Stories_Interview: Sascha Lobo

"Die Vorstellungskraft der Menschen irgendwie mit Worten anregen"

Er dürfte Deutschlands bekanntester Blogger und prominentester Irokesenfrisur-Träger sein, zudem gilt er als Selbstvermarktungs-Experte: der Berliner Autor, Journalist und Werbetexter Sascha Lobo.
Frank Gundermann hat mit ihm gesprochen.    14.01.2011

Nach drei Sachbüchern, darunter "Wir nennen es Arbeit" (2006) mit Holm Friebe und "Dinge geregelt kriegen - ohne einen Funken Selbstdisziplin" (2008) mit Kathrin Passig, hat der 35jährige mittlerweile seinen ersten Roman "Strohfeuer" veröffentlicht. Im Interview spricht Sascha Lobo ausführlich über Kritiken, die ihn geschmerzt haben, warum seine Bekanntheit eher kontraproduktiv für die Wahrnehmung des Buches war, und warum er seinen ersten Roman lieber als Papierbuch in der Hand hält - statt ihn via App zu lesen.

 

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Sascha, was hat dich bewogen, ein Buch zu schreiben?

Ich habe schon mehrfach Sachbücher geschrieben. Einen Roman habe ich jetzt deshalb geschrieben, weil ich ihn mehr oder weniger für die Krone dessen halte, was man mit Worten machen kann. Mit dieser Auffassung bin ich ziemlich sicher nicht ganz allein und deswegen wollte ich mich an dieser Kunstform ausprobieren und auch schauen, ob ich etwas hinbekomme, was - sozusagen - auch noch Menschen außer meinem Therapeuten interessiert.

Und das hat zumindest Rowohlt erst einmal ganz ähnlich gesehen, denn die haben dieses Buch veröffentlichen wollen. Ein weiterer Grund war, daß ich etwas sagen wollte, was ich wohl nur in Romanform sagen konnte. Daß andere Autoren solche Aussagen auch in Sachbüchern, Dokumentarfilmen oder meinetwegen Musikstücken hätten verpacken können, ist da für mich gar nicht so wichtig. Für das, was ich dachte der Welt mitteilen zu wollen, erschien mir die Romanform als die beste.

 

Ist dieses Experiment deiner Meinung nach gelungen? Das Presse-Feedback auf deinen Roman war mitunter nicht gerade euphorisch.

Das war gemischt. Ich würde erst einmal sagen: Für mich selbst ist es gelungen. Und zwar aus zwei Gründen. Zum einen war es extrem energieintensiv, dieses Buch zu schreiben und diesen Roman herzustellen. Das war viel, viel schwieriger und hat wesentlich länger gedauert als ich dachte. Ich habe mich - ganz gegen meine Art - dramatisch überschätzt.

Am Anfang habe ich meiner Lektorin gesagt: 'Vier Monate, und dann können wir in den Feinschliff gehen'. Das ist jetzt über zwei Jahre her. Und natürlich habe ich auch bis in den Spätsommer 2010 geschrieben.  Eine sehr wesentliche Erfolgsvoraussetzung war tatsächlich aber der zweite Grund: Daß sich zumindest ein Teil des Publikums und auch der Kritik unterhalten fühlt. Mein Roman ist Unterhaltungsliteratur, das möchte ich dazusagen. Er hat einen gewissen Erkenntnis-Mehrwert, über den natürlich jeder selbst entscheidet.

Aber wenn zumindest ein Teil des Publikums und der Kritik einen Mehrwert erkennt, dann empfinde ich das als Erfolg, und das ist inzwischen auch so. Am Anfang gab es auch bösartige Kritiken. Ich nenne sie deswegen bösartig, weil sie wesentlich mehr auf meine Person bezogen waren als auf das Buch. Es gab einige schlechte und bösartige Kritiken, was gar nicht so leicht auszuhalten war wie ich dachte. Das hat mich etwas mehr mitgenommen als Kritiken zu Sachbüchern oder zu Blog-Artikeln oder zu Medien-Auftritten.

Aber tatsächlich gab es dann doch mehrere substanzielle, positive Kritiken auch von Leuten, die in der Feuilleton- und Kultur-Szene ein gewisses Gewicht haben. Was natürlich insofern entscheidend war, weil sie wiederum Orientierungspunkte für andere waren. Ijoma Mangold zum Beispiel, der im ZDF bei "Die Vorleser" doch eine sehr positive Kritik geäußert hat - eigentlich die positivste Kritik, die ich mir hätte wünschen können. Florian Illies hat in der "Zeit" geschrieben und sogar noch einmal auf die schlechten Kritiken referenziert, was ich natürlich auch schön fand, da es offenbar zurechtgerückt werden sollte. In diesen Rezensionen habe ich mich sehr gut wiederfinden können.

Denn natürlich bin ich ab und zu auch eine anstrengende Medienfigur, durch ganz viele Mechanismen. Ich sehe aber nur begrenzt ein, warum quasi meine persönliche Angestrengtheit auf den Roman so unmittelbaren Einfluß haben muß. Daß meine Angestrengtheit Einfluß darauf haben kann, okay, aber daß es das muß und daß man quasi, wenn man mich haßt, trotzdem noch überlegen kann, ob vielleicht der Roman irgendetwas bietet, das hätte ich zumindest gehofft - und das ist vielleicht ab und zu auch so gewesen, aber jedenfalls bei den Kritiken am Anfang nicht so oft.

 

Würdest du sagen, daß deine Bekanntheit ein Nachteil für deinen Roman war?

Auf jeden Fall. Das haben verschiedene Leute auch richtig beobachtet. Natürlich bin ich als Person, quasi als so eine Art inoffizieller Internet-Erklärer, in den traditionellen Medien vorbelastet, gerade im journalistischen Bereich. Wenn man sich da äußert, da kommt häufig so eine Reaktanz, so nennt sich das in der Werbewirtschaft, daß die Menschen denken: "Ach, schon wieder der. Und jetzt erklärt er mir auch noch wie Twitter funktioniert. Eben hat er mir schon gesagt, wie Facebook läuft, jetzt Twitter, und dann auch noch Google Streetview. Der könnte auch mal langsam den Mund halten".

Und das ist eine nachvollziehbare Reaktion. Da ich in verschiedenen Feldern unterwegs bin, zum Beispiel Internet-Erklärung und Roman, hat sich meine Bekanntheit nur begrenzt produktiv auf die Wahrnehmung des Buches ausgewirkt. Auf der einen Seite könnte man sogar fast von einer kontraproduktiven Wirkung sprechen. Auf der anderen Seite ist sicherlich das Schlimmste, was einem Roman passieren kann, wenn er versinkt wie ein Backstein im Wasser und gar keine Auswirkungen hat, also nicht wahrgenommen wird. In der Hinsicht bin ich schon mal dankbar, daß das nicht passiert ist.

 

Du sagtest gerade, daß dich einige Kritiken sehr geschmerzt haben. Was hat dich besonders getroffen?

Es war mehr die Mechanik, und weniger konkrete Textstellen. Man macht sich als Romanautor schon ziemlich nackt, um es mal so auszudrücken. Man bringt da etwas in die Welt, was irgendwie nicht abgesichert ist. Ganz ohne Fallseil. Wenn man ein Sachbuch schreibt, zitiert man andere Autoren. Man weiß für bestimmte Bereiche, auf wen man referenzieren kann. Das kann man dann über Studien mit der Realität abgleichen. Beim Roman ist man dagegen fast im luftleeren Raum. Das führt auch dazu, daß man einen Roman viel näher an der eigenen Person aufbauen muß, weil es einfach nicht anders geht.

Und genau diese Mechanik hat mich bei den Kritiken deutlich getroffen. Das Zweite war, daß einer der Journalisten, von dem ich eigentlich dachte, daß ich ihn schätzen würde, - ich schätze ihn, glaube ich, auch immer noch - zuerst so getan hat, als fände er den Roman gut, und mir dann eisenhart aufs Brot geschmiert hat, daß er nicht nur mich grauenhaft erbärmlich findet, sondern den Roman auch. Das ist nicht so leicht auszuhalten wie ich ursprünglich dachte.

 

Wie viel Fakt und wie viel Fiktion ist in "Strohfeuer" enthalten?
Das ist tatsächlich eine häufig gestellte Frage, weil ich von Anfang an so eine Art Vexierspiel betrieben habe. Das sieht man auf dem Cover, was übrigens ein ironisches Cover sein soll, was aber leider nur ganz wenige Leute verstanden haben, daß ich mich da selbst als Strohfeuer bezeichne. 'Sascha Lobo', Doppelpunkt, dann das 'Strohfeuer'. Meine Haare sind quasi das Feuer, und darunter befindet sich das Stroh. Ich dachte, das ist ganz offensichtlich. Tatsächlich wird das nicht ironisch, sondern von vielen Menschen als unfaßbar eitel gedeutet.

Das hat mich auch überrascht. Vielleicht spielt da meine öffentliche Wahrnehmung negativ mit hinein. Aber ich würde sagen, daß der Anteil an Fakten irgendwo zwischen 25 bis 35 Prozent liegt. Wenn man das so sagen kann. Es gibt viele Übereinstimmungen, viele einzelne Szenen und viele einzelne Entwicklungen, aber es sind auch viele Personen ausgedacht oder zusammengemorpht, vermischt, die Zukunft mit der Gegenwart und anderen Einflüssen. Der überwiegende Teil ist ausgedacht, aber autobiographische Parallelen sind natürlich trotzdem definitiv vorhanden.

 

So ein bißchen wie bei Charles Bukowski, dessen Texte auch autobiographisch inspiriert waren? Nur ohne Alkohol, bei deinem Roman.
(Lacht:) Dazu möchte ich jetzt nicht Stellung nehmen. Ich schweige.

Deinen Roman gibt es mittlerweile auch als App. Stand für dich von Anfang an fest, daß dein Manuskript lieber als gedrucktes Buch erscheinen sollte, anstatt es im Internet zu veröffentlichen?
Ja. Wenn mich jemand nach meinem Beruf fragt, dann sage ich als allererstes, daß ich viele Berufe habe, aber Autor ist mein erster Beruf - und der, wie ich finde, schönste. Das bedeutet aber auch, daß ich damit Geld verdienen muß. Rowohlt ist mein Verlag, bei dem ich mich zu Hause fühle. Und Rowohlt verdient, wenn man die Umsätze betrachtet, 99, 5 Prozent des Geldes mit Papierbüchern und nur 0,5 Prozent mit digitalen Erzeugnissen.

Das heißt, wenn man als Autor von seiner Arbeit leben möchte, dann hat man ebenso wie der Verlag, der das Buch verkaufen möchte, kaum eine Wahl, sich nur für eine Sache zu entscheiden. Und ehrlich gesagt möchte ich auch beides machen. Ich möchte dem Publikum als Autor nicht aufs Auge drücken, wie es diesen Text zu rezipieren hat. Es ist ein Produkt. Das Publikum soll das Buch kaufen, wenn es das möchte. Ob die Leute es dann als Epub-Version auf ihrem E-Reader lesen, am Bildschirm oder als Papierbuch - in diese Entscheidung möchte ich erstmal nicht reinfuchsen. Da hat jeder seine eigene Herangehensweise, und die soll ihm auch bleiben.

Außerdem bin ich - trotz aller Digitalness - von dem Gefühl fasziniert, wenn man sein eigenes Buch in der Hand hält. Ein Papierbuch ist einfach etwas ganz anderes als den eigenen Roman als App vorliegen zu haben. Meinen Roman gibt es in beiden Formen, sowie als Ebook zum Runterladen. Ich habe jetzt alle diese Formen, und es ist ein anderes Gefühl. Ein gedrucktes Papierbuch in der Hand zu haben, nehme ich als schöneres Gefühl wahr. Dieses für den Autor schönere Gefühl muß allerdings nicht bedeuten, daß bis in alle Zeit und Ewigkeit Papierbücher existieren werden. Das ist eine ganz andere Frage. Ich glaube, daß ich meinen subjektiven Standpunkt und die Entwicklung der Zukunft ganz gut trennen kann.

 

Ist das belletristische Schreiben für dich mit dem Bloggen vergleichbar?
Das finde ich überhaupt nicht. Ich habe auch nicht den Eindruck, daß mein Stil im Blog was mit dem Stil im Roman zu tun hätte. Es gab drei Rezensionen, glaube ich, die das so gesagt haben, so etwas flapsig: Wer den Stil im Blog mag, der kann auch das Buch lesen. Ich habe das überhaupt nicht so empfunden.

Meine Lektorin hat es auch nicht so empfunden. Mehrere andere, die es gelesen haben, haben es ebenfalls nicht so empfunden, aber das ist natürlich eine subjektive Herangehensweise. Tatsächlich ist das Schreiben völlig anders aufgebaut. Im Blog mache ich so eher launische Plauder-Prosa mit Meinungs-Glossen-Artikeln, und das ist im Roman anders. Im Roman versuche ich, Bilder herzustellen, Szenen, Abläufe, die Vorstellungskraft der Menschen irgendwie mit Worten anzuregen - und natürlich auch eine Geschichte zu erzählen, eine Situation zu erzeugen.

 

War "Strohfeuer" ein einmaliger Ausflug in den Bereich der Belletristik oder könntest du dir vorstellen, noch weitere Romane zu schreiben?

Das war definitiv kein einmaliger Ausflug. Zumindest wenn irgendjemand von mir noch einen Roman kaufen möchte - das muß ein Verlag ja dann auch noch wollen. Ich habe die Form des Romans so ein bißchen für mich entdeckt. Das war sehr anstrengend, fast war es schon schmerzhaft, das zu schreiben. Aber es hat sich für mich selbst gelohnt. Und zwar unabhängig davon, wie der Roman ankommt, ob er ganz ausverkauft wird oder nur halb so oft oder weniger. Ich kann schon jetzt mit neuen Romanen drohen. Ich finde diese Form sehr attraktiv. Allein schon als Arbeitsform für mich.

 

Du zitierst am Anfang deines Romans, in dem u.a. das Platzen der Dotcom-Blase thematisiert wird, den englischen Schriftsteller Daniel Defoe mit einer Aussage über die Berufsgruppe der Projektenmacher. Das sind Personen, die ihren Kunden das Blaue vom Himmel versprechen und für ihre Projekte von ihren arglosen Geldgebern enorme Summen zum Investieren einsammeln. Hat sich das Verhalten solcher Personen, die es in ähnlicher Form schon bei Defoe gab, nach dem Platzen der Dotcom-Blase geändert? Oder ist alles gleichgeblieben?

Wenn man das Buch liest, dann kommt man, glaube ich, zu dem Schluß, wie ich die Sache sehe. Daß sich da ärgerlich wenig geändert hat. Und daß es solche Situationen offenbar auch schon sehr lange gegeben hat. Daniel Defoe beschreibt 1697 in seinem Buch "Upon Projects" den Projektenmacher. Wenn man diese Zeilen liest, dann hat man den Eindruck, man würde den Protagonisten der heutigen Bankenkrise und Finanzkrise zuhören oder zuschauen.

Man kann regelrecht einen Bogen schlagen von den Projektenmachern des Jahres 1697, als es keinen Strom gab, vom Internet absolut zu schweigen, über die New Economy, also jenen Zeitpunkt, an dem das Internet das erste Mal in Deutschland auf die Gesellschaft geprallt ist, bis hin zur Finanzkrise. Diesen Bogen zu schlagen und zu sagen: 'Schaut wie die Menschen sind, die diese Goldrausch-Situation für sich ausnutzen. Sie lernen nichts daraus' - das ist eine der Aussagen des Buches: 'Sie lernen einfach nicht dazu. Sie tun so als wären sie kathartisch geläutert, aber sie lernen trotzdem nichts.' Diese Botschaft habe ich versucht zu transportieren. Dementsprechend fürchte ich, daß die Antwort lautet: Da ändert sich nicht soviel, weil ein bestimmter Menschentypus dafür verantwortlich ist.

 

Du mußtest nach dem Platzen der Dotcom-Blase für deine Firma Insolvenz anmelden. Wie hat dich dieses Erlebnis verändert?

Deutlich. Abgesehen davon, daß es tatsächlich eine Belastung ist, wenn man seine Freundin oder seinen Bruder entlassen muß, wie es mir damals passiert ist, bin ich da sehr, sehr solide auf die Fresse gefallen. Dazu kam, daß ich das Ganze am Anfang verdrängt habe. Daraus haben sich viele große Belastungen ergeben, nicht nur finanzielle, sondern auch psychologische.

Für mich war dieses Erlebnis ein plastischer Kippunkt,  an dem mir klar wurde, daß ich meine Haltung ändern muß. Ich kann so nicht weitermachen. Ich muß lernen, mit Niederlagen umzugehen, ich muß Fehler eingestehen können, ich muß einsehen, daß ich eben nicht weiß, wie die Welt funktioniert, sondern daß ich tastend vorangehe und gucke, was geht und was geht nicht.

Und daß man sich dabei sogar auch noch irren kann, selbst wenn man dachte, man hätte es verstanden. Und diese Einstellung zu verinnerlichen war ein ganz wichtiges Element für mich. Auch wenn mir das vielleicht viele Leute von außen gar nicht unterstellen oder ansehen würden.

 

Du giltst als sehr erfolgreicher Selbstvermarktungs-Experte. In einem Interview hast du gesagt, daß es darauf ankommt, Aufmerksamkeit in Respekt zu verwandeln. Was kann man sich darunter vorstellen?

Die Aufmerksamkeitsökonomie hat der deutsche Architekt und Software-Entwickler Georg Franck 1998/99 in seinem Buch "Ökonomie der Aufmerksamkeit" quasi auf eine vordigitale Art relativ präzise beschrieben. Er hat das Internet in seinen Ausführungen damals zwar schon berücksichtigt, aber die großen Entwicklungen, gerade was Aufmerksamkeitslenkung und Monetarisierung im Internet angeht, sind natürlich nach 98/99 entstanden.

In unserem 2006 erschienenen Buch "Wir nennen es Arbeit" haben Holm Friebe und ich diese Bereiche widergespiegelt. Indem wir in einem Kapitel aus der Aufmerksamkeitsökonomie die Respektökonomie gestrickt haben. Das heißt: Reine Aufmerksamkeit mag ganz schön sein, führt aber zu nichts. Man muß sich zusätzlich durch eine gewisse Substanz einen inhaltlichen Respekt erwerben. Der große Unterscheid dabei ist es, eben nicht nur einmal Aufmerksamkeit zu produzieren, beispielsweise bei einem Fernsehauftritt, sondern daß man den Leuten dabei auch so viel Substanz bietet, daß sie anfangen, dich zu respektieren und dich später wieder zu diesem Thema hören wollen.

Der Punkt, an dem sich Aufmerksamkeit in Respekt verwandelt, läßt sich nicht genau festlegen. Man kann nur versuchen ihn zu erspüren. Aber man weiß, daß es passiert ist, wenn man ein zweites Mal gebeten wird, zu einem Thema zu sprechen.

 

Gab es bei dir so einen bestimmten Punkt, an dem sich Aufmerksamkeit in Respekt gewandelt hat?

Es war wahnsinnig viel Glück dabei. Natürlich hat meine Frisur eine Rolle gespielt, die ich zur Buchmesse 2006 bei der Vorstellung von "Wir nennen es Arbeit" getragen habe. Es waren viele Zufälle, viele Dinge, die einfach passiert sind, bei denen ich gar nichts dazu beitragen konnte. Natürlich waren auch Gelegenheiten dabei, die ich dann einfach ergriffen habe. Es ist ja nicht alles aus Versehen passiert, an ein paar Stellen steckt ja auch Arbeit drin, und Zeit, die ich investiert habe.

Aber in einem Bereich zu arbeiten, der mich sehr interessiert, war wichtig für mich - und konstant an diesem Bereich dranzubleiben, eine Begeisterung dafür zu entwickeln. Und zwar eine Form der Begeisterung, die trotzdem kritisch bleiben kann, also eben nicht die Strohfeuer-Begeisterung, sondern diese Art von Begeisterung, bei der man fasziniert ist, aber es trotzdem schafft, eine kritische Distanz zu wahren.

Das ist nicht leicht. Wenn man aber so ein Feld gefunden hat, dann hat man einen Bereich, in dem man gut arbeiten kann. Falls man sich nicht von Erfolgen verführen läßt. Wenn man Lust hat, sich mit etwas zu beschäftigen, dann ist das eine ideale Arbeit. Man muß dann nur noch versuchen, damit auch Geld zu verdienen. Das ist dann allerdings nicht mehr so leicht.

 

Gibt es Patentrezepte für Aufmerksamkeits- und Respektökonomie, die du empfehlen kannst?

Das ist ganz schwer. Ich bin verhältnismäßig sicher, daß jemand, der sich jetzt noch einmal einen Irokesen-Schnitt zulegt, wohl kaum eine ähnliche Wirkung erzielen könnte wie ich das in manchen Bereichen getan habe. Ich bin sowieso immer vorsichtig, wenn Leute anfangen, von Patentrezepten zu reden; dazu ist der Einzelfall im Zweifel viel zu divers. Ich werde besonders von Journalisten häufig gefragt: Wie kann man sich selber vermarkten? Die Antwort auf diese Frage kann man nur sehr sphärisch geben.

In meinen Augen fällt sie sehr individuell aus. Für manche lautet sie, sich ziemlich stark zu spezialisieren und sich öffentlich - zum Beispiel über einen Blog - zum Ansprechpartner für einen Spezialbereich zu machen. Das wirkt auch in die verschiedenen Öffentlichkeiten hinein. Wenn man beispielsweise ein Blog führt zum Thema "Politik in Italien", dann ist man irgendwann derjenige, der gefragt wird, einen Artikel über ein entsprechendes Thema zu schreiben.

Diese Mechanik existiert, und sie funktioniert auch gar nicht so schlecht. Aber darüberhinaus kann ich keine Patentrezepte anbieten. Und sogar das genannte Beispiel ist kein Patentrezept, sondern einfach etwas, was häufiger funktioniert als man glaubt.

 

Du hast in einem Interview gesagt, daß das Spiel der Selbstinszenierung im Internet genutzt werden kann, um ein eigenes Image zu erzeugen. Inwiefern ist man dann an sein Image gebunden? Bedeutet das für dich, daß du bis in alle Ewigkeit verdammt bist, mit einem Irokesenschnitt aufzutreten?

Ach nö. Ich mache das, solange es mir gefällt und solange ich einen Sinn drin sehe. Seitdem ich die Frisur länger als vier Wochen trage, kommen immer wieder Freunde, wohlmeinende Bekannte und Verwandte zu mir und sagen: "Aber jetzt könntest du es wirklich abschneiden".

Aber ich hatte noch nie das Gefühl, daß ich gedacht habe, jetzt sollte ich mir die Haare abschneiden. Wenn es soweit ist, dann mache ich das auch einfach. Ich mag diese Frisur, ich empfinde sie für mich als die richtige Frisur. Daß sich das irgendwann mal ändern kann, ist möglich, aber dazu möchte ich jetzt keine Prognose abgeben.

 

Du beschreibst in deinem Roman eine Szene, in der du im Anzug auf recht blutige Weise ein kleines Ferkel schlachtest. Ist das autobiographisch inspiriert? Hast du wirklich mal ein Schwein geschlachtet und es dann im Kofferraum transportiert?      

Nein, diese Szene ist komplett von vorne bis hinten in jeder Einzelheit absolut ausgedacht.

 

Sie wirkt aber durchaus realistisch.

Ich habe versucht, das Buch so zu schreiben, daß jede einzelne Szene sich zugetragen haben könnte. Das ist natürlich auch Teil des Problems. Ich versuche, so plastisch wie möglich zu schreiben. Ich habe mir diese Szene vollständig ausgedacht und bin auch gerne bereit, das unter Eid zu bezeugen.

 

Du hast vorhin gesagt, daß sich ein Romanautor beim Schreiben gewissermaßen "nackt macht". Wird es bei deinem Roman mit einer Mischung aus autobiographischen Anteilen und einem Großteil Fiktion für den Leser nicht schwierig, zu unterscheiden, was auf realen Ereignissen basiert und was ausgedacht ist?

Vielleicht. Es kann gut sein, daß dadurch, daß man persönlich schreiben muß und persönlich nicht automatisch wahrhaftig heißt, es viele Leser in den falschen Hals bekommen. Tatsächlich habe ich diese Schweineschlachtung - es handelt sich um ein ganz niedliches, süßes Ferkel, das geschlachtet wird - bei mehreren Lese-Events vorgelesen.

Danach kamen immer Menschen zu mir und haben gesagt: 'Du hast das Schwein geschlachtet.' Woraufhin ich gesagt habe, daß ich das Schwein nicht geschlachtet und mir die Szene nur ausgedacht habe. Aber sie haben gesagt: 'Nein, das hast du dir nicht ausgedacht, das hast du wirklich gemacht. Du lügst doch jetzt, du hast es gemacht, aber du traust dich jetzt nicht, es zuzugeben'.

Und das ist natürlich dann auf der einen Seite ein sehr erhebendes Gefühl, daß man merkt, man kann so schreiben, daß die Leute glauben, es sei echt und plastisch. Auf der anderen Seite gibt es jetzt natürlich das Problem für mich, daß ich dem Leser Stein und Bein schwören muß, daß es nicht passiert ist.  

 

Zum Abschluß: Was wünscht du dir für deinen Roman "Strohfeuer"?

Ich wünsche mir für das Buch - es kann gerne noch weiter kontrovers angenommen werden - ein gutes Mischungsverhältnis aus positiven Annahmen, bei denen Menschen sagen "Ich wurde unterhalten und fand es gut" und negativen Sachen.

Ganz ehrlich wünscht man sich die negativen Sachen nicht, aber ich weiß, es werden wohl noch welche kommen, und das ist auch okay. Die Meinung darf geäußert werden, das ist auch gut so. Ich wünsche mir bloß, daß ein Teil dieser Meinung eben auch positiv ist und die auch geäußert wird; und natürlich, daß Menschen dieses Buch so gut finden, daß sie glauben, daß sich der Kauf gelohnt hat.

 

Frank Gundermann

Sascha Lobo: Strohfeuer

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Rowohlt (D 2010)
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