Stories_Faye Hell

Oh! It´s a Faye!

Ihr Stil ist so irre wie eine Performance von GG Allin: selbstzerstörerisch, voller Exkremente und ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten. Dabei sind die Handlungsbögen ihrer gelegentlich gewöhnungsbedürftigen Plots ausgefeilt, ihre witzige Sprache fast schon virtuos und ihr Tempo definitiv atemberaubend - das ist Faye Hell, die sympathische Freibeuterin im mörderischen Bermuda-Dreieck der Horrorliteratur. r.evolver läßt sich kapern und bittet bei der Gelegenheit zum Interview.    23.03.2020

In der (leider) männlich dominierten Genreliteratur von Horror bis Hardcore schreibst du, was Härtegrad und Sprache deiner Plots betrifft, die Kollegen locker an die Wand. Da entsteht im männlichen Hirn natürlich sofort der Impulsgedanke, daß das auch nur Attitüde sein könnte. Einmal ganz unter uns: Ist Faye Hell eine Skandalnudel?

Ganz ehrlich? Faye war garantiert eine Skandalnudel und sie hat es auch genossen und geliebt; mittlerweile gehen mir (literarische) "Skandale" allerdings ziemlich auf die Nerven. Provozieren will und werde ich weiterhin, da Provokation (hoffentlich) zu Reaktionen führt - und welcher Künstler will nicht, daß auf sein Werk reagiert wird?

Auf Provokation der Provokation wegen versuche ich nachdrücklich zu verzichten. Generell denke ich, daß nur eines meiner Bücher dem Genre (Old-School-)Hardcore zuzuordnen ist, nämlich "Rednecks", das gemeinsam mit M. H. Steinmetz entstanden ist. Und auch hier haben wir versucht, das klischeehafte Hardcore-Frauenbild der "Opferrolle" nicht zu erfüllen.

Aus "Tote Götter" zum Beispiel habe ich während des Redigierens sogar bewußt alle Hardcore-Elemente verbannt.

 

Sind Faye Hells Bücher trotzdem zu hart?

Ja, das sind sie. Aber die Stärke liegt nicht in der Härte, sondern in der Figurenzeichnung - zumindest, wenn man den Rezensionen glauben darf. Aber ich selbst würde das durchaus auch behaupten. Ich liebe und ich hasse meine Figuren. Manche erscheinen mir so real, daß sie in meinen Träumen als Freunde auftreten. So ist das zum Beispiel bei der Protagonistin aus meinem aktuellen Projekt, der ich so nah bin wie keiner Figur zuvor.

 

Bleiben wir noch ein bißchen bei den Geschlechterrollen: Warum verirren sich deiner Meinung nach so wenig Frauen in die bösen Abgründe der Horrorliteratur, noch dazu, wo einst mit Mary Shelley alles so verheißungsvoll losging?

Ich glaube, daß es mittlerweile gar nicht mehr so wenige Frauen sind. Schau dich mal bei den einschlägigen Verlagen um, da wirst du viele tolle Horrorfrauen finden, vor allem auch im extrabrutalen Hardcore-Bereich. A. C. Hurts, Simone Trojahn ...
Aber auch andere Horrornischen sind weiblich! Ich denke zum Beispiel gerade an Claudia Rapp, die Herausgeberin der "Zombie Zone Germany", oder auch an Melanie Vogltanz, deren Werke mir immer wieder Angst machen. Lies mal "Opferreigen" - du wirst dich fürchten und du wirst es lieben, dich zu fürchten.
Das eigentliche Problem ist, daß die Frauen (wie überall) weniger wahrgenommen werden! Wir müssen Frauen sichtbar machen - und das nicht nur im Horror.

 

Das mit der Sichtbarkeit hat bei Faye Hell ja von Anfang an wunderbar funktioniert. Dein vergleichsweise "sanftes" Debüt "Keine Menschenseele" erklomm das Siegerpodest beim Deutschen Phantastik-Preis 2016, mit "Rigor Mortis" konntest du den Vincent Preis gewinnen, und mit "Rednecks" einen veritabel-unappetitlichen Skandal provozieren. Dann wurde es ein bißchen ruhig um Faye Hell. Jetzt schießt du mit dem "Zeitalter der Kröte" (Amrûn) einen höchst interessanten Plot um ein mysteriöses universelles Buch in einem totalitären System nach. Das hört sich extrem spannend an ... und ein bißchen anders.

Ruhig würde ich nicht sagen. "Rednecks" ist vor einem Jahr erschienen, und mein aktuelles Buch ist brandneu. Ich bin keine Fließband-Romanproduzentin und werde es nie sein. Obwohl ... wenn ich darüber nachdenke, hast du schon recht, es wird tatsächlich etwas ruhiger, was wohl daran liegt, daß ich Pläne schmiede.
Spannend ist, daß ich gerade "Keine Menschenseele" gar nicht zahm finde, sondern extrem grausam. Ein derart persönliches Buch werde ich wohl nie wieder schreiben, und vielleicht geht es mir deshalb so nah. Es stößt aber auch beim Publikum auf den größten Widerstand, wenn es um Gewalt und Grausamkeit geht.
Und ja, "Das Zeitalter der Kröte" ist anders, weil ich anders bin. Weil ich mich verändere. Nick Cave klingt nicht mehr wie Nick Cave, als er noch Geburtstagspartys feierte. Das kann man mögen oder nicht, aber man hat es zu akzeptieren, denn auch Künstler verändern sich, da Stagnation eigentlich immer einen Rückschritt darstellt, ein Verkümmern.
"Das Zeitalter der Kröte" ist böse, sogar bitterböse, aber es ist satirisch und genau genommen kein Horrorroman, sondern eine Dystopie und somit eher Science Fiction. Ich bin ja ein großer Science-Fiction-Fan und verehre Philip K. Dick. Mein absolutes Lieblingsbuch ist "Hyperion/Endymion" von Dan Simmons.

 

Deine Sprache hat das Tempo eines schnellen Rocksongs, ist kunstvoll, geschliffen und dabei mitunter so ordinär und explizit, daß selbst dem hartgesottensten Charlotte-Roche-Fan die Lust an allem vergehen könnte. Woher rührt diese abgründige Lust an perversester und bisweilen auch abtörnender Wortmalerei?

Charles Bukowski, William S. Burroughs, Gottfried Benn und Matthew Stokoe (um nur ein paar zu nennen) haben mich versaut. Ich liebe die Härte der Sprache, das Abstoßende, Elende, Kranke, Perverse, das immer wieder auf pure Poesie trifft. Das spricht mich an, und so will ich sprechen. Eine kontrastreiche Sprache, die eine literarische Ambivalenz aufspannt wie einen Regenschirm, gerade noch rechtzeitig, bevor dich der Dreck trifft.

 

Bleiben wir noch ein wenig beim Thema: Du selbst sagst über deine schriftstellerische Arbeit, daß du "... subtiles Grauen mit expliziter Gewalt und Obszönität verbindest". Das ist ja sicher ein konsequenter Ansatz, schränkt aber das Zielpublikum rigoros ein. Ist dir wirklich egal, wie viele Bücher du verkaufst?

Spitzen, Ecken, Kanten, Kotze und Kot ... Eine gefällige Sprache ohne Widerspruch ist ästhetischer Selbstzweck, wird gehört, gelesen und vergessen.

Außerdem war es mir tatsächlich egal, wie viele Bücher ich verkaufe. Ich wollte einfach nur gehört werden und wie viele Menschen genau mich gehört haben, hat mich anfangs nicht gekümmert. Mittlerweile gebe ich mich der Eitelkeit hin, daß ich auch tatsächlich etwas Relevantes zu sagen habe, das von mehreren Menschen gehört werden sollte. Ich will für keine Nische mehr schreiben, ich möchte hinaus auf eine Bühne treten.
In einem Interview ganz am Beginn meiner expressiven Schreiberei habe ich mal gesagt, daß ich die Menschen nicht unterhalten, sondern herausfordern will. Das würde ich heute so nicht mehr sagen. Vielmehr will ich die Menschen sehr wohl unterhalten, aber nach wie vor auch herausfordern.

 

Eine günstige Voraussetzung dafür ist wohl dein Name – er klingt in der phantastischen Literatur wie ein Black-Sabbath-Riff. Trotzdem (oder gerade deshalb) hast du dir ein unabhängiges Image bewahrt, surfst zwischen den (Klein-)Verlagen und bringst so deine Stoffe frei, aber regelmäßig unters Volk. Was rätst du jungen Schreibern, die den Kopf voller Ideen, aber niemanden haben, der sie herausbringt?

Danke für den Black-Sabbath-Vergleich! Ich liebe Black Sabbath.
Ich gebe gerne das weiter, was man mir am Anfang meiner Bestrebungen geraten hat und was mir wahnsinnig viel gebracht hat: "Du mußt es mehr wollen als alle anderen - und du brauchst einen langen Atem."

 

Und darüber hinaus?
Rechne mit Absagen und Ablehnung, bleib dabei höflich und professionell, bewirf niemanden in den sozialen Medien mit Dreck, weil du nicht in sein Verlagsprogramm paßt. Laß dich nicht unterkriegen, mach weiter. Such das Fleckchen, das genau deines ist. Renn nicht gleich zum glitzernden Publikumsverlag. Du hast nicht einfach so den neuen "Harry Potter" geschrieben. Such dir einen Kleinverlag! Aber paß auf, daß du dabei nicht an Abzocker gerätst. Sei bedacht, aber nicht generell mißtrauisch. Lies Verträge genau durch. Und wenn kein Verlag zu dir paßt, dann mach Self-Publishing, aber das ambitioniert: Cover, Lektorat und ein durchdachter Auftritt in den sozialen Medien.
Und vor allem: VERLIER DIE LIEBE NICHT! SCHREIBEN IST LIEBE!

 

Pechschwarze Spatzen pfeifen von den Dächern, daß Faye Hell im Begriff ist, sich literarisch neu aufzustellen. Man hört von alternativen Stoffen und einer subtileren Figurenzeichnung. Ist "Die Kröte" schon ein Vorbote dieser Entwicklung? Und: Liebäugelt Faye Hell jetzt tatsächlich mit dem Feuilleton?

Wenn die Spatzen es pfeifen, dann muß es wohl wahr sein. Ja, grundlegende Veränderung ist angesagt, und diese Veränderung hat mich sehr viel Mut gekostet. Zum Glück wurde ich ganz großartig von vielen lieben Schreibfreundinnen und -freunden nicht nur unterstützt, diesen Schritt zu gehen, sondern auch konsequent ermutigt.

 

Da wollen wir aber jetzt schon gern ein paar Namen hören ...

Gerne. Danke, Jenny Wood (inklusive bezauberndem Ehegatten), und danke, M. H. Steinmetz. Ihr habt mich förmlich aus der Komfortzone getreten!

Und siehe da, die Liebe, die ich aufgrund von gewissen massiven Unstimmigkeiten mit vor allem einem bestimmten Verlag (fast hätte ich Verbrecher gesagt) beinah verloren hätte wie die Rechte an meinem eigenen (in Kanada und Alaska goldgrabenden) Roman, kam zurück. Und sie kam so massiv zurück, daß ich manchmal tränenüberströmt vor dem Computer sitze und gar nicht fassen kann, wie verbunden ich mit diesem neuen Projekt bin, wie nah es mir geht und wie glücklich es mich macht.

 

Eine geht noch: Klimapanik und Killerviren, Krieg, Tod und Verwesung - so wie´s ausschaut, bietet die Welt 2020 eine erschreckend reale Kulisse für die schlimmsten Alpträume der Menschheit. Aber wenn eh schon alles so hin ist, braucht es da überhaupt noch Horrorbücher?

Meine Antwort auf den Punkt gebracht: Katharsis!

Wir müssen uns nach wie vor (oder vielleicht sogar noch viel mehr) emotional abreagieren. Wir müssen uns der "sicheren" Gefahr aussetzen, die wir permanent unter Kontrolle haben, weil wir das Buch einfach zuschlagen können, um nicht an der realen, "unsicheren" Gefahr zu verzweifeln.

Ja, wir brauchen Horrorbücher.

Ich lese gerade "Bull" von M. H. Steinmetz, und dieser kranke, geile Scheiß lenkt mich nachdrücklich ab. Mir fällt daheim keine Decke auf den Kopf!


Herzlichen Dank für das Interview.


Blessed be
Hail Bastet
Faye Hell

 

Wir danken.

r. evolver

Faye Hell - Das Zeitalter der Kröte

Märchen neu erzählt - SF-Horror-Dystopie

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Amrûn-Verlag (D 2020) 

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