Kolumnen_Al Cook im EVOLVER #4

Blues an der Kreuzung

Der EVOLVER veröffentlicht die Kolumne, die der heimische Blues-Traditionalist Al Cook jahrelang für eine heimische Website schrieb, auf seinen Seiten neu - nicht nur, damit die Texte nicht verloren gehen, sondern weil sie so gut sind. In dieser Folge geht es um die bekannteste Nummer des früh verstorbenen Robert Johnson.    15.05.2018

Liebe Blues-Freunde!

Schon letztes Mal war an dieser Stelle die Rede vom legendären Robert Johnson, der seine Seele angeblich dem Teufel verkauft hat. Heute geht es um die Vorgeschichte von Johnsons wohl berühmtester Nummer, die so häufig wie kein anderer Blues-Song von Schwarz und Weiß interpretiert wurde: den Delta-Hit "Cross Road Blues", um dessen Entstehung und Auslegung sich die obskursten Wuchteln ranken.

Aber ich halte mich hier lieber an die Fakten - wenigstens, soweit sie mir bekannt sind.

In diesem Sinne: Bleibt nicht zu lange an der Kreuzung stehen! Viel Spaß beim Lesen wünscht

Al Cook

 

 

Die Hauptverantwortung für die vielen Lügen und Legenden tragen natürlich in erster Linie die Jazz-Journalisten, die mit den phantastischen Geschichten aus dem unergründlichen Mississippi-Delta die Auflagezahlen ihrer ohnehin nur von Fans gelesenen Heftchen erhöhen wollten.

Mitte der Sechziger suchte man wie besessen nach Überlebenden des berühmten Delta-Kleeblatts Charlie Patton, Willie Brown und Son House. Son war der einzig noch lebende Augenzeuge einer allzusehr romantisierten Cotton-Belt-Partie, die die Barrelhouse-Kneipen von Memphis bis Vicksburg unsicher machte. Man fand auch Mager und LeDell Johnson, die aber mit Robert nicht einmal ein bißchen verwandt waren, sondern nur über ihren Bruder Tommy ausgequetscht wurden.

Jedem Schwarzen, der mit Robert J. auch nur dieselbe Luft geatmet hat, drückte man eine Gitarre in die Hand und hoffte, wenigstens ein paar Töne aus dem Dunstkreis des Meisters zu hören. Manche Schwarze waren nicht dumm, spielten für die Weißen ein bißchen Baumwolle und begleiteten ihren Touristenkäse mit phantastischen Schauergeschichten über Papa Legba, der einen an einer finsteren Kreuzung erwartete und für ein wenig geschenktes Talent den Eigentumsvorbehalt an der Seele einforderte. Danach wartete so mancher zu mitternächtlicher Stunde auf einem Grabstein sitzend auf die Blues-Erleuchtung - vergebens.

Diese Mythen sind uralt und wurden erst wieder mit dem Aufkommen der New-Age- und Esoterikbewegung populär. Wenn man die schwarze Seele ein wenig versteht, liegt oft noch ziemlich viel Aberglaube aus der urafrikanischen Genese in ihrem Weltbild. Durch Jahrhunderte ethnischer Diskriminierung und die höchst geringe Chance, Bildung zu erwerben, erwuchs den Schwarzen so eine Art Mischung aus naiver Gottgläubigkeit und naturreligiösem Voodoo-Kult. Und einfache Menschen schreiben meist alles, was sich ihrer eingeschränkten Logik entzieht, je nach moralischer Wertung Gott oder dem Teufel zu.

Johnny Shines, mit dem ich in Wien konzertierte, berichtete mir, daß Robert Johnson ein unheimlich sensibles photographisches Gedächtnis für Melodien gehabt habe. Ich vermute auch, daß er ein absolutes Gehör und eine starke Triebfeder hatte - nämlich, nie auf einer Plantage arbeiten zu müssen. Das kann einen schon erfinderisch machen. Um mein Leben nicht in der Fabrik verbringen zu müssen, brachte ich mir beispielsweise ohne Lehrer und Papa Legba Rock´n´Roll und Bluesgitarre bei. Der Erfolg war der, daß ich 1972 anläßlich eines Konzerts mit Big Joe Williams zum Teufel verflucht wurde, weil ich im guten Glauben ihm zu Ehren "Baby Please Don´t Go" gespielt hatte.

Soweit die Erklärung zu den dunklen Mächten der Hölle.

 

 

 

Robert Johnsons Teufel hatte aber ein Gesicht. Er hieß Ike Zinnerman und ist im Beipack der Doppel-CD "Complete Recordings" abgebildet. Leider gibt es von Ike keine mir bekannten Musikaufnahmen.

Robert war einer der ersten Musiker, die nicht nur ausschließlich auf audiovisueller Live-Basis ihre Erfahrungen sammelten, sondern auch von den bereits damals erhältlichen Schallplatten lernten. Tag für Tag plagte er sich auf der Gitarre ab; befreundete Nachbarn erinnerten sich, daß Robert sie mit seinem gräßlichen Geklimper verrückt machte. Auch Son House - der Johnson nur als Mundharmonikaspieler kannte - meinte, er solle doch lieber bei seinem Leisten bleiben. Schade, daß es keine Aufnahmen von Johnson gibt, auf denen Harp-Klänge zu hören sind ...

Eines Tages aber war es endlich soweit. Robert ließ die alten Haudegen mit offenen Mündern stehen. Fortan war er der Hahn im Korb, und eines Tages vermittelte ihm die American Recording Company seine erste Plattenaufnahme: am Montag, den 23. November 1936.

 

Al Cook

Al Cook im EVOLVER


Unverfälscht, traditionsbewußt und weitab vom Kommerz-, Radio- und Social Media-Mainstream: So wie Al Cook Musik macht, schreibt er auch - und zwar exklusiv im EVOLVER. Lesen Sie hier seine sehr persönliche Einführung in die Welt des authentischen Blues-Genres und seiner Position im populärkulturellen Musikgeschehen.

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