens Hotelerbin (oder mittlerweile Erbin eines durch den Verkauf einer Hotelkette entstandenen Vermögens), auf weltweites mediales Echo stößt, denkt man wehmütig an den so gänzlich anders gearteten Multimilliardär A. O. Barnabooth. Bezeichnenderweise betitelte der südamerikanische Mittzwanziger eine seiner beiden Gedichtsammlungen als "Blähungen".

Das schmale Werk des lebensüberdrüssigen Dandys auf Weltreise umfaßt darüber hinaus nur eine Erzählung und das "Intime Tagebuch". Darin meint er: "Feinen Geist und zarte Seelen habe ich bis jetzt nur bei den Reichen und den Großen dieser Welt gefunden." Der kannte halt die Hilton nicht. Eigentlich schade, daß Barnabooth bloß eine Kunstfigur ist, unter deren Namen Valery Larbaud schrieb.

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Reinhard Buchberger u. a. (Hrsg.) - Portheim. Sammeln & Verzetteln

(Sonderzahl)


Jeder verzettelt sich gelegentlich, aber gleich das gesamte Leben ... Den größeren Teil desselben nämlich widmete der Wiener Max von Portheim (1857-1937) der Aufarbeitung der österreichischen Geschichte des 18. Jahrhunderts - indem er einen 500.000 teils dicht beschriebene Blätter umfassenden Zettelkatalog anlegte.

Dort finden sich die Lebens- und Sterbedaten einer ansonsten unbedeutenden Kaufmannswitwe genauso wie Notizen über die "curiösen" Sitten der Bergschotten, die im kaiserlichen Heer dienten. Insgesamt sind es einige Millionen Einträge zu Ereignissen, Personen und Themen.

Der Versuch der Verzettelung einer Epoche ist einzigartig. Eine Ausstellung in der Wienbibliothek zeichnet ein Bild des Sonderlings, der es nie zu einer eigenen wissenschaftlichen Publikation brachte, und seiner Sammlung. Der dazugehörige Ausstellungsband ist ein Kuriositätenkabinett, in dem sich nebst Portheim noch viele andere Spinner finden, von Sir Thomas Philipp ("möchte ein Exemplar von jedem Buch auf der Welt") bis zu Johann Nepomuk Ferdinand Schönfeld, einem frühen Turbokapitalisten im Sammelwahn.

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Arthur Machen - Die leuchtende Pyramide

("The Shining Pyramid"; Edition Büchergilde)


Nein, bei dem 1863 geborenen Arthur Machen handelt es sich nicht um einen der vielen Epigonen H. P. Lovecrafts, sondern um eines seiner Vorbilder. Dabei hat Machen, der ebenso wie der Großmeister abseitigen Schreckens auf einen konsequent entwickelten mythologischen Unterbau seiner Storys nicht verzichten mag, seine eigenen Qualitäten.

Merke: Das Böse ist bereits mitten unter uns. Hexensabbat und blutiger Pan-Kult sind hier die verborgenen Bestandteile der uns bekannten Welt. Wobei auch die "Guten" bei Machen in ihrem Wissensdurst mit mehr als fragwürdigen Handlungen für Entsetzen sorgen: Wenn der Mediziner Dr. Raymond in der Erzählung "Der große Gott Pan" am offenen Hirn der Ziehtochter herumoperiert, meint man fast, man sei in die "Justine" des Marquis de Sade geraten.

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Michael Kirchschlager - Criminal- und Curiositäten-Cabinett 1 & 2

(Festa)


Eine Sammlung merkwürdiger und schauriger Nachrichten aus Chroniken, Exempelbüchern, Gazetten und seltenen Drucken vom Mittelalter bis zum ausgehenden 20. Jahrhundert versammelt Michael Kirchschlager in seinem "Criminal- und Curiositäten-Cabinett", das mittlerweile auf zwei Bände erweitert wurde.

Ob Affenweiber, gebackene Leichen oder Selbstmordmaschinen - nur das Ab- und Jenseitige findet hier Eingang. Die Bücher sind Teil einer historischen "Doku-Schiene" des Festa-Verlags und bieten erfrischende Lektürehappen für zwischendurch.

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Albert Camus - Weder Opfer noch Henker

("Ni Victimes ni Bourreaux"; Diogenes)


In Zeiten konsumistischer Selbstvergessenheit schadet es nicht, wenn man sich ab und zu in Erinnerung ruft, daß es einmal so etwas wie "Engagement" gab. Was wäre da geeigneter als die Werke des französischen Philosophen und Schriftstellers Albert Camus - etwa "Der Mythos von Sisyphos" oder "Der Mensch in der Revolte"?

Daß es Camus im Gegensatz zum Zeitgenossen Jean-Paul Sartre niemals um abgehobenes Theoretisieren, sondern um nichts Geringeres als eine "neue Weltordnung" ging, zeigt ein aktueller Band mit weniger bekannten Essays. "No Future" bereits 1946: "Was in der Welt, in der wir leben, am meisten auffällt, ist, daß der größte Teil der Menschen im allgemeinen keine Zukunft hat."

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John Cowper Powys - Wolf Solent

(dtv)


Ein gemächliches Buch für genußvolles Lesen ist Powys "Wolf Solent". Fast 1000 Seiten benötigt der Autor, um die Geschichte eines jungen Bibliothekars zu erzählen, der aus London in die britische Provinz berufen wird, um eine Skandalchronik seines Heimatortes zu verfassen.

Der ursprünglich 1929 veröffentlichte Roman ist in einem altertümlichen Tonfall gehalten, der so gar nicht ins 20. Jahrhundert zu gehören scheint - ein Eindruck, zu dem Naturmystik und die romantischen Verstrickungen zwischen zwei Frauen das Ihrige beitragen. Ein wunderbar altmodisches Buch.

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Daniil Charms - Die Wanne des Archimedes

(Edition Korrespondenzen)


Daniil Charms führte ja nun wirklich kein schönes Leben, vor allem aber ein kurzes. 1905 in Petersburg geboren, Mitbegründer der legendären, "staatsfeindlichen" Künstlergruppe OBERIU, 1932 verbannt, 1941 in der Gefängnispsychiatrie an Unterernährung krepiert. Zwischendurch schrieb er lyrischen Nonsens wie diesen hier:

"Jakov Lejbos, er ist Maler
stand beim Bier. Und ich wie er.
Er zu mir: Und du bist Bäcker?
Ich zu ihm: So ungefähr."

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