Kolumnen_Miststück der Woche III/75

Jubiläum: "Mann und Frau, ja geht denn das?"

Sie ist da: die 275. Ausgabe unserer hochgeschätzten "Miststück der Woche"-Kolumne. Diesmal widmet sich Manfred Prescher songtechnisch der zwischengeschlechtlichen Beziehungkrise aus beider Perspektive - mit jeweils 12 Tracks. Aber das erklärt er Ihnen am besten selbst ...    17.03.2014

Diese Kolumne feiert schon wieder ein Jubiläum. Vor Ihnen auf dem Bildschirm sehen Sie die 275. Ausgabe - und das bedeutet, daß es die "Miststücke" netto praktisch schon seit deutlich mehr als fünf Jahren gibt. Brutto, also mit Fleisch- und Gemüseeinwaage, sprich mit den EVOLVER-Pausen, existieren sie sogar bereits seit Ende 2005. Solange hält die Beziehung zwischen Mann und Frau in der Regel nicht, weil die durchschnittlich schon nach 3,9 Jahren entzweigeht. Daran könnt ihr erstens mal sehen, was euer Kolumnist für eine treue Seele ist, und zweitens nimmt sich Manfred Prescher diesmal gleich die "Problemzonen" der zwischengeschlechtlichen Beziehung vor. Und da zum Streiten, Scheitern und Rosenkriegführen in der Regel zwei Leute gehören, präsentiert er euch 12 Songs von Frauen mit spezifischer weiblicher Sicht und 12 Songs von Männern mit der gewohnt oberflächlichen Betrachtungsweise, die uns Kerlen innewohnt. Auf das 25. Lied einigen sich dann beide und gehen entweder getrennt ihrer Wege oder machen am Abend was Nettes miteinander.

 

 

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.


Zunächst einmal muß ich doch ein paar Grundgedanken erläutern: Selbstverständlich sind die ausgewählten Songs nur Beispiele für mögliche persönliche Dramen. Und es steht zu hoffen, daß die nicht alle gleichzeitig und in einer Beziehung eine übergeordnete Bedeutung erhalten ... dann wäre das nämlich eine Tragödie von antikem Ausmaß; da wäre eine rein platonische Beziehung dann doch besser. Die heißt übrigens deshalb "platonisch", weil der gute alte Plato schon knapp vor dem Verfassen des ersten "Miststücks" von uns gegangen ist und daher nur noch aus weiter Entfernung verehrt werden kann. Im Prinzip ist die platonische Liebe also eine klassische Fernbeziehung, allerdings nicht nur über den Raum, sondern auch über die Zeit hinweg. Das erspart dann vermutlich Nervereien, Fahrereien, Libido und das lästige "Sich-auf-einen-anderen-Menschen-einlassen-müssen". Und man braucht keine Schuldfragen zu stellen. Normalerweise meinen ja beide Beteiligten oft mal, sie selbst oder der andere seien schuld und hätten sich eventuell nicht "richtig" verhalten. Aber spätestens seit Theodor Ludwig Wiesengrund Adorno bzw. Robert Gernhardt wissen wir, daß es "kein richtiges Leben im valschen gibt".

Ich schweife ab: Wir alle - oder doch zumindest ziemlich viele von uns - lassen uns beim Liebeskummer gern von Musik begleiten. Viele der wunderbaren kleinen Dramen wurden aus diesem Grund in Noten und griffige Texte gegossen. Davon zehrten Mozart, die Beatles oder auch Adele. Das Motown-Label lebte lange Jahre sehr gut von diesem Bedürfnis nach dem Begleitdrama. Und da fällt es dann schon auf, wenn uns jemand permanent um die Ohren haut, er sei dermaßen sowas von "Happy" - oder uns "Get Lucky" befiehlt.

Aber nun der Reihe nach: 25 Songs für Beziehungskatastrophen liegen vor euch. All diese Lieder lassen sich aber guten Gewissens auch in optimistischen Zeiten einsetzen. Weil sie dann oft positiver wirken als der aufrhythmisierte Zwang, endlich "glücklich" zu sein. Wohl an denn - die weibliche Seite darf beginnen. Ich weiß schließlich, was sich gehört.

Manfred Prescher

1a: Bif Naked: "Lucky"

Album: "I Bificus" (1998)

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Hinter dem Pseudonym Bif Naked steckt die kanadische Dichterin Beth Torbert. Sie wurde als Kind von Missionaren adoptiert und versucht in ihren Liedern die Loslösung von den rigiden Regeln der Kindheit zu beschreiben. "Lucky" ist ein sehr sachtes Lied, das den Anfang einer Beziehung markiert - also die Zeit, in der schon das Wunschdenken auf den anderen projiziert wird. Das Scheitern ist genau an dem Punkt begraben, und es wird im Lauf des Zusammenseins schwierig, den anderen zu erkennen. Aber noch ist die Möglichkeit auf Glück gegeben. Der Song paßte in "Buffy" übrigens wirklich perfekt ...

 

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1b: The Smiths: "Heaven Knows I´m Miserable Now"

Album: "Hatful Of Hollow" (1988)

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Der Titel ist die Umdichtung einer echten Liebesschmonzette - nämlich Sandy Shaws "Heaven Knows I´m Missing Him Now". Aber Morrissey beschreibt mit wenigen Worten einen Mann, der bei anderen Menschen, speziell bei allerliebsten, nur Schmerzen verursacht. Dieses Thema kennt man auch aus anderen Männer-Songs, etwa "Hurt" von Nine Inch Nails oder dem eher weinerlichen "Everybody Hurts" von R.E.M. Aber The Smiths beweinen nicht, sie stellen fest.

 


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2a: Mazzy Star: "Fade Into You"

Album: "So Tonight I Might See" (1993)

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Zu einer sehr einfühlsamen Melodie singt Hope Sandoval, die Frontfrau der alternativen Rockband Mazzy Star, über die Sehnsucht nach Verschmelzung. Aber Vorsicht: Wo Mann und Frau verschmelzen, besteht die Gefahr, sich aufzulösen und zu verlieren. Darum ist es ratsam, sich nach der Vereinigung auch wieder auf sich selbst zu beziehen - also ein "Fade Out Of You" zuzulassen.

 


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2b: Randy Newman: "Guilty"

Album: "Good Old Boys" (1974)

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Dieses Gefühl scheinen nur Männer zu kennen, in sogenannten "Frauen-Songs" findet sich das "Schuldigsein" eher selten. Randy Newman jedenfalls sagt seiner Liebsten, daß er den Rest seines Lebens schuldig sein wird. Es ist halt bitter, daß wir Kerle immer so übertreiben müssen. Aus diesem Geist entstehen dann Lieder wie "Hang Me, Oh Hang Me" von Oscar Isaac bzw. Dave van Ronk oder "Dang Me" von Roger Miller. Dieser Fatalismus bringt eine Beziehung jedenfalls nicht weiter, erklärt aber die Fluchttendenzen mancher Männer.

 


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3a: Garbage: "Only Happy When It Rains"

Album: "Garbage" (1995)

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Das scheint mir kein geschlechtertypisches Phänomen zu sein: Viele Menschen sind erst dann glücklich, wenn sie etwas unglücklich sind. Oder um es mit Friedrich Hollaender bzw. Marlene Dietrich zu sagen: "Wenn ich mir was wünschen dürfte, möcht´ ich etwas glücklich sein. Denn wenn ich gar zu glücklich bin, hab´ ich Heimweh nach dem Traurigsein." Gibt es Harmoniesucht? Oder ist es eher andersrum? Sehnt man sich nach dem Drama?

 

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3b: Eminem: "Mockingbird"

Album: "Encore" (2004)

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Oft sind auch Dritte betroffen, wenn es im Beziehungsgebälk kracht. Dieser sanfte und gleichzeitig traurig-wütende Rap von Eminem ist an dessen Tochter Hailie Jade gerichtet, erzählt aber auch von bitteren Gefühlen bei der Trennung von deren Mutter. Eminem versucht der Kleinen gleichzeitig zu erklären, was passiert ist - und daß er trotz allem immer für sie da sein wird.

 

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4a: Lori Carson: "Snow Come Down"

Album: "Everything I Touch Runs Wild" (2009)

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Die New Yorker Songwriterin Lori Carson hat eines der schönsten und berührendsten Liebeslieder überhaupt geschrieben. Liebe kann eben doch funktionieren - wenn beide Menschen es sich und dem anderen zugestehen bzw. ermöglichen, daß sie so sein dürfen, wie sie sind. Und daß sie so, wie sie sind, vom anderen angenommen werden. Wäre das möglich, könnte man wirklich zusammenbleiben und für den anderen einfach da sein. Also: die Liebe schenken und sie auch annehmen (empfiehlt euer Lebens- und Musikberater).

 

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4b: David Bowie: "The Stars Are Out Tonight"

Album: "The Next Day" (2013)

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Im Video zum Song spielen Oscar-Preisträgerin Tilda Swinton und David Bowie ein Ehepaar, bei dem das Annehmen des anderen Menschen nicht geklappt hat. Man vegetiert nebeneinander her, isoliert, träumt von einer besseren Vergangenheit. Das eigentliche Leben läuft woanders ab. Aber wo? Bowies Blick aus dem Fenster zeigt Ratlosigkeit und Trauer.

 

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5a: The Cranberries: "Ridiculous Thoughts"

Album: "No Need To Argue" (1994)

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Es ist ein ganz schmaler Grat zwischen der Äußerung von Wünschen bzw. Bedürfnissen und dem Versuch, einen anderen Menschen zu manipulieren. Dolores O´Riordan besingt den Zustand, nicht mehr Herrin ihrer eigenen Gedanken zu sein - und damit ist sie mittendrin und nicht mehr nur dabei. Mittendrin im Prozess der Selbstauflösung. In einer Beziehung ist Manipulation nah am Mißbrauch, weil sie den Willen eines anderen aushebeln will. Genau darum geht es in diesem Lied.

 

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5b: The Sex Pistols: "Liar"

Album: "Never Mind The Bollocks, Here´s The Sex Pistols" (1977)

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Was ist Wahrheit? Und wer belügt wen? Mit Selbstverachtung singt Johnny Rotten über das Belügen der anderen, das mit der Selbstlüge anfängt. Und er verachtet gleichzeitig alle, die falsches Zeugnis reden wider ihn. Allgegenwärtig ist das Flunkern, es findet sich praktisch überall - so defätistisch muß ein Punksong einfach sein. Oder anders: In jedem von uns steckt sozusagen ein Uli Hoeneß, bloß haben wir keine 120 Millionen flüssig. Mit der Wahrheit kommt man nicht nur vor Gericht weiter, sondern erstaunlicherweise sogar in einer Beziehung.

 

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6a: Hole: "Violet"

Album: "Live Through This" (1994)

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Und immer wieder geht es um Schutz - darum, sich vor den Abgründen des Partners in Sicherheit zu bringen. Courtney Love klingt beim Beschreiben ihrer an sich "lächerlichen" Gedanken eher wie eine Frau, die viel mitbringt in eine Beziehung. Verletzungen von irgendwann früher. Lustig findet sie das alles nicht. Aber sie wünscht sich trotzdem, daß er bei ihr bleibt. Mit "er" war in diesem Fall nicht der tragisch dahingeschiedene Ex-Mann Kurt Cobain, sondern Smashing-Pumpkins-Boß Billy Corgan gemeint.

 

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6b: Einstürzende Neubauten: "Weil Weil Weil"

Album: "Alles wieder offen" (2007)

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Immer wieder Rechtfertigungen, ein ewiges "weil". Blixa Bargeld singt "Die Kette der Beschwichtigungen reißt niemals ab". Das Wörtchen "weil" versucht immer zu definieren, wieder gut zu machen. Es ist zugleich Erklärungsformel und Istgleichzeichen einer Rechfertigungsrechnung.

 

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Love hurts ...

Miststück der Woche III/75, Part II


25 Songs für Beziehungskatastrophen: Auch im zweiten Teil des Jubiläums-"Miststücks" läßt Manfred Prescher Männer und Frauen in Krisenstimmung zu Wort kommen.

 

(Photo Quokka: Ryot)

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Für eine Handvoll Töne

Blast from the Past: Miststück der Woche


Seit mehr als sechs Jahren sorgt Manfred Prescher dafür, daß sich das montägliche Aufstehen tatsächlich lohnt. Wir bedanken uns an dieser Stelle bei Österreichs Ehrenbürger und liefern Ihnen einen Überblick über die bisherigen Jubiläums-"Miststücke".

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

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