Kolumnen_Miststück der Woche III/57

Motörhead: "Heartbreaker"

Heute wird es klassisch - mit Lemmy Kilmister. Der alte Haudegen ist immer noch so unbelehrbar wie seinerzeit 1981 in der City Hall von Leeds. Und das ist verdammt gut, findet Manfred Prescher.    28.10.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Das Pfeifen im Ohr hielt drei Tage - und irgendwie dachte ich, meine Welt wäre gerade eingestürzt. Ich verließ die rußig-grauschwarze Queens Hall von Leeds an jenem 28. März 1981 und wußte nicht, wo mir der Kopf stand. Später konnte ich "No Class", "Ace Of Spades" oder das geniale Doppel "Iron Horse/Born To Lose" noch mal nachhören - auf dem bahnbrechenden Live-Album "No Sleep ´til Hammersmith". Die Platte klang so wie das Konzert, das ich besucht hatte. Was auch kein Wunder ist, weil weite Teile der Live-Konservenbüchse nicht bei einem Konzert im Londoner Hammersmith Apollo, sondern in der Stadt in West Yorkshire aufgenommen wurden. Und auch das ist kein Wunder, weil Motörhead während der 81er-UK-Tour gar nicht im altehrwürdigen Hammersmith auftraten. Alles Lug und Trug? Natürlich nicht. Lemmy Kilmister war und ist immer ehrlich, sogar dann, wenn er uns dreist ins Gesicht oder die vor Freude zittrigen Fan-Hände lügt, wenn die sich an der LP festhalten.

Und heute? Eben komme ich zurück von einem phantastischen Konzert des holländischen Dirigenten und Barock-Großmeisters Ton Koopman, dem wir unter anderem tiefe Einblicke in das Werk des großen Johann Sebastian Bach und die Wiederentdeckung des fast genauso großen Dietrich Buxtehude verdanken. Koopman führte sein Amsterdamer Barockorchester durch Werke von Bach, Mozart und Haydn - und sogar ich saß auf der harten Holzbank der Dresdner Frauenkirche und war ergriffen und aufgewühlt. Der gerade erst 69 Jahre jung gewordene Holländer wirkte freundlich und ging fast wie Angus Young von AC/DC bei jedem Tempowechsel mit dem ganzen Körper mit. Unter den Zuschauern mag es Kreise geben, die den Vergleich von klassischer Hochkultur und klassischem Rock für ziemlich unziemlich halten. Aber Schubladen sind seit jeher nur etwas, um Socken, Krawatten und Unnerbüxen sinnvoll zu verstauen. Liest man die Interviews mit dem Dirigenten, merkt man, daß er in puncto Musik gar nicht mal so freundlich ist, sondern von nachgerade eichenartiger Festigkeit in Wort und Habitus. Das nenne ich dann unbeugsam - und das rückt ihn, beim Lichte der festlich beleuchteten Frauenkirche betrachtet, inhaltlich dann doch in die Nähe von Lemmy Kilmister, obwohl der weniger wie Vader Abraham, sondern nach Italowestern-Bösewicht aussieht. Beide Männer diskutieren nicht über ihre Musik; sie wissen, wie sie zu klingen hat.

 

Bei Lemmy geht es auf gefühlt 250.000 Alben traditionell um die reine Lehre und die  schmutzige Fülle des hardrockigen Blues. Die neue CD "Aftershock" ist wieder randvoll damit. Besonders klar kristallisiert sich die Wucht der um eine verminderte Quinte erweiterten Tonleiter im "Lost Woman Blues". Während Koopman sich um richtiges "Fugen" bemüht, sind bei Lemmy auch mal grobe "Unfugen" dabei, wie in "Death Machine" - aber das ist durchaus würdig und recht, denn sie machen Spaß.

Kleines Intermezzo am Rande der Kolumne: Während die evangelische Kirche von Sachsen die Klingelbeutel zum Wohle der Männerarbeit in ihrem Landesverband rumgehen läßt, zeigt Lemmy, was Männer wirklich brauchen. Besonders, wenn sie trauern, weil ihnen die Liebste das Herz zum -zigsten Mal gebrochen hat oder weil sie glauben, daß das so sei. Dann paßt der Album-Eröffner "Heartbreaker" perfekt. Motörhead versieht das Herzeleid mit purer Energie, und schon sieht die Welt ganz anders aus. Plötzlich ist man cool genug, um sich ein Ei auf bestimmte feminine Aggregatszustände zu pellen. Denn solange es Lemmy und seine Lemmynge gibt, geht die Welt nicht unter. Das ist amtlich - und genau deshalb rate ich den Sachsen, Teile der Kollekte in ein paar Kartons "Aftershock" zu investieren.

Nächste Woche wird es hier an dieser Stelle um ein neudeutsches Phänomen gehen, das wir nicht erst seit kurzem irgendwie intelligent-verschwurbelt und gut finden. Ich rede nicht von mir, sondern von Casper, dem freundlichen Rap-Geist, der sogar hartgesottene Rocker vom Schlage eines Lemmy zu begeistern versteht. In diesem Sinn, pfiat eich, Maderln und Burschen. Bleibt zusammen und vertrödelt eure Zeit mit schönen Dingen, denn dann ist sie nicht vertrödelt. Wort des lebendigen Manfred.

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Motörhead: "Heartbreaker"

Leserbewertung: (bewerten)

Enthalten auf der CD "Aftershock" (Rykodisc/Warner)

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Fundamentalteilchen 17/417

Alte Freunde, neue Zeiten

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
 

Kolumnen
Fundamentalteilchen 16/416: Der Winter steht vor der Tür

Wolle mer ihn reinlasse?

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 15/415: Der vermaledeite Brummschädel

Das ewige Kommen und Gehen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 6/406: Haruki, Elvis und ich

Literatur ist es, wenn man trotzdem lacht

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 5/405: Seit sieben Wochen keine komischen Streifen am Himmel und jeder dreht durch

Angriff der Kichererbsen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 4/404: Mach nicht so viel Wind, mein Kind

Wenn es draußen stürmen tut, ist das Wetter gar nicht gut

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.