Kolumnen_Al Cook im EVOLVER #12

Der weiße Mann und der Blues

Der EVOLVER veröffentlicht die Kolumne, die der heimische Blues-Traditionalist Al Cook jahrelang für eine heimische Website schrieb, auf seinen Seiten neu - nicht nur, damit die Texte nicht verloren gehen, sondern weil sie so gut sind. Diesmal bringen wir ein Schreiben, das Cook einst an die "lieben, hochgeschätzten Bluesfans" richtete und in dem es um entscheidende (oder doch nicht?) Fragen der Identität geht.    01.06.2019

Ich sitze hier am Computer und weiß, daß ich in drei Stunden ein Traktat über das heikelste Thema der Bluesszene abliefern muß. Wie immer habe ich mir kein Konzept dazu gebastelt. Was nicht aus dem Herzen kommt, soll man auch nicht in die Maschine tippen oder über die Lippen kommen lassen.

Von dem Tag an, als ich mich entschloß, Blueskünstler zu werden, hing die diesmal behandelte Kardinalfrage wie ein Klotz an meiner Seele: KANN UND DARF EIN WEISSER MANN - DAZU NOCH EIN MITTELEUROPÄER AUS DER WALZERMETROPOLE - DEN BLUES SPIELEN?

Wenn ich diese Frage nicht eindeutig und aus voller Brust mit JA beantworten könnte, hätte ich meinem Vater gefolgt und wäre Staatsbeamter geworden. Ich könnte heute als Hofrat oder Minister auf meinem pragmatisierten Hintern sitzen und Höflichkeitsbesuche in der Staatsoper abstatten. Dem war und ist aber bis heute nicht so - und ich bin mir der einzigartigen Gelegenheit bewußt, dieses Thema jetzt vor einem großen Publikum abzuhandeln.

Als ich zu meinem Fünfziger die Geburtstags-CD "The White King Of Black Blues" veröffentlichte, war der Titel ein Schlag ins Gesicht der Bluesfaschisten. Wie kann sich dieser Klimperant, der weder schwarz noch überhaupt ein Amerikaner ist, solch einen Titel anmaßen?

Nun ja - ich hatte zuvor meine alten Pressekritiken durchforstet, war dabei auf diverse Artikel mit ebendieser Überschrift gestoßen und hatte mir dann gedacht, daß genau dieser Slogan voll den Nerv trifft. Die betriebsblinden Schlafmützen, die seit mehr als 40 Jahren die ewiggestrige Blues-Überlegenheit der schwarzen Rasse kolportieren, wurden dadurch aus dem Trott gebracht und mußten zwangsläufig reagieren. Welcher amerikanischen Zeitschrift ist ein weißer Österreicher schon ein paar Quadratzentimeter Platz wert?

Natürlich konnten sie meiner Musik nichts anhaben, da sich 35 Jahre Bühnenerfahrung nicht so einfach vom Tisch wischen lassen. Also war das einzige, wo sie ansetzen konnten, meine Nationalität - und vor allem meine Hautfarbe. "Wer nicht die richtige Färbung hat, kann sich nicht 'King Of The Black Blues' nennen, sondern höchstens 'King Of Austrian Revivalists' ", lautete der Tenor der kurzsichtigen Kritik. Die Guten hätten meine Linernotes aufmerksamer lesen sollen. Erstens hat mir die Presse diesen Titel verliehen, und zweitens habe ich es immer vermieden, mich mit Schwarzen in eine Reihe zu stellen. Die Königsehre bedeutet bloß, daß ich als der beste Interpret unter den weißen Bluesmusikern gesehen wurde. Ich habe auch stets davon abgesehen, meine Auftritte durch farbige Künstler aufzupeppen. Wenn ich nicht für mich selbst sprechen kann, hätte ich mich ja auch gleich als Elvis-Imitator gewinnträchtiger verkaufen können …

 

Doch zurück zum Thema: Legt man, wie es sich gehört, strenge Maßstäbe an, so scheint die Gilde der Bluesrassisten zumindest an der Oberfläche recht zu haben. Doch - wie gesagt - nur an der Oberfläche.

Daß der Blues die klassische Ausdrucksform der Afroamerikaner ist, bleibt natürlich unbestritten. Sie haben ihn kreiert, und rundherum ist alles harmonisch auf schwarz abgestimmt ...  man würde schließlich auch ein farbiges Schrammelquartett jenseits des Alien-Effekts kaum ernstnehmen.

Wie jeder Vergleich hat aber auch dieser ein kräftiges Hinkebein - und das heißt Globalisierung. Während die Volksmusik der meisten ethnischen Gruppierungen untrennbar mit ihren Erzeugern verwoben ist, hat der Blues durch sein Weiterleben in der frühen Rock´n´Roll-Kultur eine Verbreitung ungeahnten Ausmaßes erfahren. Nahezu 90 Prozent der Bluestexte befassen sich mit Themen, die nicht unbedingt ethnisch spezifizierbar sind. Probleme mit Partnerschaft, Geld, Spiel, Alkohol oder Naturkatastrophen sind nicht auf die farbige Bevölkerung der USA beschränkt. Als der Bluesforscher Alan Lomax, der für die Kongreßbibliothek in Washington arbeitete, einmal Blind Willie McTell fragte, ob er denn nicht einen Song zum Thema "schwarzer Protest" auf Lager hätte, behauptete der Musiker, keinen zu kennen. "Hast du nicht so etwas wie: 'It´s hard to be a nigger' oder Ähnliches?" Blind Willie verneinte zum zweiten Mal. Und auch Big Bill Broonzy schrieb sein "Black, Brown and White" erst dann, nachdem er zur Nachtklubattraktion für weiße Jazzklubs geworden war.

Das Problem mit den weißen Interpreten begann, als sich Musiker mit sogenannter formaler Musikausbildung an die Domäne afroamerikanischer Musikkultur heranmachten. Sie mußten sich umprogrammieren. Wer die scheußlichen Boogie-Interpretationen der europäischen Nachkriegsbands kennt, der weiß, was gemeint ist. Man kann schwarze Musik einfach nicht durch die Brille eines Konservatoriumsabgängers sehen. Wir Europäer im besonderen neigen dazu, alles akademisch erfassen zu wollen - und das geht mit der Bluesmusik einfach nicht. Wer einmal Mozart in den Mund geschoben bekommen hat, kriegt den Geschmack nie mehr los. Diese Leute fallen für mich also von vornherein aus.

Die zweite Gruppe sind diejenigen, denen zwar die Musik gefällt, die aber in der Verehrung für die alten Meister erstarren und sich dadurch jede Kreativität verbauen. Sie sind die exzellenten Handwerker, die sogar jeden Ausrutscher ihrer Idole kopieren, aber nichts zu sagen haben.

Die dritte Gruppe bilden die Zeitsoldaten, die es sich mit Blues auf der Bühne voll besorgen, aber - sobald sie an die Grenzen ihres Könnens oder ihres Geldbeutels gestoßen sind - irgendwann in einer Popband oder als Statisten in einem Musical landen und mir mit dem Argument: „Oida, mit´n Bluhs moxt jo ka Koi´n“ daherkommen. Andere bekommen den Rachen nicht voll und wechseln ebenso mit diesem Allerweltsargument die Seiten.

Die schlimmsten sind aber diejenigen, die einer Kuh einen Sauschädel transplantieren wollen, also die Dialektblues-Typen. Ich weiß, daß ich mich hier auf gefährlichem Terrain bewege, da ich selbst mit einigen befreundet bin. Sie werden wohl wissen, was sie tun, aber ich würde ihnen raten, ihr Tun einmal inversiv zu betrachten. 1977 rief mich meine Noch-Plattenfirma Bellaphon an und wollte mir einreden, eine Dialektblues-LP zu machen. "Damit wirst du größer als der Ambros" tönte es aus der Muschel. Ich hatte nämlich diesen dreckigen Proletarierton in der Stimme, weil ich bis Ende 1973 den Fabriksjargon ins Gehirn gehämmert bekommen hatte. Meine lakonische Antwort war: "Würdest du Hans Moser die Reblaus im Mississippi-Slang singen lassen?". Damit waren meine Chancen auf eine Austropop-Karriere im Anus.

Die letzten 10 Prozent der in diesem Rechenbeispiel Übrigbleibenden muß man aber nochmals durch die Lupe betrachten. Da sind nämlich noch die dabei, die es wirklich ehrlich meinen, aber nicht über den Blues als bloße Musikform hinauskommen, weil sie zu der Zeit, in der all das entstanden ist, wenig bis gar keine Beziehung haben. Das ist mit den heutigen Rock´n´Rollern dasselbe. Sie glauben, daß in den 50ern jeder mit Moped und Lederzeug unterwegs war. Als ich von 1983 bis 1986 nebenher kurz Rockabilly spielte, versuchte ich meinen Musikern vergebens mit Dokumentarfilmen diese Zeit unter die Haut zu bringen. In die Sprache des Blues übertragen heißt das: Man kann Blind Lemon nicht verstehen, wenn man sich vorher mit Begeisterung Bon Jovi gibt.

Ich weiß, daß ich von den schöngeistigen Freidenkern als gnadenlos verbohrter Ayatollah der Intoleranz verteufelt werde - aber ich bin eben keiner von den schwarzrassistischen Bluesfaschisten, die mir vorkommen wie einst das Rasse-und-Siedlungs-Hauptamt, mit dem Unterschied, daß man bei denen farbig zu sein hat.

Am Beginn meiner Blueskarriere meinte man, es wäre besser, mich als weißes Wolfskind zu verkaufen, das von mitfühlenden Schwarzen aufgezogen wurde, nachdem meine wirklichen Eltern bei Rassenunruhen ums Leben gekommen waren. Erstens wären bei dem Werbeschmäh meine Eltern, die damals noch lebten, tot umgefallen, und zweitens kannten mich ohnehin schon zu viele als den, der ich eben war.

Das letzte Quentchen von ca. 5 Prozent kann man tatsächlich als authentisch in eigener Sache bezeichnen. Sie leben für den Blues, haben etwas zu sagen und kennen sich sehr wohl in der Bluesgeschichte aus. Wer sich dazu zählen darf, das überlasse ich dem Blick in den eigenen Spiegel und finde, das sollte jeder für sich selbst ausmachen. Diesen Künstlern sind jedenfalls die nächsten Zeilen gewidmet.

 

 

Die Hautfarbe allein macht es nicht. Fragt einmal einen Rapper aus Harlem, wer Robert Johnson ist. Vielleicht ein aufstrebender Baseballstar? Seht euch einmal Charley Patton, den Vater des Delta-Blues, an – der ginge glatt als sonnengebräunter Weißer durch oder als Mexikaner. Son House sagte einmal, er habe es gehaßt, einen Mann mit einer Gitarre Blues spielen zu hören. Wäre da nicht ein Straßenmusiker gewesen, der ihm das Slide-Guitar-Spielen beigebracht hat, wäre ein Gigant des Country-Blues glatt ungehört geblieben. Und Roosevelt Sykes, der St.-Louis-Pianist par excellence, sah aus wie ein kupferfarbener Japaner. Er sagte einmal zu mir: "Sogar einem Chinesen kann man den Blues glauben, wenn er aus seinem Herzen kommt."

 Ich glaube, damit wieder für genügend Diskussionsstoff gesorgt zu haben - und verbleibe bis zum nächsten Mal

 

Euer

Al Cook

Al Cook im EVOLVER


Unverfälscht, traditionsbewußt und weitab vom Kommerz-, Radio- und Social-Media-Mainstream: So wie Al Cook Musik macht, schreibt er auch - und zwar exklusiv im EVOLVER. Lesen Sie hier seine sehr persönliche Einführung in die Welt des authentischen Blues-Genres und seiner Position im populärkulturellen Musikgeschehen.

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