Stories_Schlaflos #7

Einmal Menschenfleisch medium, bitte!

Besser geht´s nicht mehr: Lido hat aus wunderbaren Lovecraft-Erzählungen ein geniales Hörbuch geschaffen. Der Horrormeister und das "Orchester der Schatten" sorgen für eine schlaflose Nacht.    04.04.2007

Hörbücher und -spiele mögen ein Popularitätshoch erleben - von der Machart her sind sie dennoch oft genug Schlaftabletten. Im (Schlaf und Nerven kostenden) Selbstversuch macht sich Reinhard Ebner daher auf die Suche nach Hörkunstwerken, die auch zu fortgeschrittener Stunde garantiert wachhalten.

 

Der Abend davor: Nicht nur LPL Records, auch der Lido-Hörbuchverlag (gehört zu Eichborn) nimmt sich derzeit dankenswerterweise der Erzählungen H. P. Lovecrafts an. Deren Qualität ist bei den längeren Stories, die´s den Hörbuch-Produzenten besonders angetan zu haben scheinen, recht unterschiedlich. Manche Geschichte zerfasert in langatmigen Schilderungen und überflüssigen Epitheta-Anhäufungen ("schrecklich", "schreckenerregend", "schauderhaft", "schauerlich" etc.); andere erfreuen immerhin durch - wenn auch unfreiwillige - Komik.

"Zwei Geschichten in neuer Übersetzung sowie drei kaum bekannte H. P. Lovecraft-Gedichte" enthält die vorliegende Doppel-CD laut Klappentext. Verwirrung herrscht nur darüber, um welche Geschichten es sich handelt: "Der Ruf des Dämons" und "Wälder der Finsternis" heißt es auf dem Cover, "Das Bild im Haus" und "Die Farbe aus dem All" im Begleitheft. Nun, wir werden hören. Walkman her, und ab in die Kiste!

 

Hörphase: Und so fängt der Spaß an: "Forscher, die das Grauen suchen, halten sich oft an sonderbaren, entlegenen Orten auf. Die Katakomben des Ptolemäus und die gemeißelten Mausoleen alptraumhafter Länder ziehen sie an. Sie besteigen die mondbeschienenen Türme von Schloßruinen am Rhein und taumeln schwarze, spinnwebverhangene Stufen hinab durch die verstreuten Steine vergessener asiatischer Städte ... Doch der wahre Feinschmecker des Schreckens ... schätzt am allermeisten die uralten, einsamen Farmhäuser in den abgelegenen Wäldern Neu-Englands."

Das ist der Lovecraft-Sound, wie wir ihn kennen und lieben. Ein bisserl trashig, sehr atmosphärisch - und dann noch diese nutzlos schönen Beiwörter, als wäre ein Hauptwort, das für sich alleine steht, schon das Grauen an sich.

Wenigstens ein Rätsel hat sich mittlerweile gelöst: Die Doppel-CD startet mit "Das Bild im Haus". Eigentlich ist es ja kein Bild, sondern ein Bildband - und dessen Besitzer aller Wahrscheinlichkeit nach ein New-England-Kannibale. Ja, sowas gibt´s auch - wenigstens bei Lovecraft.

Die eher kurze Erzählung hat es in sich. Das liegt wohl auch am Orchester der Schatten, das einen Klangteppich unter die Sätze legt, der einem die Gänsehaut auf den Rücken zaubert - und das schneller als Cthulhu "Buuh!" sagen kann. Auch Simon Jäger, Simon Newby und Torsten Sense machen als Vorleser und Märchenonkels ihren Job ausgezeichnet.

Während ich "Das Bild im Haus" in der Lido-Fassung gleich einmal unter meine All-time-Hörbuch-Favourites reihe, hat die zweite, längere Erzählung auch ihre Reize (und ihre Längen): Mit einem Meteoriten hat sich eine Macht aus dem All eingeschlichen, die alles Leben aus Pflanzen, Tieren und Menschen saugt; in dieser Reihenfolge und sich dabei raffiniert bis zur Klimax steigernd. Eher zum Vergessen sind die auf der CD enthaltenen Gedichte Lovecrafts: mythologisch verbrämter Horrorschwulst - aber jetzt hätten wir das wenigstens auch einmal gehört.

REM-Phase
: Ich habe fast die gesamten 150 Minuten geschafft, als sich das (Alp-)Traummännlein einstellt. Und das streut zur Abwechslung mal nicht Sand in die Augen, sondern serviert Menschenfleisch. Es stimmt übrigens nicht, daß Mensch wie Rind schmeckt. Eher schon erinnert er an Truthahn ... bloß nicht so trocken. Aber das ist vermutlich auch eine Frage der Zubereitung.

Der Morgen danach
: Nach dem Aufstehen zeigen sich keine unerwünschten Nebenwirkungen; Arzt oder Apotheker können in Ruhe und unbefragt ihren Giftmischereien frönen. Keine Katerstimmung, bloß Wissensdurst - und den stillt man am besten beim EVOLVER, wo schon viele gescheite Dinge über Lovecraft geschrieben wurden (siehe den Link zur betreffenden Story am Schluß). Wozu also noch viele Worte verlieren? Schön, daß es den Mann einst gab, und schön, daß hier eine so wunderbar kongeniale Hörbuchfassung gelungen ist.

Reinhard Ebner

H. P. Lovecraft - Der Ruf des Dämons/Wälder der Finsternis

ØØØØØ


Eichborn Lido (Frankfurt a. M. 2006)

 

Links:

Kommentare_

Stories
Unterwegs mit Sherlock Holmes

Wenn sich Holmes mit Lovecraft ins Bett legt

Eine Autofahrt mit Thomas Fröhlichs neuem Hörbuch "Das Geheimnis des Illusionisten" ist gleichermaßen unterhaltsam wie lehrreich. Dennoch sei gleich einmal davor gewarnt: Der Ausflug ins Reich zwischen den Welten von Arthur Conan Doyle und Howard Philips Lovecraft kann teuer zu stehen kommen.  

Print
James Marriott/Kim Newman - Horror

Hundert Prozent Grauen!

Eine ordentliche Portion Zombies und Geister, ein Rudel Werwölfe, eine Prise Vampirismus, das Ganze abgeschmeckt mit Blut und Gedärm und appetitanregend dekoriert mit Serienmeuchlern und Folterknechten: Das Ergebnis heißt "Horror" und ist das Filmbuch, auf das wir schon lange gewartet haben.  

Akzente
Literatursalon im Gemeindebau

Kainsmale und Seelen-Strips

"Literatursalon im Gemeindebau" heißt eine Veranstaltung des Theaters Rabenhof. Große Namen aus der Schreiberzunft - wie Chuck Palahniuk - und unfade Literatur werden so vom 11. September bis zum 5. Dezember in einem Veranstaltungsreigen versammelt.  

Print
Hörbuch-Tips 1/07

Wer fühlen will, muß hören

Horror, Thrill, Humor: Mit den sommerlichen Hörbuch-Tips spielen wir ordentlich Gefühlsklavier - und das insgesamt 1722 Minuten lang. Außerdem haben wir etwas zu verschenken. Aber lesen Sie selbst.  

Stories
Schlaflos #9

Das Weltall ist nicht genug

Auch ein Perry Rhodan hat gelegentlich Sex - aber von Verhütung keine Ahnung. Das Ergebnis des außerehelichen Gspusis ist der "Sternenbastard". Und der spielt die Hauptrolle in einer höchst unterhaltsamen Hörbuchserie.  

Akzente
Tower of Power ´07

Noch ein Sommer im Narrenturm

Bereits zum zweiten Mal darf der EVOLVER zu einer Veranstaltungsreihe im Pathologisch-anatomischen Bundesmuseum, besser bekannt als "Narrenturm", laden. Freunde des Ab- und Jenseitigen werden auch diesen Sommer nicht zur Ruhe kommen.