Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 57
U2: "Get On Your Boots"
Knackig, runderneuert und fast schon wieder hip: Die 80er-Jahre-Saurier sind wieder in Top-Form - findet Manfred Prescher. Aber er mag nicht darüber schreiben.
30.03.2009
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Eigentlich sollte es an dieser Stelle, justament in diesem "Miststück", um die neue Single von U2 gehen, aber irgendwie fehlt dem Autor jede Spur der Lust, darüber zu schreiben. Dabei ist das neue Werk der irischen Weltrettungs-Rocker gar nicht mal schlecht. Bono, Edge und Co. haben dermaßen Schwung, daß jeder mitmachen muß - selbst ein alter Dackel, wie meinereiner einer ist. Woran liegt die Schreibblockade also? Ich frage meinen besten Freund und Psychiater Godot.
Manfred: 156 "Miststücke" gingen mir federleicht von der Hand; jetzt sitze ich vor der Stereoanlage, höre wieder und wieder "Get On Your Boots" von U2 und finde keine Worte.
Godot: Warum hast du dir das Thema eigentlich gewählt? Du mußt doch wissen, daß alle "Rolling Stones" und "Musik Expresse" der Welt schon alles gesagt haben, was man über die neue U2-Platte wissen muß. Vom "Stern" ganz zu schweigen ...
Manfred: Da war ich wohl ein wenig zu blauäugig und habe gedacht, daß ich vielleicht ein wenig darüber fabulieren sollte, warum Bono doch nicht Papst werden kann.
Godot: Ist er Protestant oder was?
Manfred: Nein, ich glaube nicht. Aber mit der neuen Single zeigt er, daß er fleischlich-weltlichen Genüssen nicht abgeneigt ist. Und wir wissen ja, wie die kirchliche Doktrin lautet.
Godot: Du magst es doch, wenn einer ein wenig schweinigelt.
Manfred: Schon, aber so weit ist es mit U2 aber noch nicht. Die rangieren irgendwo zwischen Engelchen und Teufelchen.
Godot: Wo ist dann das Problem?
Manfred: Mir genügt es völlig, "Boots" zu hören und mich daran zu erinnern, daß Songs über Stiefel seit Nancy und Lee, H-Town oder meinetwegen auch Franz Ferdinands Beatles-Klon "Eleanor Put Your Boots On" funktionieren.
Godot: Und gäbe das nicht einen wundervollen Aufhänger für das "Miststück"?
Manfred: Kann sein, aber eigentlich ist mir mehr nach Scouting For Girls ...
Godot: Du bist doch verheiratet.
Manfred: Scherzkeks. Ich rede von den Londoner Post-Punk-Pubertierern, die mir gerade richtig Freude machen. Aber leider habe ich ja U2 angekündigt.
Godot: Wer den Mund zu voll nehmen will, bekommt oft schon beim ersten Biß Maulsperre.
Manfred: Und wer doof ist, kann sich den Zeigefinger im Hintern abbrechen, na danke.
Godot: Zurück zu U2. Weißt du, was mir aufgefallen ist?
Manfred: Bin ich der Prophet Mohammed oder was?
Godot: Die großen Bands und Projekte der 80er sind zurückgekehrt. Nimm die Pet Shop Boys, die haben ein Superalbum veröffentlicht, das neue Depeche-Mode-Werk soll auch nicht übel gelungen sein, und sogar U2 sind wieder voll da.
Manfred: Stimmt schon, "No Line On The Horizon" klingt frisch und modern. Was ganz erstaunlich ist, wenn man bedenkt, daß U2 schon seit 33 Jahren zusammen musizieren und ihr erstes Album vor fast drei Jahrzehnten herausgebracht haben. Aber einen Unterschied zu "Boy", "October", "War" oder "The Joshua Tree" gibt es schon ...
Godot: Und der wäre?
Manfred: Die Band verzichtet weitgehend auf die in den 80ern und frühen 90er Jahren knuffigen Melodien. Erstaunlicherweise fällt dieser vorgebliche Mangel an kompositorischen Ideen gar nicht negativ auf. Es sei denn, man hört abwechselnd die Pet Shop Boys, die wieder auf Ohrwürmer für intelligente Radiohörer setzen.
Godot: "The Unforgettable Fire" brennt also noch?
Manfred: Ganz bestimmt. Ich sehe schon Parallelen zu R.E.M., praktisch den amerikanischen Brüdern im philanthropischen Geiste. Man müßte niemandem mehr etwas beweisen, könnte gepflegt von den Tantiemen den Regenwald retten und gleichzeitig prima leben.
Godot: Weise Worte. Was gibt´s denn nächste Woche?
Manfred: Wenn mich meine Frau auf das Dylan-Konzert einlädt, schreibe ich wohl über "Blowin´ In The Wind", ansonsten über Scouting For Girls.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
Manfred Prescher
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