Stories_Britische Retro-Coolness
Zurück in die Zukunft
Der Fluch des fortgeschrittenen Alters ist die Gewißheit, daß es jeden Ton britischer Popmusik schon mindestens vier Mal gegeben hat. Manfred Prescher weiß Genaueres.
29.06.2005
Prolog – Ich glotz TV:
Ein langweiliger Abend vor dem Fernseher, keine Lust auf Weggehen oder auf andere Aktivitäten. Selbst das zielgerichtete Anschauen von DVDs fordert zuviel Entscheidungsfähigkeit. Also zappt man sich durchs Programm, bleibt ab und an beim Fußball hängen, wandert zum Automagazin weiter und läßt Stefan Raab mit einem Klick auf der Fernbedienung links liegen. Neugierig machen Sound und Bilder eines der dritten, bundesdeutschen Programme. Der Sender zeigt gerade einen Musikclip unbestimmten Alters. Eine Band in Paisley-Klamotten und typischer Sixties-Frisur singt
"babababa David Watts ... I wish I could be like David Watts" ...
Der alte Mann und das Mehr:
Zunächst läßt sich nicht sagen, wer der Sänger ist. Ab einem gewissen Alter werden die Augen einfach schlechter und die Wahrnehmung unzuverlässiger. Ab einem gewissen Alter verschwimmen außerdem die Eindrücke, es sind einfach viel zu viele gespeichert worden. Aber halt: Es könnte Ray Davies von den Kinks sein, der da "David Watts" singt. Oder nein: Der Geschwindigkeit des Songs nach zu schließen, sind es The Jam mit Paul Weller. Oder ist es gar Alex Kapranos von Franz Ferdinand? Auf der Bühne ist ein Trio in schwarzen Anzügen zu sehen, es sind also doch The Jam. Der Fluch des fortgeschrittenen Alters ist, daß man weiß, daß es jeden Ton britischer Popmusik schon mindestens vier Mal gegeben hat. Eigentlich läßt sich beinahe jede einigermaßen coole Band aus dem Königreich auf die Kinks und ihre gepflegte Mixtur aus Mod- und Bohème-Idealen oder das harsche Rabaukentum der Who zurückführen - und eben nicht auf die Stones und die Beatles. Auf der einen Seite befinden sich die Who, die in den späten 70er Jahren und frühen 80er Jahren The Clash oder The Damned beeinflussten, auf der anderen die Kinks, die im selben Zeitraum The Jam, XTC oder Smiths inspirierten. Und eineinhalb Jahre später wandeln Blur, Oasis, Travis oder Pulp auf den Spuren von Ray Davies und oder des Who-Sängers Roger Daltrey. Im Hier und Jetzt sind es Franz Ferdinand, die Kaiser Chiefs, Bloc Party oder die Futureheads, die das längst schon traditionelle Soundgerüst recyceln.

Das klingt ja wie ...:
Im CD-Player liegt "Employment", der Erstling der Kaiser Chiefs. "Na Na Na Na Naa", simpel und eingängig, munter und frisch tönt der Retro-Sound aus den Lautsprechern. Die junge Frau sagt "Das klingt aber arg nach Franz Ferdinand". Sie hätte auch sagen können, daß das arg nach den Kinks, nach "David Watts" klingt. Oder nach The Jam. Aber sie ist selbst für Noel Gallagher und Oasis zu jung. Dabei haben Kaiser Ricky Wilson und seine Band in ihrer Jugend "Definitely Maybe" und "Morning Glory" wie Muttermilch eingesaugt. Und sich dann in die jüngere britische Musikgeschichte hineingewühlt. Oder um es mit Tears For Fears und ihrem Song "Sowing the Seeds of Love" zu sagen: "Kick out the Style/Bring back the Jam". Und die Kaiser Chiefs haben den Geist von Jam-Hits wie "Eton Rifles" oder "Going Underground" zurückgebracht. Aber auch Captain Sensible und Damned sind wieder da: "I Predict A Riot" heißt die Punk-Hymne mit "La-la-la"-Einlage, die schon 1977 nicht neu gewesen wäre. Die CD der Chiefs ist zu Ende gelaufen, ein letztes "Caroline, Yes", dann ist Schluß. Diese Schlingel! Der Titel als Gegenstück zum Beach-Boys-Klassiker "Caroline No". Davon weiß die junge Frau natürlich nichts, sie findet den Song cool und aufregend. Noch besser gefällt ihr allerdings die CD der Futureheads. Der mehrstimmige Gesang, die Power. Sie sagt, daß diese Platte ihr Ding für den Sommer werden wird. Mit Schmiss summt sie "The City Is Here For You To Use" mit. Es ist ihr egal, an was sich der "Alte" beim Anhören erinnert und an welche Sommer er dabei denken mag.
Epilog - "Something Else By The Kinks":
"Robot", "Decent Night And Day"... Irgendwann ist es keine Frage des Alters mehr, man muß die Lieder charmant finden und die Frage, woher man den Ohrwurm nun schon wieder kennt, spielt überhaupt keine Rolle mehr. Das macht gute britische Musik aus. So funktionierten The Clash und Jam, darum lieben wir Oasis. Und die Kinks? Einfach mal ihr 1967er Meisterwerk "Something Else By The Kinks" zwischen Kaiser Chiefs und Futureheads mogeln. Die Platte paßt perfekt an diesen Platz, junge Menschen würden sie garantiert für cool, aufregend und neu halten.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
Manfred Prescher
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