Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 55

Mando Diao: "Dance With Somebody"

Fünf Wikinger haben den Gipfel des Pop erreicht. Rechtzeitig zum zehnjährigen Bestehen der Band gehören ihnen die Hitparaden und die Herzen der intelligenteren Musik-Fans - meint Manfred Prescher.    09.03.2009

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

 

Knapp tausend Jahre, nachdem die Nordmänner die Angelsachsen von der britischen Hauptinsel vertrieben und so das Vermächtnis des großen Dänen-, Norweger- und Engländerkönigs Sven Gabelbart erfüllten, sind die Wikinger wieder auf Eroberungsfeldzug. Natürlich bedienen sie sich modernerer Mittel und sind nicht mehr in Knorrs oder Langschiffen unterwegs. Freilich nutzen sie auch keine Flotte von Saab-Limousinen - denn wer weiß schon, ob es dafür in Bälde noch ausreichend Ersatzteile geben wird. Via Internet und anderen "Distributionswegen" kommt man ohnehin viel schneller ans Ziel. Und das heißt für Mando Diao ganz eindeutig Britannien. Im Lande von King Morrissey I. nimmt man das Quintett aus Borlänge allerdings noch nicht so zur Kenntnis, aber ich bin sicher, daß sich das bald ändern wird, ist die Insel doch mittlerweile sogar reif für die knarzigen US-Hinterwäldler von Kings Of Leon, die längst mehr Publikum zu ihren britischen Konzerten locken als Oasis, Franz Ferdinand und die Arctic Monkeys zusammen. Also werden Mando Diao über die Erfolge, die sich zunächst im heimischen Dreikronenland und dann hierzulande einstellten, auch das Mutterland des europäischen Pop erobern.

 

Wie das funktioniert, haben die fünf gar nicht so alten Schweden auf ihrem Feldzug gen Süden, also zu uns, schon gezeigt: Man fängt klein, aber fein mit hübsch-schrägen Songs an. 2002 eroberten sie mit coolen Singles wie "Mr. Moon", "The Band" oder "Motown Blood" (prima Titel, fürwahr) und einem gelungenen Major-Debüt die Herzen der Trendsetter-Gemeinde. Auf diesem Entwicklungsstand ist man übrigens zwischen Dover und Glasgow mittlerweile auch schon angelangt.

Über die Mando-Diao-CDs "Ode To Ochrasy" und "Never Seen The Light Of Day" begeisterten sich die Kritiker in nahezu allen maßgeblichen und unmaßgeblichen Pop-Postillen endgültig für die Band um die Sänger Björn Hans-Erik Dixgård und Gustaf Erik Norén. Im Zuge des halbwegs als Schweden-Boom zu bezeichnenden Auftauchens von Moneybrother, Hives und Co. gelangten die Alben sogar kurzeitig in die Top ten der Hitparade, was aber natürlich nur bedeutet, daß die Wissenden oder Ahnenden gleich in der ersten Woche nach der Veröffentlichung zugegriffen haben. Bereut haben sie den Kauf sicher nicht, da die Platten tatsächlich und wahrhaftig gut sind. Daß die Schweden auch live bei diversen Monster-Festivals überzeugen konnten, analog zu den oben erwähnten Kings Of Leon, kam noch erfolgsfördernd dazu. Getreu dem Funkadelic-Motto: "Free your mind and your ass will follow" wurde erst der Elfenbeintum der Kritiker eingenommen, bevor via "Rock am Ring"/"Rock im Park" vor kurzem auch das tiefe Tal namens Allgemeinheit erreicht wurde.

 

Und es gibt, weiß Thor, viel Schlimmeres als jene nette Mischung aus Pet Shop Boys und Blur, mit denen Mando Diao jetzt völlig zu Recht die Spitze der Charts erklimmen: "Dance With Somebody" ist entweder der Nachklapp auf das jüngste Disco-Revival, das uns die Scissor Sisters, Mika oder Hercules & The Love Affair brachte - oder eben schon der Vorreiter des nächsten Glitzerkugel-Hypes.

Ich vermute sogar, daß sich Disco-mäßig gerade zwei Zeitzonen überlappen, was dazu führt, daß Mando Diao mit ihrer netten Kopie sowohl hinterherhinken als auch vorauslaufen. Wie das genau zu erklären ist, weiß vermutlich nur Captain Picard oder der Mann, den Homer Simpson mit Larry Flynt verwechselt - also Stephen Hawking. Der einfache EVOLVER-Kolumnist kommt da natürlich nicht auf eine wissenschaftlich korrekte Lösung; es geht ihm wie dem yellow baldhead: "Nun komm schon, Gehirn: Du magst mich nicht und ich mag dich nicht. Aber da müssen wir jetzt leider durch. Danach werde ich dich auch wieder kräftig mit Bier ersäufen."

Oder einfach sofort ausgelassen mit Mando Diao feiern ... Man kann ja mäkeln, wie man will - aber ein guter Popsong bleibt eben ein guter Popsong und ist durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Insofern ist "Dance With Somebody", die erste Single aus der ordentlichen fünften CD "Give Me Fire", so etwas wie das "Doppelherz" für die lethargischen Musikfans. Daß Mando Diao nun endgültig in der Dorfdisco und bei Dieter Bohlens Lemmingen angekommen sind, sollte niemanden stören, der noch bei Verstand ist. Erstens ist die Band nämlich zu gut, um als Humpfta-One-Hit-Wonder zu fungieren, und zweitens sind die Wikinger nicht erst seit der Zeit von Sven Gabelbart harte Jungs, die sich von nichts und niemandem beeindrucken lassen. Weder die Wogen des Meeres noch die des Zeitgeists bringen sie vom Weg ab. Und im Fall von Mando Diao kann der nur sein, den Briten den perfekten Popsong zu bringen.

Nächste Woche wird es an dieser Stelle das Original zu "Dance With Somebody" geben - die echten Pet Shop Boys.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Mando Diao - Give Me Fire

(Photo © Erik Weiss)

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Universal Music

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