Stories_Schlaflos #8

Gentlemen und gepflegte Morde

Freunde des Rätselkrimis kommen mit der "Krimi Kult Kiste" auf ihre Kosten: Neun CDs bieten Unterhaltung im Retro-Stil. Ob sich nach all den Jahren noch Nervenkitzel einstellen will, lesen - oder hören - Sie am besten selbst!    27.07.2007

Hörbücher und -spiele mögen ein Popularitätshoch erleben - von der Machart her sind sie dennoch oft genug Schlaftabletten. Im (Schlaf und Nerven kostenden) Selbstversuch macht sich Reinhard Ebner daher auf die Suche nach Hörkunstwerken, die auch zu fortgeschrittener Stunde garantiert wachhalten.

 

Der Abend davor: Es ist gar nicht so lange her, da waren Hörbücher eher Kinderkram. Die "Sieben Geißlein" auf Langspielplatte dienten vor allem dem Zweck, den hyperaktiven Nachwuchs für eine halbe Stunde ruhigzustellen. Das hat sich geändert: Das Medium beschert dem ansonsten nicht verwöhnten Buchhandel Jahr für Jahr deutliche Umsatzzuwächse für dieses Segment.

Bloß am klassischen Radiohörspiel scheint das von lesefaulen Literaturfreunden ausgelöste Revival vorbeizugehen (die seltene Spezies der Ö1-Hörer sei hier ausgenommen). Ob´s etwas hilft, wenn Hörspiele nun auf CD daherkommen - und zwar gleich neunmal im Fall der "Krimi Kult Kiste" genannten Retro-Box des hörverlags, die drei ursprünglich in Fortsetzungsserien aufgeführte Krimis der 50er und 60er beinhaltet?

Zu ihrer Zeit waren diese Hörstücke noch echte Straßenfeger. Hören wir also einmal, ob sie aus dem Abstand einiger menschheitlich vor der Flimmerkiste verbrachter Jahrzehnte noch etwas taugen. Oder ob man - die Stöpsel des Walkman noch im Ohr - sanft entschlummert.

 


Hörphase: Goscherte Gentleman-Detektive, Big-Band-Sound und die Stimmen von Schauspielern wie Paul Klinger ("Immenhof"), Carl-Heinz Schroth ("Der Kongreß tanzt") oder Siegfried Lowitz ("Der Alte") - die in der Sammlung enthaltenen Hörspiele entführen vom ersten Moment an auf eine Zeitreise.

Auch wenn es von Hingemeuchelten nur so wimmelt und die drei Hobbydetektive Paul Temple, Philip Odell und Paul Cox in Bedrängnis geraten, will sich so richtiger Thrill nicht einstellen. Dazu sind die Herren Ermittler zu cool ... oder eigentlich zu gemütlich. Lediglich die jeweiligen Gattinnen tun ihre Aufregung gelegentlich in hysterischen Ausbrüchen kund. Kurz: Nichts für Gender-Bewegte, aber was will man bei so altem Stoff?

 

Die Storys ähneln einander zum Teil bis in die Details der Struktur und der Beziehung der Figuren zueinander. Stellvertretend sei daher nur kurz der Plot des hübschesten Hörspiels "Paul Temple und der Fall Alex" von Francis Durbridge geschildert: Krimiautor Temple hätte eigentlich einen Roman zu beenden, als ihn Scotland Yard um Unterstützung bei der Aufklärung einer Reihe von Mordfällen bittet.

Zwischen den Toten gibt es scheinbar keine Verbindung. Es existiert kein Motiv, sondern nur ein Name, den die Sterbenden murmeln oder irgendwohin kritzeln: "Alex". Bei ihren Nachforschungen stoßen Temple und dessen Frau, die originellerweise doch tatsächlich Steve heißt, auf einen Psychiater, der eine fragwürdige Rolle in der Geschichte spielt. Eine klassische Hypnose-Story also - soviel ist bald klar. Wozu der ganze Aufwand betrieben wird, erkennt man jedoch kaum.

An die Stelle oberflächlich erzeugter Spannung durch Schau- oder in diesem Fall Höreffekte tritt das "Whodunnit" des traditionellen, analytischen Krimis. Mitgefühl mit den Toten und Mitfiebern mit den lebenden Figuren haben in diesem Genre keinen Platz. Immerhin hat es seinen Reiz, Ohrenzeuge der schrittweisen Aufklärung einer mysteriösen Verbrechensserie zu werden. Leider ist das nicht genug, um zu fortgeschrittener Stunde wachzuhalten. Mit der Auflösung des Rätsels könnte ich daher beim besten Willen nicht aufwarten. Ich hab sie verschlafen.

 


REM-Phase: Seltsame Träume ... Um der sommerlichen Hitze zu entgehen, will ich mich mit einem Schlauchboot einen Wildwasserbach hinunterstürzen. Geht nicht, weil zuerst der Schlauchbootschein gemacht werden muß. Außerdem sind Schlauchboote noch gar nicht erfunden. Voraussetzungen dafür wären die Entdeckung von Metallurgie und Existenzphilosophie - beides aber nur, wenn man dem mongolischen Kulturkreis zugehört. Doch ich lebe in Kakanien.

Was das mit der "Krimi Kult Kiste" zutun hat? Vermutlich gar nichts. Ist wohl eher der Tatsache zuzuschreiben, daß ich mich in der Nacht davor nach langer Zeit wieder einmal intensiv dem Strategie-Game-Klassiker "Civilization" gewidmet habe.

 


Der Morgen danach: Es gibt Buch-Ermittler, es gibt Film-Detektive und es gibt - das ist eine Erkenntnis, die mir die Lektüre des Klappentexts der CD-Sammlung verschafft - doch tatsächlich auch Krimi-Protagonisten, die eigens für den Hörfunk erfunden wurden. Paul Temple etwa ist so eine Figur, und eine der erfolgreichsten noch dazu.

Mit Temple feierte der britische Autor Francis Durbridge einen 30 Jahre währenden Erfolg, der nach dem Radio auch ins Fernsehen führte. Bis Ende der 80er Jahre trieb die Figur noch in Kriminalromanen ihr Unwesen. Von den mehr als 30 Hörspielserien wurde ein gutes Dutzend auch für den deutschen Sprachraum adapiert, das Gros vom WDR. Daß der Name des Gentleman-Ermittlers auch heute noch ein Begriff ist, ist dennoch erstaunlich: Die letzen Paul Temple-Spielfilme stammen aus den 50ern.

Reinhard Ebner

Francis Durbridge, Lester Powell, Rolf & Alexandra Becker - Krimi Kult Kiste

ØØØ

(Krimi-Hörspiele der 50er und 60er Jahre)


der hörverlag (München 2006)

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