Kolumnen_Na Mahlzeit!

Fett ist gut, Muße noch besser

Es schmeckt hervorragend, kann als Grundlage für einen ordentlichen Rausch dienen und bietet garantiert die Erlösung von einem schlimmen Kater: das Wiener Saftgulasch. Das Geheimnis seiner eigentlich ganz einfachen Zubereitung deckt unser Experte für realitätsnahe Rezepte gleich auf - exklusiv im EVOLVER.    03.12.2010

Die Röstaromen steigen in die Nase, der Braten nimmt Farbe an, es duftet nach Rosmarin und Knoblauch, es brutzelt und dampft. Millionen Menschen schauen zu, das Wasser läuft ihnen im Mund zusammen, aber sie riechen nichts. Noch nie wurde im Fernsehen so viel Gemüse gratiniert, Fisch filetiert und mit lässigen Sprüchen Fleisch flambiert. Nur zu Hause gibt's immer dieselben Fertiggerichte - und die schmecken fad und langweilig.

EVOLVER-Küchenchef Pascal Sperger unternimmt etwas dagegen: Tauschen Sie mit ihm Woche für Woche die Fernbedienung gegen den Kochlöffel und den medialen Kochshow-Overkill gegen richtiges Essen. Es wird Ihnen guttun. Und schmecken.

 

Heute: Wiener Saftgulasch

 

Es schwimmt in einer rotbraunen Sauce und hat es deswegen oft nicht leicht. Selbsternannte Feinschmecker und Pseudo-Gourmets verschmähen es, rümpfen die Nase und säuseln: "Das Auge ißt mit." Dabei würde man es dem Wiener Saftgulasch wirklich gönnen, wenn genau solche arroganten Kreaturen angesichts dieser köstlichen Speise einfach die Augen schließen würden - wenn’s sein muß, auch für immer. Wer jedoch weiß, daß wahre Schönheit erst durch optische Makel entsteht, darf auch in Zukunft ohne schlechtes Gewissen richtig schlemmen.

 

 

Zutaten für 6 Personen

 

1 kg Gulaschfleisch (Wadschinken oder

Schulter)

7 - 9 Zwiebeln

4 - 6 Knoblauchzehen

1 Flasche Rotwein

3 Lorbeerblätter

1 EL scharfes oder süßes Paprikapulver

2 frische Zweige Rosmarin oder 2 gehäufte TL

Trockenware

2 frische Zweige Majoran oder 2 gehäufte TL

Trockenware

Salz, Pfeffer, eine Prise Zucker

3 EL Sonnenblumenöl

 

 

 

Und so wird's gemacht:

 

Zwiebeln schälen und grob würfeln. Dazu verwendet man am besten ein scharfes Messer, da stumpfe Klingen und Hackmaschinen die Zwiebel zerquetschen. Und das ist schlecht, weil die austretende Flüssigkeit beim Anschwitzen eine optimale Röstung verhindert und Bitterstoffe entstehen. Das schmeckt nicht besonders, also wollen wir es nicht.

Nach dem Kleinschneiden der sieben bis neun Zwiebeln werden manche vielleicht über die Menge staunen - aber keine Sorge, es sieht nach mehr aus, als es ist. Außerdem haben die Zwiebeln eine wichtige Funktion: sie binden die Sauce und machen sie sämig. Da wir dazu kein Mehl verwenden, braucht man eine entsprechende Menge dieser Kulturpflanze. Aber dazu kommen wir später noch.

 

Das typische Gulaschfleisch ist fast immer von Sehnen und Fettmarmorierungen durchzogen. Wenn man das nicht mag, kauft man am besten mageres, flachsen- und sehnenfreies Fleisch - zum Beispiel Schulterstücke - ein. Kalorienzählern und Diät-Fanatikern sei jedoch gesagt, daß man von ein wenig Fett nicht gleich adipös wird, und daß es einer der wichtigsten Geschmacksträger ist.

Außerdem lösen sich die Marmorierungen und Sehnen während des Kochens auf. Übrig bleibt ein attraktives, zartes Stück Fleisch, das sich leicht mit einem Löffel zerteilen läßt und auf der Zunge zergeht.

Was auch immer Sie bevorzugen: Gulaschfleisch in golfballgroße Stücke würfeln und beiseitestellen. Holzigen Ansatz des Knoblauchs abschneiden und die Zehe mit der flachen Messerseite leicht andrücken. Wer will, kann den Knoblauch noch grob würfeln. Allerdings ist das Fleißarbeit, da die Zwiebeln und der Knoblauch nach dem Anschwitzen ohnehin mit dem Stabmixer püriert werden.

 

Den Boden eines hohen Topfes mit Sonnenblumenöl oder noch besser Butterschmalz bedecken. Zwei Minuten warten, bis das Öl heiß ist, danach die Zwiebeln darin anschwitzen. Und jetzt gut aufpassen: Die Zwiebeln sollen langsam Farbe bekommen und regelrecht "karamellisieren".

Das funktioniert aber nur richtig, wenn man sich Zeit läßt. Die Herdplatte also nur auf mittlere Hitze stellen und jede Minute mindestens einmal umrühren. Bis die Zwiebeln goldbraun sind - und genau so sollen sie sein -, dauert es ca. 15 Minuten. Nach etwa 10 Minuten Knoblauchzehen dazugeben und jetzt öfters - besser ständig - umrühren.

Pfanne mit den goldbraunen Zwiebeln von der Herdplatte nehmen und die Zwiebel-Knoblauch-Mischung mit einem Stabmixer fein pürieren. Fleisch, Thymian, Majoran, Lorbeerblätter und Paprikapulver zugeben. Rotwein aufgießen und mit Salz, Pfeffer und der Prise Zucker würzen.

 

Manche fragen sich jetzt sicher, was Zucker in einem Gulasch verloren hat. Kenner, erfahrene Hausfrauen und Köche wissen aber, daß Süßspeisen erst durch eine Prise Salz richtig gut schmecken, und daß Zucker salzige Speisen geschmacklich erst richtig rund macht.

Die Erklärung dafür: Obwohl "Geschmack" eigentlich erst im Gehirn entsteht, kann der Mensch mit seiner Zunge süß, sauer, salzig und bitter wahrnehmen. OK, seit neuestem sind auch die Geschmäcker fettig und umami - japanisch für "fleischig, herzhaft, wohlschmeckend" - wissenschaftlich anerkannt, aber das ist eine andere Geschichte.

Jedenfalls leitet sich aus der Physiologie der Zunge auch die Erklärung für den Zucker ab. Je mehr Geschmacksnerven während des Essens auf der Zunge angesprochen werden, desto "runder" ist der Gesamteindruck. Vereinfacht gesagt: Es schmeckt einfach besser, wenn möglichst viele Zungenareale etwas zu melden haben. Beim Gulasch spielen also Rotwein für die Säure, Zucker und karamellisierte Zwiebel für die abrundende Süße und das Salz für - no na - den salzigen Geschmack wichtige Rollen. Optimal ausbalanciert bringen diese Zutaten die Rezeptoren in der Großhirnrinde zum Tanzen.

 

Jetzt aber zurück an den Herd - viel ist ohnehin nicht mehr zu tun. Die Pfanne wieder auf die Platte stellen, einmal aufkochen und dann bei geringer Hitze zwei bis drei Stunden köcheln lassen; die erste Stunde zugedeckt, dann ohne Topfdeckel weiter garen.

Zwischendurch immer wieder umrühren, damit das Fleisch nicht am Pfannenboden "ansitzt", eventuell noch etwas Wasser zufügen. Nach spätestens drei Stunden Simmern sollte das Fleisch so zart sein, daß es sich mit einem Löffel ganz leicht zerteilen läßt.

 

Vor dem Anrichten probieren und gegebenenfalls mit Salz, Pfeffer und einer weiteren Prise Zucker abschmecken. Dazu serviert man am besten Schwarzbrot, Bandnudeln, Spätzle oder Semmelknödel.

 

Zum Schluß noch ein kleiner Tip: Gulasch schmeckt am besten, wenn es über mehrere Tage immer wieder aufgekocht wird.

Pascal Sperger

Wiener Saftgulasch

Na Mahlzeit!

Links:

Kommentare_

l'autre maître - 09.12.2010 : 00.02
Wieder ein vorzüglich erklärtes Rezept, ich gratuliere.
Wenn Sie mir die folgenden Anmerkungen gestatten:
1) Das Wiener Saftgulasch enthält im Original weder Gemüse (außer Zwiebeln) noch Wein - sie präsentieren hier schon eine verfeinerte Variante.
2) Das Pürieren der Zwiebel-Knoblauch-Mischung ist eine Unsitte, die erst mit der Verbreitung von Passierstäben Einzug gehalten hat. Das Gericht muß eben so lange köcheln, bis sich die Zwiebeln "aufgelöst" haben - die Verbesserung durch lange Garzeit merken Sie ("mehrere Tage aufkochen") ja ganz richtig an.
Knoblauch setzt beim brutalen Zerkleinern sofort die geschmacklich relevanten Öle frei; wird er hernach noch gekocht, kann man sich die Sache gleich sparen. Was etwa bei Pesto angebracht ist (oder beim Hinzufügen wenige Minuten vor dem Servieren - im Spinat, als Beispiel), sollte man hier unterlassen: vor allem die beliebte "Knoblauchquetsche" ist ein reines Folterinstrument, auch für den Geschmack. Besser: Die Zehen hacheln, etwa auf einem simplen Gemüsehobel (vulgo Gurkenhachler); vorausgesetzt, die Scheiben sind hernach nicht dicker als ca. 1mm. Und: 5-6 Zehen sind eher angemessen.
3) Mit "3 EL Öl" für die Zwiebeln kommt man allenfalls in einer beschichteten Pfanne zurecht. Essentiell für das Gulasch ist jedoch der "Spiegel": jene dunkle Fettschicht, die sich beim Köcheln nach längerer Zeit oben im Topf absetzt. Selbige bedingt u.a. den herzhaften Einsatz von Schmalz (und nicht etwa Öl!): Bei 1kg Fleisch und gut 1kg Zwiebeln sind zum Anrösten Letztgenannter 150-200g Schweineschmalz angebracht. (Kalorienzähler sollten sich an dieser Stelle lieber über ihren Süßigkeitenkonsum Gedanken machen.) Die Farbe der Zwiebeln - ihr Röstgrad - entscheidet später über die Färbung und den gehaltvollen Geschmack der Speise; ein richtiges Gulasch muß stellenweise geradezu schwarz anmuten. Beschichtete Pfannen sind zum ordentlichen Anrösten wenig geeignet: es dauert ewig, und das tut dem Gemüse nicht gut.
4) Unter "Karamellisieren" versteht man das Einschmelzen von Zucker unter Hitzeeinwirkung. Im Kochjargon wird der Ausdruck aber auch für das Bräunen von Zwiebeln verwendet. Ich merke das an, damit keine Mißverständnisse in Bezug auf den Einsatz von Zucker in Ihrem Rezept entstehen. (Übrigens ein erstklassiger Tip, den Köche sonst gern für sich behalten.)
5) "1EL Paprikapulver" ist viel zuwenig; 4-5 Eßlöffel dürfen es hier schon sein ("edelsüß"; wer mehr Schärfe will, kann später mit Cayennepfeffer nachwürzen). Und: es wird nach deren Abrösten direkt über die Zwiebeln in die Pfanne gestreut. Das muß schnell gehen, sonst wird's bitter: drüberstreuen, kurz umrühren, und sofort mit Essig ablöschen - oder mit Rotwein, wie Sie schreiben.
6) Rosmarin tut der Sache zweifellos gut, ist aber nicht zwingend notwendig. Hingegen fehlt in Ihrer Auflistung die Zitronenschale - ein wichtiger Bestandteil. Also: Man nehme eine - ungepritzte! - Zitrone und "reibe" ihre Schale ab. Mit einer eher feinen Seite des Reibblechs, und nur die gelbe Schicht. (Mit dem Messer feine Streifen abschälen und kleinhacken geht natürlich auch, dauert aber länger.) Als Gewürz dem köchelnden Gericht beigeben.
7) Was die Wahl des Fleisches anbetrifft: Es ist ein Gerücht, man könne ein gutes Gulasch mit "Magerem" zubereiten (und gerade Rind tendiert dazu, fasrig-trocken zu bleiben, egal, wie lange man es kocht). Denn - wie in Ihrem Beitrag richtig angemerkt -: die Gelatine von Fett, Flachsen und Knorpeln ist unverzichtbar. Hersteller von Fertigprodukten in Dosen arbeiten mit "Mürbesalzen" und Ähnlichem. Für uns gilt: "marmoriert" ist eine nette Bezeichnung - in Wahrheit muß es schlicht fett sein. Genau jene Art von Fleisch, die uns seit Jahrzehnten abgewöhnt werden soll; "saftig" sagte man früher dazu. Wobei es genausogut Lamm sein kann. Mein Tip: ordinäres Schweinernes; wenigstens zum Üben.
8) Eine Pfanne, in der bereits ein gutes Kilo Zwiebeln kleingeröstet wurde, geht beim Hinzufügen der wesentlichen Zutaten vermutlich auch dann über, wenn sie 30cm Umfang hat. Also: Zwiebeln in der Pfanne rösten, Paprika drüber, ablöschen - und ab damit in einen großen Topf, wo bereits das Fleisch samt der restlichen Gewürze wartet.
der Doc - 09.12.2010 : 09.20
Was der andere Maître da alles auflistet, klingt wunderbar, aber für mich als kompletten Küchenlaien (wozu gibt´s Gasthäuser?) schon nach Kochen für Fortgeschrittene. Jetzt habe ich dank dieses wunderbaren Photokurses endlich gelernt, wie man mit Knoblauch umgeht (und mache das auch, den Gasthäusern zum Trotz - und es schmeckt wunderbar und macht mich stolz, daß ich irgendwas zusammenbringe außer Wasser kochen und eine mittelgute Eierspeis) - und schon soll wieder alles falsch sein?! Verdammt! Nein, da gefällt mir das "Kochen für Hilflose"-Grundkonzept schon besser, und es läßt sich auch in der küchenmäßig nur halbherzig ausgestatteten Junggesellenwohnung verwirklichen. Jedenfalls danke ich beiden Herren für ihre Rezepte und Anmerkungen. Und ich schlage vor, sie tun sich zusammen und liefern der EVOLVER-Leserschaft Rezepte, die jeder versteht UND die Tips für Feinspitze enthalten. Weil, ehrlich: Wer liest die Kommentare (außer dem Autor der darüberstehenden Geschichte?)
Es grüßt: der Doc

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