
Stories_An alle Arbeitgeber!
Absage erwünscht
Täglich teilen Millionen Facebook-User der Welt mit, daß sie erfolgreich in der Nase gebohrt haben. In der U-Bahn erörtern sie am Handy intime Details aus ihrem Liebesleben. Verständlich, daß so viel Kommunikation überfordert; denn wenn es wirklich drauf ankommt, wird geschwiegen: Seitens der Angesprochenen. Zum Beispiel bei der Jobsuche. 22.12.2010
Warten auf die Absage ist wie warten auf Godot: Sie kommt nicht. Früher war das einmal anders: Auf 50 verschickte Briefe kamen 49 Absagen (und 1 Brief zurück, weil die Adresse falsch war). Die Ausrede gilt heute auch noch: Wer sich per Mail bewirbt, muß damit rechnen, ignoriert zu werden - später kann man ja immer noch behaupten, die Message wäre wohl am Datenhighway falsch abgebogen.
Die Ignoranz grassiert, und sie zieht den Jobsuchenden den letzten Nerv: Schließlich wartet man ja. Auf ein Ja. Oder ein Nein, aber zumindest auf ein Lebenszeichen der Firma. Aber das ist reine Zeitverschwendung: Niemand will der Bote sein. Die Gefahr ist klar: Der Bote wird immer erschossen. Oder er bricht sich zumindest beim Versuch, eine Massenmail auszusenden, die Finger; und das will ja nun wirklich keiner riskieren, kann das nicht die Frau Kollegin ... ?
Also wartet man eine Woche. Und schreibt dann die Ausschreibung ab. Ganz Hartnäckige versuchen es mit einem Anruf: Haben Sie meine Bewerbung bekommen? Oft heißt es dann: Äh - naa. Manchmal: Ja, aber wir haben sie noch nicht gelesen. Sicher ist: Sie müssen weiter warten. Sie können weiter hoffen. Eventuell für immer.
Die Taktik dahinter: Keine Antwort ist keine schlechte Antwort. Das ist Mitarbeitermotivation vom Feinsten - nützt aber den Abgelehnten herzlich wenig, weil die ja immer noch drauf warten, daß was passiert. Und wenn nichts passiert, passiert im Kopf folgendes: Er macht sich so seine Gedanken.
Zum Beispiel, ob die Bewerbung so gut war, daß die Arbeitgeber in Ehrfurcht erstarrt sind. Oder ob sie so schlecht war, daß sie einer Antwort unwürdig ist. Und schließlich: Ob da am anderen Ende des Datenhighways überhaupt jemand ist. Vielleicht jemand, der einmal Muh sagt?
"Vielleicht" ist das Stichwort des neuen Jahrtausends. Was im Freundeskreis schon auf die Nerven geht ("Ich komm vielleicht nach"), ist beruflich das ultimative Depressivum: "Wir halten Sie in Evidenz". Ewig im Ungewissen, weiß niemand mehr, wo er eigentlich steht: Bin ich das nächste Mal vielleicht dabei? Vielleicht nicht? Bin ich vielleicht ein Idiot, weil ich auch nur einen Gedanken dran verschwende?
Vielleicht. Wir halten Sie in Evidenz ...
Also bitte, liebe Arbeitgeber: Sagen Sie an, sagen Sie ab - aber reden Sie mit uns! Vergessen Sie den Kuschelkurs und teilen Sie uns Ihre Entscheidung mit, tut auch gar nicht weh! Wir kriechen schon nicht durch den Hörer und erwürgen Sie. Wir legen keine Bomben in Ihrer Firma und wir stalken nicht Ihre Familie. Wir würden einfach gerne weitermachen, den Job abhaken und zur nächsten Bewerbung übergehen, denn, stellen Sie sich vor: Wir sind auch nur Menschen!
Und hier noch ein kleiner Tip für alle, die wieder einmal ignoriert wurden: Schnappen Sie sich Ihren Aktenkoffer, Ihre Lunchbox und fangen Sie einfach beim Unternehmen Ihrer Wahl an, ganz nach dem Motto: Wer schweigt, stimmt zu! Funktioniert garantiert. Und wenn nicht, dann ersparen Sie dem nächsten, armen Würstchen wenigstens die Wartezeit.
Vielleicht.
Kommentare_
Ich kann all dies nur schmerzhaft bestätigen. Und was "wochenlanges Warten" betrifft: es geht noch viel besser.
Am 6. August dieses Jahres erfuhr ich von einer Stellenausschreibung; das Anforderungsprofil schien perfekt auf mich zu passen. Lt. Website des Anbieters jedoch - einer staatliche Institution im Bildungs/Kultur-Sektor - war die Frist Tags zuvor (einem Donnerstag) abgelaufen. Gut, dachte ich: Die Ausschreibung war ja wochenlang online; also sandte ich schnell eine Mail, ob eine Bewerbung meinerseits noch berücksichtigt würde? Keine Antwort. Was soll's, dachte ich, am Freitag erwartet man in Österreich ja nicht ernsthaft, daß Beamte noch arbeiten. Also sandte ich meine Bewerbung einfach ab.
Die Wochen vergingen. Dann - ich hatte die Sache längst abgeschrieben - am 25. August plötzlich eine Antwort: "Leider ist die Bewerbungsfrist bereits abgelaufen..." (genau mit diesen neckischen Pünktchen). Es handelte sich um die Reaktion auf meine erste (!) Mail. Ich dachte - unter anderem, nicht Druckfähigem - verarschen kann ich mich selber; und antwortete: "Ja, mittlerweile schon ..." (obwohl sicher niemand dort die Wiederholung der Pünktchen registriert haben dürfte).
Allein, gewisse Mühlen mahlen zwar langsam, aber gründlich. Und so erhielt ich denn am 5. November (!!) die Nachricht: "Herzlichen Dank, dass Sie sich beim [...] beworben haben. Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir diese Stelle mittlerweile mit einer anderen Person besetzt haben."
Entzückend! "Mittlerweile"? Nach drei Monaten?? Ich war so gerührt von dieser Mitteilung, daß ich mir die Rückfrage verkniffen habe, ob die Reaktionszeit bei einer Institution, die auch ich mit Steuergeldern bezahle, eigentlich immer in Quartalen zu messen ist. Oder ob sie sich bloß in meinem Fall besondere Mühe gegeben haben.
Aber seitdem wünsche ich mir - insgeheim, in finsteren Nächten -, eine dieser Personen hätte einmal eine dringende Frage an mich. Oh, wie würde ich antworten! Und zwar immer wieder. Aber ganz ... ganz ... langsam. Und dann würde ich ABLEHNEN ...
Was ich aber fast noch mehr verabscheue als keine Antworten sind solche Standardantworten wie "Leider haben wir derzeit keine Stelle frei /keine Position für Sie oder der Hit: "Nehmen wir derzeit keine Leute auf".
Dies waren wohlgemerkt alles Antworten für Bewerbungen auf eindeutige Ausschreibungen, für die man sich langwierig durch die jeweiligen betriebseigenen Onlinebewerbungsbögen durchkämpfen musste. Da könnte man sich doch eigentlich auch zumindest eine Standardantwort für das jeweilige Angebot erwarten, aber nein..
Da hatte ich ja noch Glück - ich wurde wenigstens professionell ignoriert. In Ihrem Fall ging anscheinend bei den Zuständigen das Buch herum: `Ignorieren für Dummies´. Das ist wirklich bitter, aber wenn Ihnen das ein Trost ist: Ich bin sicher, 2011 wird besser - da wird dann endlich wieder abgesagt. Hurra!