Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 2

The Bloodhound Gang: "Screwing You On The Beach At Night"

Pickel und Pornophantasien waren schon immer Bestandteile der Teenager-Jahre. Wie Jugend speziell in den 80ern klingen konnte, demonstriert dieser Song.    29.10.2007

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Disco und kein Ende: Seit zwei, drei Jahren feiert das samstagnächtliche Fieber ein dermaßen großes Comeback, daß es selbst die drei kleinen Schweinchen in ihrer abgelegenen Behausung am Rande des Stubaitaler Canyons mitbekommen haben.

Mit Scissor Sisters und Mika schaffte es tanzbarer Hedonisten-Sound bis in die tiefsten Tiefen von Ultraflachkopfland. Was freilich, der Qualität der Genannten sei Dank, wesentlich besser ist, als würden die Rest-Ganglien durch irgendeinen Dieter-Bohlen-Klon verklebt. Für die Indie-Jünger gibt es The Gossip, und sogar die "guten alten" Ärzte (Charles M. Schulz) locken ihre Fun-Punk-Schar mit "Deine Freundin (wäre mir zu anstrengend)" unters Stroboskoplicht - was deren Fans wahrscheinlich verwirren dürfte. Andererseits sind die Patienten von Bela, Farin und Rod schon fast alles gewohnt, was obskur genug ist und einem kindlichen Gemüt Spaß macht ...

Dabei sind die Ärzte natürlich viel intellektueller und cooler als gemeinhin angenommen. Erstens beweisen sie immer wieder musikalische Geschmackssicherheit, und zweitens können sie auch in flachem Textgewässer prima schwimmen. Anfang der 80er, als der Fuchsschwanz nicht zwangsläufig zu einem Tier aus dem Wald der drei kleinen Schweinchen gehörte, lagen auch die Toten Hosen und die Goldenen Zitronen auf einer Stufe mit den Ärzten. Während die Letztgenannten ihren Stil immer weiter verfeinerten und heute auf einer hohen Stufe kalauern, auf die der große Heinz Erhardt stolz wäre, sind die anderen entweder gutmenschelnde Sozialdemokraten oder aufrecht deprimiert an der Menschheit verzweifelnde Links-Kommentatoren geworden. Was den größeren Unterhaltungswert hat, dürfte klar sein. Die Frage nach Sinnhaftigkeit und gesellschaftlicher Relevanz stelle ich hier nicht, denn Pop goes the weasel - und ein Dreiminuten-Song wird nie die Welt verändern. Campino ist halt doch "nur" ein leckeres Bonbon, das es auch in Erdbeergeschmack gibt.

Als echte Lebemänner mit Stil passen die Ärzte natürlich prima zu Disco: gepflegter Spaß auf höchstem Niveau, von einer Band gespielt, die musikalisch forscht, ohne das Naßforsche aufzugeben. Dazu gehört mehr Verstand, als im Pop-Geschäft normalerweise erlaubt ist. Der Unterschied wird freilich erst deutlich, wenn man oberflächlich Verwandtes vergleicht. Dann stellt man fest, daß es zwischen Scherzkeksen, die sich alles so untertan machen, daß sie es in den eigenen Universalkontext einordnen können, und pubertierenden Spaßhanseln mehr Differenzen als Gemeinsamkeiten gibt.

Während die Ärzte immer schon mit pubertärem Impetus spielten - und so natürlich zwangsläufig alle Adoleszenten all over there erreichen -, sind andere Bands auf der Stufe von Pickeln und Pornophantasien stehengeblieben. Das ist natürlich keine Frage des Alters, was in Österreich die EAV nicht erst mit "Amore XXL" und in Deutschland J. B. O. beweisen. Jedes Land hat so seine feuchten Jungmännerträume, oft kombiniert mit sattsam vertrauten Pop-Zitaten oder Coverversionen. So gibt es in den USA viele Rapper, die schlüpfrig herumschlittern, aber eben auch die Bloodhound Gang. Die ist allerdings ihrerseits in Deutschland und Österreich viel populärer als im Rest der Welt und paßt perfekt zu J. B. O., was nicht nur deren Version von "Fire Water Burn" dokumentiert.

 

Und jetzt machen Jimmy Pop Ali, Evil Jared Hasselhoff und die anderen Bluthunde halt auch auf Disco. Natürlich setzen sie dabei nicht auf filigrane Streicherarrangements und vertrackte Rhythmen, sondern servieren mit der neuen Maxi "Screwing You On The Beach Tonight" eine Elektrowalze, die sehr nach frühen 80ern klingt. Der Groove pendelt sich irgendwo zwischen "Magic Fly", frühen Depeche Mode und Soul Sonic Force ein, ist nur noch weiter in Richtung Volksderbheit heruntergepimpt.

"Screwing" ist nicht "Studio 54", sondern Bierzelt. Wenn man sich auf dieses Niveau hintrinkt, wirkt der Song allerdings wie eine zusätzliche Spaßdroge. Der Refrain ist eingängig und versaut genug, um ihn mitzugrölen, wenn die Hemmungen fallen: "Fucking´s cool, but Jimmy´s the romantic type/Loitering on cliffs, thinking about stuff like/Screwing you on the beach at night". Also the romantic way of Austausch von Körperflüssigkeiten. Und mit diesem Thema hat es die Gruppe aus Philadelphia seit der Gründung in dem Jahr, nach dem sie nun endgültig klingen - also seit 1982. Allen Mitgliederwechseln zum Trotz hat sich nichts an ihren Pennäler-Jokes geändert.

Der Sound der Single klingt allerdings wesentlich moderner als ihr Crossover-Rap-Rock-Mix, was nur auf den ersten Blick überrascht. Bei näherer Betrachtung sind wir - die Geschichte nicht wiederholend, sondern rezitierend - mittlerweile von der ersten Disco-Phase mit Bee-Gees-Schmackes und Moroder-Style in die vollsynthetische Prä-Techno-Ära gewechselt. 2007 ist also Elektro-Jahr. Der Übergang verlief schleichend, und die Bloodhound Gang nahm dabei, ihrem plagiatären Wesen gemäß, nicht die Vorreiterrolle ein. Die gebührt zum Beispiel Roisin Murphy von Moloko: Stilsicher und sowieso dem Gott der Tanzbarkeit verpflichtet, weiß sie genau, wie ein Elektro-Disco-Track zu klingen hat - so wie "Overpowered", das Titelstück ihres zweiten Soloalbums, nämlich. Wenn "Overpowered" ein Schnitzmesser ist, mit dem Holz kunstgerecht bearbeitet wird, ist "Srewing You On The Beach At Night" die Axt, mit der man vorher erst mal auf den Baumstamm einschlägt. Romantik sieht natürlich anders aus, und fucking´s sowieso nicht cool. Sondern hoffentlich hot, wovon aber logischerweise weder das Teenager-Kasperle noch die drei kleinen Schweinchen etwas wissen können ...


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

The Bloodhound Gang - Screwing You On The Beach At Night

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Jimmy Franks Recording Company/Universal (USA 2007)

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